Hans Hattenhauer / Uwe Bake (Hgg.): Ein Fugger-Kaufmann im Osmanischen Reich. Bericht von einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien 1553-1555 von Hans Dernschwam, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012, XXVI + 411 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-631-62248-3, EUR 49,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hans Dernschwam, bis etwa 1549 Leiter der Fuggerischen Handelsniederlassung im ungarischen Neusohl, hat seinen Bericht über seine Reise in das Osmanische Reich von 1553 bis 1555 nie drucken lassen. Damit steht er im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Ogier Ghislain de Busbecq, dem kaiserlichen Diplomaten und ab Januar 1555 Leiter einer kaiserlichen Gesandtschaft nach Konstantinopel, an deren Reise Dernschwam als Privatmann teilnahm. Neben der 1889 im Fuggerschloss Babenhausen aufgefundenen Urschrift Dernschwams, deren Fundort wohl den Titel des vorliegenden Bandes inspirierte, existieren drei frühneuzeitliche Abschriften. Die von Franz Babinger 1923 herausgegebene annotierte Edition hat den Text erst für die Forschung erschlossen. Im Kontext neuerer Forschungen zur Reiseliteratur hat Dernschwams Bericht vor allem seit den 1990er Jahren mehrfach Aufmerksamkeit erfahren. Doch wurde bislang keine umfassende Untersuchung publiziert [1], ungeachtet der Fülle an Beobachtungen und Kommentaren zu geographischen Gegebenheiten, Herrschaftsverhältnissen, Bauten, Religion, Sitten und Gebräuchen, aber auch zu Ackerbau und Viehzucht der Landbevölkerung.
Hans Hattenhauer und Uwe Bake haben auf Grundlage der Urschrift und der Edition Babingers die Aufzeichnungen Dernschwams in die Gegenwartssprache übertragen und annotiert. Derartige Übertragungen sind ausgesprochen rar. [2] Der zweigeteilte Bericht umfasst die Reise von Wien nach Konstantinopel und den dortigen Aufenthalt bis 1555, wo die Gesandtschaft lange tatenlos in ihrer Unterkunft verharren musste, da der Sultan bald nach ihrem Eintreffen in den Krieg gegen die Perser aufbrach. Erst nach der Ablösung der Delegationsleiter durch Busbecq wurde die Erlaubnis erteilt, dem Sultan nach Amasya zu folgen - eine der damals überaus raren Gelegenheiten zur Bereisung Anatoliens. Von Amasya führte die Reise über Konstantinopel zurück nach Wien. Literaturangaben, ein kleines Glossar sowie eine Übersicht der Reisestationen schließen die Übertragung ab.
Ein epigraphischer Anhang von Patrick Breternitz und Werner Eck ediert, übersetzt und kommentiert die Reisenotizen zu griechischen und römischen Inschriften. In der Tat waren Dernschwams humanistische Interessen manifest, verfügte er doch über die zweitgrößte humanistische Privatbibliothek seiner Zeit in Ungarn und stand mit arrivierten Gelehrten in Kontakt. Das bekannteste antike Monument, das er als einer der ersten Humanisten beschrieb, ist zweifellos Kaiser Augustus' Monumentum Ancyranum. Dernschwam hielt neben epigraphischen Funden auch Gebäude und Alltagsgegenstände, etwa bäuerliche Arbeitsgeräte, zeichnerisch fest. Die in den Text eingebundenen faksimilierten Abbildungen hierzu vermitteln, wie die Faksimiles einzelner Textausschnitte, einen plastischen Eindruck von der Urschrift.
Die vorangestellte Einführung zu Dernschwams Reisebericht (IX-XXVI) wurde überraschend knapp gehalten. Über die Erörterung biographischer Informationen und möglicher Reisemotive Dernschwams hinaus wird die Quelle selbst eher kurz charakterisiert. Die Herausgeber nennen wichtige Themenbereiche und betonen eine Differenz zwischen beobachtenden, nur selten wertenden Passagen einerseits und deutlichen Invektiven gegen muslimische Riten, Herrschafts- und Sozialordnung des Osmanischen Reiches andererseits.
Die in der Forschung hervorgehobene Prägung der Wahrnehmung durch Dernschwams städtischen Lebensraum und durch zeittypische 'Türken'-Stereotype werden unterschiedlich differenziert dargestellt: Während etwa die verzerrte Sicht Dernschwams, osmanischer Wohlstand werde vor allem durch Sklavenarbeit ermöglicht, zu Recht als völlig "überzogen" präsentiert wird, kommentieren die Herausgeber andere Urteile, etwa, es gebe bei den Osmanen "keinen Bürgerstand und keine städtische Selbstverwaltung", als "ungemein klarsichtig" (XX); jüngere Forschungsbeiträge warnen dagegen, isolierte Befunde, etwa für die Sultansresidenz Konstantinopel, zu verallgemeinern. Hier und auch an anderen Stellen wäre eine umfänglichere Einbindung des Forschungsstandes wünschenswert gewesen. Informationen zur reichlichen Bebilderung des Bandes sind ebenfalls nur spärlich vorhanden, sowohl im Hinblick auf das Werk des Kupferstechers Melchior Lorichs, eines Reisebegleiters Busbecqs, als auch zu Illustrationen aus dem Reisebericht des Zeitgenossen Salomon Schweigger.
Die Übertragung aus dem Frühneuhochdeutschen ist in einer erfreulich klaren Sprache gehalten und bleibt, sofern möglich, nah an der Diktion der Urschrift. "Editionsgrundsätze" (VI) geben knapp die Leitlinien der Übertragung an. Etwas irritierend wirkt die Angabe, der "zeittypische sprachliche Grobianismus" sei abgemildert und, "wo nötig, in den Anmerkungen im Original mitgeteilt" (VI) worden. Unklar bleibt, ob die Überformung der mitunter drastisch formulierten Urteile Dernschwams durchweg explizit gekennzeichnet wurde.
Umfangreich gestaltet ist die Kommentierung des Textes. Hier wurde aus der Forschungsliteratur und aus einschlägigen Lexika über Babingers Annotationen hinaus eine Fülle von Erläuterungen zusammengetragen, die die Einordnung des Textes sehr erleichtern, seien es Informationen zur Biographie historischer Persönlichkeiten, zur osmanischen Verwaltung, zu Sitten, religiösen Gebräuchen, Ortsnamen, Gebrauchsgegenständen, Tieren, Feldfrüchten etc.
Aus stilistischer Sicht ist die Übertragung insgesamt als geglückt anzusehen. Zieht man vergleichend Babingers Edition heran, hätte man sich gleichwohl an manchen Stellen mehr Sorgfalt bei der Übersetzung bzw. deren Erläuterung in den Anmerkungen gewünscht (etwa zu "eingebildt", frühneuhochdeutsch "einbilden" für 'einprägen, etwas einreden', hier übersetzt mit "eingebildet", 103, oder zur Übersetzung des Adverbs "vast", frühneuhochdeutsch 'sehr, in hohem Maße', mit "beinahe", 108). Eine gründliche redaktionelle Durchsicht hätte überdies dem Band gut getan, angesichts etlicher Flüchtigkeits- sowie orthographischer Fehler im Text, vereinzelter irrtümlicher Personenzuordnungen (Verwechslung Jakob und Anton Fuggers, XVII, XXV) sowie einer Reihe uneinheitlicher Literaturangaben.
Ungeachtet der angesprochenen Defizite eröffnen Hans Hattenhauer und Uwe Bake mit ihrer Übertragung und ihrer informativen Annotierung des Reiseberichts Dernschwams einem Leserkreis ohne vertiefte Kenntnisse des Frühneuhochdeutschen wie auch der osmanischen Geschichte Zugang zu einem Text, der eine mentalitätsgeschichtlich ungemein aufschlussreiche Quelle für den Kulturkontakt frühneuzeitlicher christlicher Reisender mit dem Osmanischen Reich darstellt. Gleichwohl ist den Herausgebern zuzustimmen, dass eine kritische Edition der Urschrift, die insbesondere für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Dernschwams Bericht heranzuziehen wäre, nach wie vor ein wichtiges Desiderat bleibt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Wolfgang F. Reddig: Reise zum Erzfeind der Christenheit. Der Humanist Hans Dernschwam in der Türkei, 1553-1555, Pfaffenweiler 1990; Christof Jeggle: Die fremde Welt des Feindes? Hans Dernschwams Bericht einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien 1553-1556, in: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, hrsg. von Marlene Kurz u.a., Wien / München 2005, 413-426.
[2] Vgl. Dies.: Ottomannus. Vom Zustand, Macht und Gewalt, auch anderen verborgenen heimlichen Sachen des Ottomannischen Türkischen Reiches, beschrieben von einem Venedischen von Adel Lazaro Soranzo, Eisleben 1601, ins heutige Deutsch übertragen, 2009.
Regina Dauser