Doris Fässler (Hg.): Der Moderne Bund. Beginn der Moderne in der Schweiz, Luzern: Diopter 2011, 352 S., 147 Farb-, 186 s/w-Abb., ISBN 978-3-905425-16-1, EUR 69,00
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2011 jährte sich zum 100. Mal die Initiationsausstellung der Schweizer Künstlergruppe "Der Moderne Bund", die 1911 im Luzerner Grand Hôtel du Lac stattgefunden hatte. Anlässlich dieses Jubiläums veranstaltete das Kunstmuseum Luzern in Zusammenarbeit mit Doris Fässler, der Herausgeberin des hier zu besprechenden Bandes, im Herbst 2011 eine Ausstellung zum Thema [1], in deren Rahmen die vorliegende Publikation erschien. Dabei handelt es sich nicht um einen klassischen Ausstellungskatalog, der die Konzeption der Ausstellung aufgreift, sondern mehr um ein monographisches Handbuch, das, einen streng historischen Ansatz verfolgend, die Genese dieser ersten und wichtigsten schweizerischen Künstlergruppe der Moderne und deren Tätigkeiten untersucht.
Der Moderne Bund und viele seiner Mitglieder sind heute überwiegend in Vergessenheit geraten. Für die Schweiz ist der Einfluss der Gruppe allerdings nicht zu unterschätzen: Pionierarbeit, wie Viviane Ehrli 1981 schrieb, habe sie geleistet, indem sie die Schweiz mit der internationalen Avantgarde bekanntgemacht hat.[2] Die Gründungsmitglieder Hans Arp, Walter Helbig und Oskar Lüthy organisierten zwischen 1911-1914 Ausstellungen, in denen neben ihren eigenen Werken auch ausgewählte von Gauguin, Matisse, Picasso, Delaunay, Kandinsky, Marc und Münter gezeigt wurden. Die erste Ausstellung in Luzern machte ein "noch uneingeweihtes Publikum" (75) mit dem Kubismus bekannt, in der zweiten im Kunsthaus Zürich 1912 lag der Fokus auf dem Expressionismus des Blauen Reiters. Mit diesen Manifestationen ausländischen Kunststrebens positionierte sich der Moderne Bund gegen die konservative Gesellschaft Schweizer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA) und forcierte implizit auch ein "neues [künstlerisches] Leben nach Hodler"[3] mit ihrem "Geist der ersten Zeugen"[4], den sie von unabhängigen Aufenthalten in Paris mit in die Schweiz zurückgebracht hatten. In diesem Sinn schrieb Paul Klee 1911: "Sie [die Mitglieder des Modernen Bundes] sind keine bahnbrechenden Genies, sondern einfache Glieder einer von Paris ausgehenden, jetzt schon recht weit verzweigten Bewegung."[5] Auf die "strategischen Alibifiguren" Ferdinand Hodler, Cuno Amiet und Giovanni Giacometti wagte man, wie Paul Müller pointiert darlegt (123), in der Werkauswahl für die Ausstellungen aber trotzdem nicht zu verzichten.
Eingeleitet wird die Publikation von einem ausführlichen Aufsatz Doris Fässlers, der die Geschichte des Modernen Bundes von den ersten Begegnungen der Gründungsmitglieder bis zum Auseinandergehen der Gruppe darstellt. Fässler ist es durch ihre Untersuchungen möglich, bisher ungenaue Daten zu präzisieren. Wie schon andere Autoren vor ihr, baut sie ihren Darstellungsstrang anhand der Ausstellungen der Gruppe auf, fügt allerdings Exkurse, wie den zu der gemeinsamen Publikation "Neue Französische Malerei" von Hans Arp und dem Kunstautoren L.H. Neitzel (103), ein. In einem kürzeren Unterkapitel stellt Doris Fässler zudem die spannende These zur Diskussion, ob es sich bei den von der Forschung bisher unbeachteten Zeichnungen auf einer Wandvertäfelung im von Hans Arp frequentierten Haus Edelweiß in Weggis, dem Gründungsort der Künstlergruppe, um einen bislang unentdeckten "Arp-Raum" (43) handeln könne.
Es gelingt der Autorin weitere Ausstellungen des Modernen Bundes nachzuweisen. Statt der vorher bekannten vier Ausstellungen, sind nun sieben feststellbar. Damit ist sie auch in der Lage, das von den Mitgliedern weitgespannte Kommunikations-Netzwerk als solches zu benennen und genauer zu beschreiben. Fässler fügt bereits bekannte Fakten, wie die Verknüpfung des Modernen Bundes mit dem Blauen Reiter samt der organisatorischen Parallelen der beiden Künstlergruppen, die Ausstellungen in den für die Moderne nicht wegzudenkenden Galerien Hans Goltz in München und Der Sturm in Berlin, die Kontakte zu Schweizer Sammlern wie Richard Kisling und die wichtige Rolle L.H. Neitzels, zusammen. Erweitert wird der Netzwerk-Ansatz durch Fässlers Darstellungen zur Beteiligung einiger Mitglieder an der Armory Show 1913 und beim Ersten Deutschen Herbstsalon im selben Jahr.
Der monographischen Übersicht schließen sich kürzere Kapitel zu den Mitgliedern Hans Arp, Walter Helbig, Oskar Lüthy, Wilhelm Gimmi, Hermann Huber u.a. und den Assoziierten wie Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti und Paul Klee an, verfasst von ausgewiesenen Kennern dieser Künstler, wie beispielsweise Viola Radlach, Walburga Krupp und Silvia Volkart. Nachdem Fässler die größeren historischen Bahnen des Modernen Bundes nachzeichnen konnte, wird der Blick nun auf die Eintrittsumstände und Ausstellungsbeteiligungen der einzelnen Mitglieder gelenkt und damit noch einmal präzisiert und für den Leser lebendiger gemacht.
Auch wenn die Publikation nicht durch die drucktechnische Qualität der Abbildungen überzeugen kann, tut sie es durch ihren umfangreichen Quellenanhang. Schon Walter Kern [6] und Christoph von Tavel [7] haben ihren grundlegenden Aufsätzen zum Thema wichtiges Quellenmaterial beigefügt, das Fässler nun aufnimmt und mit neuen Fundstücken bereichert. Dazu gehören auch drei Brief Arps an Kandinsky aus dem Jahr 1912, die in dem Band erstmals publiziert werden. Reproduktionen der Ausstellungskataloge und Mappenwerke vervollständigen die wertvollen Einsichten, die der Leser durch diese Publikation gewinnen kann. Die vorliegende Publikation erweitert und vertieft sachlich die Ergebnisse bekannter Forschungen.
Anmerkungen:
[1] Kuratiert von Christoph Lichtin.
[2] Viviane Ehrli: Der Moderne Bund, in: Ausst.-Kat. Künstlergruppen in der Schweiz 1910-1936, Aargauer Kunsthaus, Aarau 1981. 38.
[3] Heiny Widmer: Vorwort, in: Ausst.-Kat. Künstlergruppen in der Schweiz 1910-1936, Aargauer Kunsthaus, Aarau 1981. 8.
[4] Ebd.
[5] Paul Klee: "Die Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich", in: Die Alpen Jg. 6, 1911/12, 696-704, zitiert aus Quellenanhang: Walter Kern: Der Moderne Bund (1910-1913), in: Werk, Heft 11, Bd. 52, 1965, 415.
[6] Walter Kern: Der Moderne Bund (1910-1913), in: Werk, Heft 11, Bd. 52, 1965, 411-418.
[7] Christoph von Tavel: Dokumente zum Phänomen "Avantgarde". Paul Klee und der Moderne Bund in der Schweiz, 1910-1912, in: Beiträge zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Jahrbuch 1968/69, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich 1970, 69-116.
Elisa Tamaschke