Joachim Bahlcke / Dan Gawrecki / Ryszard Kaczmarek (Hgg.): Historia Górnego Śląska. Polityka, gospordarka i kultura europejskiego regionu, Gliwice: Dom Współpracy Polsko-Niemieckiej 2011, 555 S., ISBN 978-83-60470-41-1, PLN 149,90
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Joachim Bahlcke / Jiří Just / Martin Rothkegel (Hgg.): Konfessionelle Geschichtsschreibung im Umfeld der Böhmischen Brüder (1500-1800). Traditionen - Akteure - Praktiken, Wiesbaden: Harrassowitz 2022
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Oberschlesien zeichnet sich durch eine wechselvolle politische Geschichte aus. Jahrhundertelang hatte es sich im Einflussbereich dreier Mächte befunden, die jeweils abwechselnd die politischen Geschicke der Region bestimmten. Im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert stellte es zudem eines der führenden Industriezentren Europas dar. Trotz seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung wird die Region in der Literatur jedoch hauptsächlich in einem gesamtschlesischen Kontext betrachtet. Die regionalhistorischen Monografien zu Schlesien legen den inhaltlichen Schwerpunkt zudem überwiegend auf Niederschlesien. Die Betrachtung Oberschlesiens hingegen beschränkt sich zumeist auf die Themen der Industrialisierung, der Schlesischen Aufstände und der Teilung Oberschlesiens nach dem Ersten Weltkrieg sowie auf Fragen der ethnischen Identität und seit jüngstem auch des Strukturwandels. Ein Grund für die geringere Aufmerksamkeit, die die Forschung Oberschlesien bislang zu Teil hat werden lassen, besteht in dem Umstand, dass die Region - ausgenommen eine kurze Periode der Autonomie Ost-Oberschlesiens in der Zweiten Polnischen Republik - keine politische Selbständigkeit besessen hat. Aus verwaltungstechnischer Sicht spielte sie ebenfalls eine eher bescheidene Rolle. In der Volksrepublik Polen wurde der Status der Region als eigenständige Verwaltungseinheit sogar aufgehoben und in späteren Jahren auch nicht mehr erneuert. Trotz der anhaltenden Fremdbestimmtheit hat sich seit dem Mittelalter jedoch eine starke regionale Identität ausgebildet. Der vorliegende Band stellt daher ein längst überfälliges Desiderat dar.
Die Koordination des Handbuchprojekts, das einer beinahe zehnjährigen interdisziplinären Forschungstätigkeit bedurfte, ist beim Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit (Dom Współpracy Polsko-Niemieckiej) in Gleiwitz (Gliwice) angesiedelt gewesen. Die Herausgeber - Joachim Bahlcke von der Universität Stuttgart, Dan Gawrecki von der Schlesischen Universität Troppau (Slezská univerzita v Opavě) und Ryszard Kaczmarek von der Schlesischen Universität Kattowitz (Uniwersytet Śląski w Katowicach) - gehören zu den führenden Oberschlesien-Experten. Doch nicht nur die Herausgeber-, sondern auch die Autorenschaft setzt sich aus polnischen, tschechischen und deutschen Forschern zusammen, so dass der Sammelband insbesondere durch seinen transnationalen Ansatz hervorsticht.
Der Band gliedert sich in fünf thematische Blöcke auf. Im Einleitungsteil A stellen die einzelnen Herausgeber ihre Auffassung vom Phänomen Oberschlesien vor. Der Teil B, der die politische Geschichte der Region behandelt, ist in sechs Unterkapitel unterteilt, die sich zeitlich an den wichtigsten Eckdaten der Geschichte Oberschlesiens orientieren. Der Teil C befasst sich mit der Wirtschaftsgeschichte, wobei der Schwerpunkt auf der Industrialisierung und ihren Folgen liegt. Die Kulturgeschichte (Ethnografie, Kunstgeschichte und Literatur) wird im Teil D behandelt. Der abschließende Teil E rundet den Band ab, indem er ausgewählte, charakteristische Diskurse zu Oberschlesien abbildet. Hierbei handelt es sich insbesondere um Debatten, die sich mit Fragen nach ethnischen Zusammenhängen und der nationalen Identifizierung beschäftigen. Neben dem Spannungsfeld von slawischer und germanischer Selbstzuschreibung werden auch die unterschiedlichen polnischen und tschechischen Standpunkte sowie jene der Schlesier aus Polen und Tschechien thematisiert. Eine weitere zentrale Debatte, der sich der Band stellt, betrifft Vertreibungen und Aussiedlungen und wird in Polen immer noch äußerst kontrovers und emotional diskutiert.
Der umfangreiche Sammelband stellt einen ersten und zugleich sehr gelungenen Versuch einer transnational angelegten Synthese der Geschichte Oberschlesiens dar. Dabei werden nicht nur historische Themen, sondern auch aktuelle Debatten vorgestellt. Kontroverse Themen, die sowohl in den bi- und trinational als auch in den innerpolnisch geführten Diskussionen für Spannung sorgen, werden ausgewogen behandelt. Insgesamt zeichnet sich der Band, an dem neben Geschichtswissenschaftlern auch Kunsthistoriker, Literaturwissenschaftler und andere Kulturwissenschaftler beteiligt gewesen sind, durch ein durchweg hohes Niveau und eine große Themenvielfalt aus.
An manchen Stellen wäre jedoch eine stringentere Redaktion des Gesamtwerks wünschenswert gewesen. So folgt auf das erste Kapitel eine Bibliografie, die einen sehr nützlichen Überblick über die Literatur gibt. Angesichts der Fülle an Literatur zu Oberschlesien wäre es jedoch sinnvoll gewesen, jedes Kapitel mit einem Literaturverzeichnis abzuschließen. Am Ende des Buches findet der Leser zwar ein weiteres Literaturverzeichnis, dessen Struktur orientiert sich jedoch nicht durchweg an den Kapiteln des Werkes. Zudem finden sich in den einzelnen Beiträgen meist nur wenige Fußnoten, die zudem nicht immer hilfreich bzw. zweckmäßig sind: Oft bestehen diese lediglich aus der Übersetzung der im Text angeführten Zitate, ohne dabei die konkrete Quelle oder Seitenangabe zu erwähnen.
Da die Publikation für ein breites Publikum bestimmt ist und sich eben nicht nur an die Fachgemeinde richtet, hätte man in einigen Beiträgen spezifische Termini näher ausführen können. Die Anzahl der inhaltlichen Redundanzen, die hin und wieder auftauchen, hätte reduziert werden können. Einige Begriffe werden wenig einheitlich verwendet, was die Verständigung nicht immer erleichtert. Ein prekäres Beispiel stellt beispielsweise der Gebrauch des Adjektivs "sowiecki" (sowjetisch) dar, das in Polen seit 1989 zwar immer häufiger verwendet wird, doch pejorativ aufgeladen ist. Die neutrale, offizielle Bezeichnung "radziecki" kommt deutlich seltener im Text vor.
Zu begrüßen ist, dass die mehrsprachige Benennung der Toponyme in Form einer polnisch-deutsch-tschechischen Konkordanz berücksichtigt worden ist. Leider ist jedoch bei der Nennung der Ortsnamen im Text kein einheitliches Prinzip zu erkennen. Besonderes Lob verdient eine Tabelle in den Materialien, die alle ehemaligen Machthaber aus der oberschlesischen Geschichte auflistet. Allerdings ist es etwas schade, dass lediglich die polnische Namensform erwähnt wird. Eine polnisch-deutsch-tschechische Konkordanz der Personennamen wäre schließlich dem Konzept des Bandes entgegen gekommen. Das Handbuch enthält zudem reichhaltiges Kartenmaterial, beginnend mit den ältesten Karten der Region über Ausschnitte topografischer Karten von 1914 bis hin zu einer aktuellen Verwaltungskarte mit den polnischen, deutschen und tschechischen Ortsnamen, so dass die historische Entwicklung Oberschlesiens und der politische Kontext nachvollziehbar visualisiert werden. Damit stellen sie eine schöne Ergänzung zu den im Textteil vielfach untergebrachten Illustrationen dar. Insgesamt ist ein solides, lange erwartetes Grundlagenwerk zu Oberschlesien entstanden, das durch sein innovatives Gesamtkonzept, die thematische Vielfalt und Informationsfülle mehr als überzeugt und eine unverbrauchte Perspektive auf die Geschichte Oberschlesiens bietet.
Dariusz Gierczak