Agnieszka Malek / Dorota Praszalowicz (eds.): Between the Old and the New World. Studies in the History of Overseas Migrations (= Migration - Ethnicity - Nation: Cracow Studies in Culture, Society and Politics; Vol. 1), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012, 180 S., ISBN 978-3-631-61757-1, EUR 37,80
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Zwischen der Alten und der Neuen Welt lautet der Titel eines kürzlich erschienenen Sammelbandes, der sich mit neueren Forschungen zur amerikanischen Ethnizität beschäftigt. Dabei stehen multikulturelle Orte, jüdische Erfahrungen und polnisch-amerikanische Gemeinschaften im Zentrum. Der Sammelband stellt die Ergebnisse eines Workshops in Krakau vor, bei dem 2010 eine Gruppe von Sozialhistorikern an der Jagiellonen-Universität zusammentraf. Gemeinsam ist den meisten Beiträgen eine Annäherung "von unten" an die Migrationsgeschichte, bei der die individuellen Lebensgeschichten einen wichtigen Ausgangspunkt darstellen.
Den Auftakt bildet eine Studie zu den Geldüberweisungen von Einwanderern in ihr Herkunftsland, die Barabara M. Posadas und Roland L. Gruyotte am Beispiel philippinischer Einwanderer in den USA analysieren. Sie interessieren sich für die Motivationen der Einwanderer, die staatliche Politik und die sozialen Konsequenzen der Geldsendungen. Für Regierungen aus den Ländern des globalen Südens sind die Rücküberweisungen zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Von daher verwundert es kaum, dass sie die Auswanderung gezielt förderten, wie z.B. die philippinische Regierung seit den 1970er Jahren. Die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo erklärte die Emigranten 2009 zu "moderne Helden" (23). Zwar fordern die Autoren, neben der ökonomischen Dimension auch kulturelle und soziale Folgen einzubeziehen. Diesen Anspruch lösen sie allerdings nur oberflächlich ein, in dem sie auf emotionale Belastungen für emigrierende Mütter und familiäre Konflikte über die Höhe der Rücküberweisungen verweisen.
Während die philippinischen Einwanderer in der Lage waren, Geld an ihre zurückgebliebenen Familien zu senden, stellt der Beitrag von Stan Nadel die Erfahrungen verarmter europäischer Immigranten ins Zentrum. Er ruft dazu auf, den fest verankerten Erfolgsmythos der US-Einwanderungsgeschichte zu hinterfragen: Die Migrationsforschung der letzten Jahre habe sich zu einseitig auf erfolgreiche Familien, Institutionen und Gemeinden konzentriert. Stattdessen solle sie stärker die Erfahrungen gescheiterter Immigranten einbeziehen. Dazu analysiert Nadel die Armut irischer, deutscher, italienischer und osteuropäischer Einwanderern seit den 1840er Jahren. Die irischen Einwohner lebten häufig in von Epidemien geplagten Vierteln, in denen katastrophale Lebensbedingungen herrschten. In Boston hieß es, ein irischer Einwanderer habe bei seiner Ankunft nur noch eine Lebenserwartung von 14 Jahren. Die Situation der deutschen Einwanderer war etwas besser, da sie entweder mit einem gewissen Startkapital auswanderten oder über Fähigkeiten verfügten, die auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt gefragt waren. Anfällig für Armut waren in dieser Gruppe vor allem alleinstehende Frauen. Um den Erfolg der Einwanderergruppen zu beurteilen, wirft Nadel einen Ausblick auf die Lebenswege der folgenden Generation, für die der Zweite Weltkrieg einen Einschnitt bildete: Das Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahre und die gestärkte Position der Gewerkschaften sorgten für einen Rückgang der Armut in den 1950er Jahren. Allerdings spielten auch die verschärften Einwanderungsbestimmungen eine Rolle, die die Aufnahme mittelloser Einwanderer seit den 1920er Jahren begrenzten.
Parks waren für polnische Einwanderer in Chicago Anfang des 20. Jahrhunderts wichtige Orte. Sport, Erholung, Ausbildung, kulturelle Veranstaltungen bis hin zu Mobilisierungskampagnen für die polnische Armee fanden auf den öffentlichen Grünflächen der Industriemetropole statt, wie Dominic A. Pacyga in seinem Beitrag zeigt. Eingerichtet worden waren die Parks auf Initiative progressiver Reformer, die die Lebensbedingungen in der stark ethnisch und sozial gespaltenen Stadt verbessern wollten. Darüber hinaus sahen sie die Parks als ein Mittel, um die Einwanderergruppen zu "amerikanisieren", wie z.B. durch Amerikanisierungskurse der YMCA, die in den Chicagoer Parks ein großes Publikum erreichten. Doch auch die Einwandererorganisationen erkannten schnell die Möglichkeiten, die ihnen die Parks boten und nutzen sie für ihre eigenen Aktivitäten. Die Parks trugen so zur Stärkung eines Gemeinschaftsgefühls auf ethnischer Grundlage bei. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich kultureller Transfer in öffentlichen städtischen Räumen abspielen kann. Interessant wäre es, den Konflikten zwischen Einwanderergruppen weiter nachzugehen, die der Autor nur kurz streift, als er Auseinandersetzungen zwischen deutschen und polnischen Einwanderern erwähnt.
Auch Grenzkontrollpunkte und Auswanderungshallen waren Orte, an denen verschiedene Einwanderergruppen zusammentrafen. Tobias Brinkmann thematisiert in seinem Aufsatz jedoch die Herausbildung eines internationalen Systems an Grenzkontrollen. Dazu analysiert er die Situation im Hamburger Hafen sowie an zwei Eisenbahnstationen in Westgalizien und Oberschlesien. Er zeigt, wie die verschärften Einwanderungskontrollen der USA und die Errichtung von Ellis Island ihre Rückwirkung auf dem europäischen Kontinent zeigten und dort eine Verschärfung der Kontrollen bewirkten. Gleichzeitig gewannen mit den Schifffahrtsgesellschaften private Akteure einen entscheidenden Einfluss auf die Durchführung der Kontrollen. Sein Beitrag beleuchtet einen Raum zwischen Alter und Neuer Welt aus der Perspektive der staatlichen Autoritäten.
Der Sammelband endet mit einem Ausblick auf polnisch-amerikanische Lebenswelten. David A. Jones stellt exemplarisch die Entwicklung polnischer Viertel im Massachusetts des 20. Jahrhunderts vor. Sie zeichneten sich durch eine besondere Architektur dreistöckiger Holzhäuser aus, die so genannten "triple decker". Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen viele Familien die polnischen Viertel und zogen in nahegelegene Vororte. Ihr Platz wurde durch neue Einwanderergruppen eingenommen. Jones' Studie beruht v.a. auf teilnehmender Beobachtung. In einigen Textpassagen scheint es, dass der Autor Mythen der polnischen Gemeinschaft übernommen hat, wie z.B. wenn es über die Viertel heißt: "They are, they were, a cut above other ethnic neighbourhoods in America: cleaner, with far more visible flowers in window boxes, almost crime free." (159) Eine größere Distanz und die Einbeziehung anderer Perspektiven wären hier wünschenswert gewesen, ebenso wie ein vergleichender Blick auf andere Regionen der USA.
Der Sammelband bietet einige interessante Beiträge zu neueren Debatten in der Migrationsgeschichte. Allerdings vermisst man schmerzlich eine inhaltliche Einführung der Herausgeberinnen, die die übergeordneten Fragestellungen des Sammelbandes bündeln. Besonders im Kapitel über die jüdischen Erfahrungen wäre eine stärkere redaktionelle Bearbeitung wichtig gewesen, da der Beitrag über die Reaktion amerikanischer Juden auf den Holocaust sowohl thematisch als auch von der Länge her deutlich aus dem Rahmen fällt.
Christiane Berth