Rezension über:

Karl-Heinz Meißner: Die Reglerkirche in Erfurt und ihr Altar, Berlin: Lukas Verlag 2011, 102 S., 55 Farbabb., ISBN 978-3-86732-107-5, EUR 15,00
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Rezension von:
Rainer Müller
Bau- und Kunstdenkmalpflege, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Thüringen
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Müller: Rezension von: Karl-Heinz Meißner: Die Reglerkirche in Erfurt und ihr Altar, Berlin: Lukas Verlag 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/21820.html


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Karl-Heinz Meißner: Die Reglerkirche in Erfurt und ihr Altar

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Der sog. Altar der Erfurter Reglerkirche, ein um 1470 entstandener, zweifach wandelbarer, mit Predella und Gesprenge versehener Altaraufsatz mit geschnitzter Festtagsseite und zwei beweglichen, bemalten Flügelpaaren, gehört zu den bedeutendsten Werken der spätgotischen Kunst in Mitteldeutschland. Sein besonderer kunstgeschichtlicher Rang ist namentlich durch die vier Tafelgemälde der ersten Wandlung begründet. Sie werden einem Maler zugeschrieben, der in der Kunstgeschichte mit dem Notnamen Meister des Erfurter Regleraltars versehen wurde.

Obgleich die künstlerische Bedeutung des Werkes unstrittig ist und insbesondere die Schnitzwerke der Festtagsseite einer Erfurter Werkstatt zugewiesen werden können, deren Wirken sich bis in die 1490er-Jahre nachweisen lässt, fehlt eine aktuelle kunsthistorisch-kritische Würdigung des Retabels und der daran beteiligten Werkstätten. Auch das hier anzuzeigende, von Karl-Heinz Meißner verfasste und im Lukas-Verlag Berlin erschienene Buch kann diese Lücke nicht schließen.

Schon die Aufmachung des reich bebilderten, aber mit 102 Seiten nicht besonders umfangreichen Buches lässt die Intention der Herausgeber erkennbar werden: Der Leser soll anhand der mehr als 50, von dem Fotografen Lutz Naumann gefertigten und in guter Qualität reproduzierten Total- und Detailaufnahmen zur Betrachtung dieses spätgotischen Meisterwerkes eingeladen werden, die komplexen Bildräume erkunden, die reichen koloristischen Werte bestaunen, aber auch Einzelheiten der minutiös ausgearbeiteten Malereien und Schnitzereien entdecken, die dem bloßen Auge bei normaler Ausleuchtung vor Ort verschlossen bleiben.

Mit Karl-Heinz Meißner, einem Theologen und ehemaligen Kunstgutbeauftragten der evangelischen Kirche in Thüringen, meldet sich ein ausgewiesener Kenner der Erfurter Kunst und speziell der Reglerkirche zu Wort. In drei 1998, 2002 und 2009 in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt erschienenen Aufsätzen hat er sich bereits zur Geschichte des regulierten Augustinerchorherrenstifts, kurz Regler-Stift genannt, in Erfurt und seiner Kirche geäußert. [1]

Das hier anzuzeigende Buch ist dreiteilig aufgebaut. Zunächst wird einleitend die Geschichte des Kirchenbaus und seiner Ausstattung referiert. Von einer um 1135 begonnenen, aber erst 1238 mit der Weihe vollendeten romanischen Kirche - einer dreischiffigen Basilika mit unbekanntem Ostabschluss und westlicher Doppelturmfront - blieben nach dem verheerenden Stadtbrand von 1291 nur Teile der Westpartie mit dem Eingangsportal und der Südturm sowie Abschnitte der nördlichen Langhausmauer erhalten. Der Wiederaufbau begann unverzüglich, schon 1293 (d) war der neue Chor unter Dach; das wiederum in der Raumgestalt einer Basilika, jedoch über verändertem Grundriss aufgeführte Langhaus wurde um 1361 (d) vollendet. Die Wiederherstellung des nördlichen Westturms unterblieb und erfolgte erst im 18. Jahrhundert. Der Darstellung einer einhüftigen Doppelturmfassade auf dem Konventssiegel des Reglerstifts an einer im Stadtarchiv Erfurt aufbewahrten Urkunde vom 6. Juli 1392 spricht Meißner Realitätsgehalt zu; nach Ansicht des Verfassers wurde die Verkürzung des linken Turms zugunsten einer eindeutigen Lesbarkeit des im Pontifikalgewand wiedergegebenen Bischofs Augustinus in Kauf genommen, hatte also bildinterne Gründe.

Doch von solchen strittigen Deutungen abgesehen, sind die Angaben zur Geschichte auf das Faktische beschränkt; allein ein Aufenthalt Nikolaus von Kues' (1401-1464) in der Stadt im Jahr 1451 wird als Anlass für diverse Neuerungen am Regler-Stift gesehen (18ff.), ohne dass an dieser Stelle eine Verbindung zum Altarwerk hergestellt wird; das erfolgt erst am Ende des Buchs und bleibt sehr im Vagen (97).

Im zweiten Abschnitt, dem eigentlichen Hauptteil des Buches, werden die einzelnen Bestandteile des Altarwerkes, beginnend mit den äußeren Tafeln, erläutert. Die Beschreibung beschränkt sich auf die Benennung der Bildthemen und des bzw. der Dargestellten; bei den Heiligen folgen knappe Angaben zu deren Legenden. Ikonografische Besonderheiten, wie z.B. die Prophetengalerie oder der Umstand, dass am Regleraltar abweichend vom allgemeinen Schema zuerst die Dornenkrönung, dann die Geißelung Christi dargestellt ist, werden zwar benannt, aber nicht weiterführend diskutiert. Erstaunlich bleibt, dass die Frage nach einem dem Gesamtwerk zugrunde liegenden theologischen Programm nicht erörtert wird; Meißner belässt es bei knappen thematischen Ansprachen der einzelnen Wandlungen.

Der dritte und letzte Abschnitt des Buches widmet sich der kunsthistorischen Einordnung des Regleraltars und beginnt mit einigen allgemeinen Ausführungen zum Kunstbegriff und Werkstattbetrieb im späten Mittelalter sowie zur Herkunft der am Regleraltar nachweisbaren Schmuckmotive. Hinsichtlich der Malerei unterscheidet Meißner drei Meister: Dem Hauptmeister werden die künstlerisch herausragenden vier Tafeln der ersten Wandlung zugeschrieben, die Malereien der äußeren Tafeln und die der Predella hingegen sind Werke zweier weiterer begabter Meister (93f.). Eine Herkunft des Hauptmeisters aus dem Rhein-Main-Gebiet wird behauptet, aber nicht näher belegt (94).

Für die Schnitzereien wird die Entstehung in Erfurt stillschweigend vorausgesetzt; die zum Vergleich herangezogenen Werke datieren zwischen 1464 und 1487 und helfen nur bedingt, Fragen der künstlerischen Provenienz und zeitlichen Einordnung zu klären. Nach einer etwas unglücklich eingeschobenen Passage zu den späteren Schicksalen des Altars folgen Anmerkungen zu "weiteren Werken aus dem Umkreis des Regleraltars" (96f.). Sie beziehen sich ausschließlich auf das malerische Werk des Hauptmeisters, blenden also die reichhaltige Nachfolge der Schnitzwerkstatt aus. In seiner Argumentation stützt sich der Autor im Wesentlichen auf die aus einem studentischen Seminar hervorgegangene und von Wolfgang Kemp 1989 herausgegebene Publikation zum spätgotischen Altar von Bosserode, einem dem Meister des Regleraltars zugeschriebenen Werk.

Kritisch anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass sowohl hier als auch im Literaturverzeichnis die ältere Forschung, etwa das 1935 erschienene Werk von Werner Kloos über die Erfurter Tafelmalerei von 1350-1470 und die ungedruckte, um 1930 entstandene Arbeit von Margarete Riemschneider-Hoerner zu den Thüringer Altarwerkstätten der Spätgotik keine Erwähnung finden, obgleich beide bezüglich des Regleraltars Grundlagenarbeit geleistet haben. [2] Auch werden die bisher leider nur in einem Kurzbericht vorliegenden Ergebnisse einer restauratorischen Untersuchung unter Leitung von Roland Möller aus den 1970er-Jahren zwar erwähnt, aber die naheliegende Frage, ob der Regleraltar nicht ein Mixtum compositum darstellt, bei dem Werke unterschiedlicher Provenienz und gegebenenfalls auch Alters zusammengefügt wurden, nicht gestellt. Es bleibt also eine Aufgabe künftiger Forschung, mithilfe verschiedener Wissenszweige und Methoden, naturwissenschaftlicher ebenso wie geisteswissenschaftlicher, dem Geheimnis dieses wohl bedeutendsten Werks der spätgotischen Kunst in Thüringen aus der Zeit um 1470 näher zu kommen.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist sowohl dem Text- wie dem Bildautor als auch dem Verlag für die Herausgabe dieses, von kleinen Fehlern abgesehen, sorgfältig redigierten und reich bebilderten Kunstführers zu danken.


Anmerkungen:

[1] Karl-Heinz Meißner: Zur Entstehung des Erfurter Regleraltars, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 59 (1998), 9-23; Zur älteren Geschichte der Erfurter Reglerkirche, in: ebenda 63 (2002), 35-64; Wie das Reglerstift im Jahr 1539 beschaffen war. Untersuchungen zu einem Inventar und dem Testament seines Priors, in: ebenda 70 (2009), 54-66.

[2] Werner Kloos: Die Erfurter Tafelmalerei von 1350-1470. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Mitteldeutschlands, Berlin 1935; Margarete Riemschneider-Hoerner: Thüringer Altarwerkstätten der Spätgotik, um 1930. Maschinenschriftliches Typoskript [Vorhanden: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Bau- und Kunstdenkmalpflege, Erfurt].

Rainer Müller