Christoph von Hehl: Adolf Süsterhenn (1905-1974). Verfassungsvater, Weltanschauungspolitiker, Föderalist (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 62), Düsseldorf: Droste 2012, 680 S., ISBN 978-3-7700-1913-7, EUR 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Manfred Knedlik (Hg.): Leonhard Müntzer. Ein dichtender Kämmerer der Frühen Neuzeit in Amberg. Eine Edition, Regensburg: Friedrich Pustet 2013
Irina Stange: Hans Ritter von Lex. Ein Leben für den Staat, Göttingen: Wallstein 2022
Johan van Merriënboer: Mansholt. A biography, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011
Adolf Süsterhenn war einer der wenigen prominenten CDU-Politiker der zweiten deutschen Nachkriegszeit, die im Rahmen der sehr gut erforschten Geschichte der Christdemokratie bisher noch keine biographische Würdigung erfahren hatten. Wenn er auch nie zur ersten Garde gehörte, scheint eine wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm doch lohnend zu sein. Denn er nahm eine bestimmende Rolle bei den rheinland-pfälzischen Verfassungsberatungen ein, bemühte sich um die Verankerung kirchlicher Positionen im Grundgesetz, war ein Visionär der deutsch-französischen Freundschaft, befürwortete die Weststaatslösung und war als Radikalkatholik und Extremföderalist geradezu verschrien. Christoph von Hehl hat es nun unternommen, eine Biographie Süsterhenns zu verfassen, und zwar als politologische Dissertation am Bonner Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie.
Die Vorstellung der Vorgehensweise in der Einleitung meidet die Scylla der immer gleichen Wiederholung allgemeiner methodischer Auslassungen über Sinn und Unsinn von politischen Biographien. Dafür ist die Arbeit leider auch gekennzeichnet von der Charybdis der Vernachlässigung spezieller methodischer Überlegungen. Diese wären aber allein geeignet, den Stellenwert der Person Süsterhenns im politischen Raum auszuloten, das Allgemeine im Besonderen zu finden und so den gegenwärtigen Ansprüchen an eine politische Biographie zu genügen. Der knappe Hinweis auf das von Christian Klein herausgegebene "Handbuch Biographie" [1] ist hier nicht ausreichend (13). Wie sehr die analytische Schärfe einer politischen Biographie von der Anwendung soziologischer und politologischer Methoden profitieren kann und die Forschungsergebnisse deshalb über das bloße Interesse an der Person hinausweisen, lässt sich an Oliver Brauns mehr systematischer als narrativer Studie über den mit Süsterhenn im Hinblick auf Alter und politische Positionen durchaus vergleichbaren bayerischen Kulturpolitiker Alois Hundhammer zeigen. [2] Im Gegensatz dazu steht Süsterhenn in darstellerischer Hinsicht im Rahmen von Hehls positivistischer Herangehensweise als eindeutiger Held im Mittelpunkt einer stringent chronologischen Erzählung. Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, als würde sich Hehl Süsterhenn in inhaltlicher Hinsicht unkritisch nähern. Hehl zeigt die charakterlichen Schwächen Süsterhenns, etwa seinen "Versorgungskomplex" (590), ungeschönt auf, ebenso die weltanschauliche Enge in dessen Denken (z. B. 521f.) sowie die in einer Demokratie kaum erträgliche, bei Süsterhenn aber ausgeprägte politische Instrumentalisierung seines Amtes als Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofes (439-537).
Hehl stellt die einzelnen Lebensstationen Süsterhenns in quantitativer und qualitativer Hinsicht ausgewogen dar. Zunächst behandelt er Süsterhenns Herkunft aus einer kleinbürgerlichen Familie Kölns und seine akademische Sozialisation in den Jahren der Weimarer Republik. Diese war nicht nur darum bedeutsam, da er erstmals mit dem politischen und sozialen Katholizismus in Berührung kam, sondern vor allem deshalb, weil damals die ihn nicht mehr verlassende naturrechtliche Prägung seines Denkens grundgelegt wurde, wie Hehl überzeugend darlegt. Es folgt die Darstellung von Süsterhenns Verhalten im Dritten Reich. Hier nennt Hehl nicht nur die anwaltschaftliche Vertretung weltanschaulicher Gegner des Nationalsozialismus. Er behandelt auch die kurzzeitigen Annäherungsversuche an die nationalsozialistischen Machthaber, die unter gewissem existentiellen Druck erfolgten, aber im Hinblick auf seine spätere Karriere verhängnisvoll wirkten, da sie bei Ämterbesetzungen als Argument immer wieder gegen ihn vorgebracht wurden.
Den Schwerpunkt der Arbeit bildet Süsterhenns Wirken nach 1945, das geprägt war von einer engen Zusammenarbeit mit den französischen Besatzungsbehörden und der katholischen Kirche. Zunächst schildert Hehl Süsterhenns Rolle als Parteigänger Konrad Adenauers in der Frühzeit der CDU und dessen Wirken als rheinland-pfälzischer Justiz- und Kultusminister, aber auch dessen Bedeutung als maßgeblicher Gestalter der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz. Hier und bei der Darstellung von Süsterhenns Rolle bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes macht Hehl deutlich, wie sehr sich Süsterhenn als Vollstrecker katholischer Wünsche fühlte, die sich beim Grundgesetz - etwa in schulischer Hinsicht - freilich nicht derart umfangreich verwirklichen ließen wie in der rheinland-pfälzischen Verfassung. Je mehr Hehl in diesem Zusammenhang die naturrechtliche Prägung Süsterhenns betont, desto empfindlicher wirkt das Fehlen einer Analyse des tatsächlichen politischen Potentials naturrechtlicher Postulate, etwa in der Auseinandersetzung mit August M. Knolls Kritik des neuscholastischen Naturrechts. [3] Es folgt die ausführliche Darstellung von Süsterhenns Wirken als Präsident des rheinland-pfälzischen Landes- bzw. Oberverwaltungsgerichts und Vorsitzender des Verwaltungsgerichtshofs, seine Rückkehr in die Politik in der Rolle des vergleichsweise unbedeutenden Bundestagsabgeordneten, in der er sich mit unzeitgemäßen kulturpolitischen Postulaten - etwa in der Filmpolitik - immer mehr ins Abseits manövrierte.
Hehls bebilderte und mit einem Personenregister versehene Studie befindet sich in Übereinstimmung mit der bisherigen Forschung zur Geschichte der CDU im untersuchten Zeitraum. Sie relativiert weder die Kenntnisse zur Geschichte der CDU noch diejenigen über Süsterhenns Biographie, stellt beide aber auf ein noch breiteres Fundament. Hehls Verdienst liegt darin, das Leben Süsterhenns mit Fleiß und Detailversessenheit unter Verwendung von Quellen aus 20 Archiven, mehreren Gesprächen mit Zeitgenossen, 101 ausgewerteten Zeitungen und Zeitschriften sowie der eigenen Publikationen des Vielschreibers Süsterhenn nachgezeichnet zu haben. Dabei zeugt das beindruckend umfangreiche, 50seitige Literaturverzeichnis von einer stupenden Kenntnis der Literatur zur Geschichte der CDU im behandelten Zeitraum. Angesichts der bisweilen nur mehr einen Selbstzweck erfüllenden Detailliertheit der Aussagen - z.B. wenn Hehl angibt, dass Süsterhenn gegen eine Gebühr von 20,08 Reichsmark als Anwalt zugelassen wurde (57) - ist der Leser dem Autor dankbar, dass jedes Großkapitel mit einer Zusammenfassung abgeschlossen wird.
Anmerkungen:
[1] Christian Klein (Hg.): Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart 2009.
[2] Oliver Braun: Konservative Existenz in der Moderne. Das politische Weltbild Alois Hundhammers (1900-1974) (= Untersuchungen und Quellen zur Zeitgeschichte; 7), München 2006.
[3] August M. Knoll: Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht (= Soziologische Essays), Neuwied 1968.
Johann Kirchinger