Rezension über:

Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel - Für König und Vaterland. Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und Fürstendienst (= Beihefte der Francia; Bd. 75), Ostfildern: Thorbecke 2012, 484 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-7995-7466-2, EUR 64,00
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Rezension von:
Andreas Pečar
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pečar: Rezension von: Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel - Für König und Vaterland. Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und Fürstendienst, Ostfildern: Thorbecke 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/21972.html


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Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel - Für König und Vaterland

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Irgendwann zu Beginn der Frühen Neuzeit, so lautet eine gängige Erzählung der Adelsgeschichtsschreibung, sei das Rittertum an sein Ende gelangt: Im Alten Reich gelten gemeinhin die Adelsfehden von Franz von Sickingen und Wilhelm von Grumbach als letzte politische Manifestationen des einstmals so stolzen Standes, auch wenn der niedere Adel in der Reichsritterschaft noch eine Nische zugewiesen bekam, in der er bis zum Ende des Reiches überdauern konnte. Der Untergang des Rittertums wurde mit dem Wandel im Kriegswesen und der dadurch hervorgehobenen Funktionslosigkeit der Ritter erklärt, deren Lebensform als Kriegerstand damit die Existenz entzogen wurde. Der Hof hatte sich stattdessen für Teile des Adels als bedeutsamer Lebensmittelpunkt etabliert, und die Erinnerung an das Rittertum hatte dort bestenfalls in Form höfischer Lustbarkeiten noch einen bescheidenen Platz.

Martin Wrede vermag nun in seiner ungemein materialreichen Studie zu zeigen, dass diese Meistererzählung wesentliche Aspekte für das Selbstbild des Adels unberücksichtigt lässt und das Rittertum wenn auch nicht als Praxis, so doch als bestimmendes Leitbild und Verhaltensideal des Adels die gesamte Frühe Neuzeit hindurch in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Um diesen Nachweis zu erbringen, widmet sich Wrede drei verschiedenen Themenfeldern, die auf den ersten Blick nur lose miteinander verknüpft sind: der Familienmemoria fünf bedeutender hochrangiger Adelsfamilien, meist aus dem Gebiet des ehemaligen Herzogtums Burgund, den Ritterorden an den verschiedenen habsburgischen Höfen sowie am französischen Hof, und schließlich den Turnieren an denselben Höfen, in denen das Rittertum situativ und spielerisch stets neu in Szene gesetzt wurde.

In allen drei Themenfeldern wird deutlich, wie das Rittertum für den Hochadel weiterhin eine zentrale Stellung im eigenen Selbstverständnis einnahm. Anhand von Genealogien, Geschichtswerken und Grablegen der Häuser La Trémoïlle, Bouillon, Croÿ, Arenberg und Nassau kann Wrede anhand zahlreicher Quellen zeigen, wie militärische Leistungen in der Familienvergangenheit auch noch Jahrhunderte später herausgestellt wurden, um den eigenen Status- und Ranganspruch zu demonstrieren oder aber die besondere Verbundenheit des eigenen Hauses zum Landesherrn herauszustellen. Dabei besaßen ritterlich-militärische Tugenden durchaus einen Eigenwert, unabhängig von der Frage, für was oder gegen wen jeweils gefochten wurde. So ließ sich auch aus protestantischen Vorfahren mitunter soziales und symbolisches Kapital schlagen, selbst wenn diese aus der Sicht des französischen Königs für die falsche Sache eingetreten waren. Generell bewegte sich die Vergangenheitskonstruktion stets zwischen den Polen eigenständiger Größe und Leistungen und dem Herausstellen besonderer Dienstbarkeit für den Landesherrn. Militärische Verdienste waren dabei das bedeutsamste Kapital im Schatz der Familienvergangenheit. Der Kriegsdienst des Hochadels war in der gesamten Frühen Neuzeit weder aus der Mode gekommen, noch hatten militärische Leistungen in der Selbstdarstellung des Hochadels an Wert verloren, im Gegenteil. Die Attraktivität und Strahlkraft des ritterlichen Leitbildes des Schwertadels demonstriert Wrede gleich zu Beginn daran, dass auch Familien aus dem Steueradel bemüht waren, sich diese Tugenden zumindest in der eigenen Selbstdarstellung gleichfalls anzueignen, ohne dabei Kosten und Mühen zu scheuen, wie aufgesetzt dies auch immer erschienen sein mag.

Diese Analyse familiärer Erinnerung in fünf bedeutsamen Familien des Hochadels ist sicherlich das Kernstück von Wredes Untersuchung, in dem mit bewundernswerter Akribie anhand oftmals ungedruckter Quellen nachvollzogen wird, in welchen Kontexten und auf welche spezifische Art und Weise sich die adligen Akteure ihrer Familiengeschichte zuwandten, um daraus für ihren Karriereverlauf und ihre Position innerhalb der Adelsgesellschaft Punkte zu machen. Hier ist jeder Fall anders gelagert, und jeder Fall wird auf eigene Weise präsentiert und gedeutet. Dies allein hätte für eine Untersuchung bereits ausgereicht. Die beiden folgenden Themenfelder - Ritterorden und Turnierwesen - ergänzen diesen Befund, dienen gleichsam zur Bestätigung des bereits gewonnenen Bildes.

War die Familienmemoria zunächst Sache der Familienmitglieder selbst, die jeweils entscheiden konnten, in welcher Form und für welche Öffentlichkeit sie welche Glanztaten verstorbener Angehöriger des eigenen Hauses herausstellten, so stehen in den untersuchten Ritterorden und veranstalteten Hofturnieren Maßnahmen der Landesherrn im Mittelpunkt. Wrede kann anhand zahlreicher Beispiele zeigen, wie sich die Inszenierung ritterlicher Werte und Ideale bis weit ins 18. Jahrhundert hinein zur Kommunikation zwischen Monarch und Hochadel eignete und wie Ritterorden und Turnierveranstaltungen mit ganz unterschiedlichen Botschaften versehen werden konnten: Die Integration des Adels in den Kreis der Begünstigten und Ausgezeichneten der Krone verband sich mit der Herausstellung der königlichen Sonderstellung für die eigenen Untertanen ebenso wie für die europäische Fürstengesellschaft. Selbst die Gnade Ludwigs XIV. gegenüber dem in reuiger Demut zurückgekehrten Condé ließ sich im Carrousel des cinq nations von 1662 zum Ausdruck bringen.

Martin Wrede hat eindrucksvoll die longue durée des Rittertums als Kern adligen Selbstverständnisses sowie als Mittel der Repräsentation von Herrscher und Adel und als Mittel der Kommunikation zwischen beiden herausgestellt. Seine Befunde korrespondieren mit Erkenntnissen der Kunstgeschichte, in denen sowohl Ulrich Schütte als auch Matthias Müller in wichtigen Untersuchungen darauf hingewiesen haben [1], welch große symbolische Bedeutung fortifikatorische Bauelemente und Reminiszenzen an das Burgenzeitalter auch noch im 16. und 17. Jahrhundert hatten und wie man im Schlossbau bemüht war, die Burgentradition und die damit einhergehende Semantik der Wehrhaftigkeit und der militärischen Stärke zumindest symbolisch wachzuhalten.

Im Zusammenhang mit dem Turnierwesen scheint Wrede seine Aussage jedoch etwas relativieren zu wollen, sieht er bereits in der Regierungszeit Ludwigs XIV. die Abkehr von ritterlichen Festivitäten am Hof, tauchen auch die Begriffe Dekadenz und Verfall öfter auf als in den vorherigen Kapiteln. Dabei scheinen mir solche Relativierungen gar nicht zwingend erforderlich zu sein. Wrede konstatiert zu Recht, dass die höfische Vorführung adliger Qualitäten zu Pferd in den Turnieren und Reiterspielen am Hof mit einer Kriegspraxis korrespondierte, bei der die Stellung als Kavallerieoffizier zu den vornehmsten Positionen eines Adligen auf dem Schlachtfeld zählte. Eine Art Verfallserscheinung des Turnierwesens und der Reiterspiele im 18. Jahrhundert begründet Wrede anhand eines Traktats von Hans Friedrich von Flemming aus dem Jahr 1726 mit der Marginalisierung der Kavallerie in der Kriegführung des 18. Jahrhunderts. Flemming irrte allerdings, als er die Reitkunst auf dem Schlachtfeld seiner Zeit als unerheblich deklarierte. Gerade auch in den friderizianischen Kriegen zeigte sich mehrfach die große, mitunter die schlachtentscheidende Bedeutung der Reiterei - Hohenfriedberg ist dafür nur ein besonders prominentes Beispiel. Auch im 18. Jahrhundert hatte der Adlige zu Pferd daher seine Existenzberechtigung nicht verloren, weder auf dem Schlachtfeld noch im höfischen Reiterkarussell.

Martin Wrede hat mit seiner Arbeit eine wichtige Studie zum adligen Selbstverständnis vorgelegt und die verschiedenen Manifestationen des adligen Ritterideals in der Frühen Neuzeit grundlegend erforscht. Wir sollten in Zukunft vorsichtiger damit sein, Kaiser Maximilian I. als "letzten Ritter" zu bezeichnen - er hat bis zur Französischen Revolution und sogar darüber hinaus noch zahlreiche Nachahmer gefunden.


Anmerkung:

[1] Ulrich Schütte: Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der Frühen Neuzeit im Alten Reich, Darmstadt 1994; Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reiches (1470-1618), Göttingen 2004.

Andreas Pečar