Rezension über:

Tanja Jankowiak: Architektur und Tod. Zum architektonischen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Eine Kulturgeschichte, München: Wilhelm Fink 2010, 433 S., 206 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-4991-7, EUR 58,00
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Rezension von:
Stefanie Lieb
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Lieb: Rezension von: Tanja Jankowiak: Architektur und Tod. Zum architektonischen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Eine Kulturgeschichte, München: Wilhelm Fink 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/19229.html


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Tanja Jankowiak: Architektur und Tod

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Bereits der Titel weckt Interesse - und dies nicht nur bei Architekturinteressierten, da ja ein kulturhistorischer Ansatz angekündigt wird. Und auch die im Klappentext formulierte Frage lässt aufhorchen: "Was lässt sich an architektonischem Material über den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben, Trauer und Bestattung ablesen?" Die umfangreiche Publikation basiert auf der Dissertation von Tanja Jankowiak an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aufgebaut nach den unterschiedlichen Baugattungen, die mit Sterben und Tod des Menschen in Verbindung stehen - Altenheim, Krankenhaus, Hospiz, Bestattungsunternehmen und Krematorium - umreißt die Autorin die jeweilige Historie der "Todes-Architekturen" und stellt entsprechende aktuelle Bauprojekte aus den angeführten Bereichen vor.

Das anfängliche Begleitwort des Kulturwissenschaftlers und Betreuers der Dissertation, Thomas Macho, der selbst über die kulturelle Thematik des Todes Grundlegendes publiziert hat, man denke nur an "Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung" von 1987 [1], nennt bereits zentrale Fragestellungen zu dem sich in der jüngeren Zeit wandelnden Umgang mit dem Tod. Während in der Moderne des 20. Jahrhunderts der Tod zum Tabu und zu einer Privatangelegenheit avancierte und die perfekte Verdrängung erfuhr, wird spätestens seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die Wiederentdeckung des Todes als essentiellem Bestandteil der Kultur erkennbar (14). Dies bedeute auch, dass die neu entstehenden Gebäude für Krankheit, Sterben und Tod eine spezifischere Gestaltung und Repräsentanz erfahren. Für Thomas Macho ist die Geschichte des Todes immer auch eine Geschichte der "Raumordnung", und damit der Architektur (12).

Ausgehend von diesem postmodernen Mentalitätswandel im Umgang mit dem Tod und der lapidaren These, dass im heutigen Deutschland überwiegend in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen gestorben werde (20), skizziert Tanja Jankowiak in der Einleitung ihr Forschungsprojekt. Sie möchte anhand von fünf zeitgenössischen Beispielen aus Berlin, der Seniorenresidenz Tertianum von Hilmer & Sattler und Albrecht; dem Virchow-Klinikum von Deubzner und König, dem Hospiz Wannsee von Bargon + Partner, dem Haus der Begegnung von AJF Architekten und dem Krematorium Berlin-Baumschulenweg von Schultes Frank Architekten, diesen sich verändernden Prozess im Umgang mit dem Tod und den daraus entstehenden architektonischen Modifikationen analysieren. Für Jankowiak sind vor allem die Aids-Bewegung seit den 1980er-Jahren und die Hospiz-Bewegung seit den 1990ern maßgeblich für das "Revival" des Todes verantwortlich. Ergänzend hätte man an dieser Stelle noch die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche sowie die Event-Sucht der heutigen Gesellschaft als Ursachen hervor heben können - denn diese Mechanismen sind inzwischen so prägend, dass sie auch vor dem Mysterium des Todes keinen Halt machen.

So vielversprechend der einleitende Teil des Buches daher kommt, umso enttäuschter wird man während der Lektüre der einzelnen Kapitel zu den Gebäudetypen. Zwar erfolgt hier jeweils ein Rekurs auf die historische Entwicklung des Gebäudetyps, wie z. B. des Krankenhauses, und den damit verbundenen Traditionen, die Ausführungen bleiben jedoch zu sehr im rein Deskriptiven verhaftet und lassen eine weitreichendere kulturwissenschaftliche Analyse vermissen. Das Ausblenden der Typen "Kirche" und "Friedhofsanlage" im Kontext eines religiösen Todeskultes begründet die Autorin zwar kurz und stellt eine weitere Beschäftigung mit diesem Bereich in Aussicht (21). Interessant wäre jedoch durchaus eine Hinzuziehung dieser Gebäudegattungen unter der zentralen Fragestellung des gewandelten Umgangs mit dem Tod gewesen, zumal sich diese Architekturen aktuell in einer schweren Daseinskrise befinden und Abriss- und Umnutzungsszenarien drohen.

Wer jedoch etwas Allgemeines über die kulturhistorische und architektonische Entwicklung der Bautypen wie Altenheim, Hospiz oder Krematorium erfahren möchte, und auch, wie die mentalitätshistorischen Ansätze die jeweilige Raumdisposition und Baugestaltung beeinflusst haben, der wird in dem Buch fündig werden. Ebenso sind auch die Vorstellungen der zeitgenössischen Beispielbauten mit entsprechender Formenanalyse und symbolischer Herleitung sehr fundiert und erhellend.

Der Schluss bietet nochmals eine Zusammenfassung der vorhergehenden Kapitel. Leider vermisst man auch hier etwas den kulturwissenschaftlichen Abstraktionsgrad, der sich von der rein architekturspezifischen Auswertung lösen kann, um dann das übergeordnete Verhältnis zwischen Architektur und Tod skizzieren zu können. Aber vielleicht kann dieses Vorhaben, das sicherlich eines größeren wissenschaftlichen, und interdisziplinären Rahmens bedarf, aufgrund der nun vorliegenden Arbeit angestoßen werden. Tanja Jankowiaks Buch ist eine wichtige Grundlage für weitere Schritte in diese Richtung.


Anmerkung:

[1] Thomas Macho: Todesmetaphern. Zur Logik der Grenzerfahrung, Frankfurt am Main 1987.

Stefanie Lieb