Renate Blumenfeld-Kosinski / Kiril Petkov (eds.): Philippe de Mézières and his Age. Piety and Politics in the Fourteenth Century (= The Medieval Mediterranean; Vol. 91), Leiden / Boston: Brill 2012, X + 532 S., ISBN 978-90-04-21113-1, EUR 177,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Renate Blumenfeld-Kosinski: The Strange Case of Ermine de Reims. A Medieval Woman Between Demons and Saints, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2015
Kiril Petkov: The Anxieties of a Citizen Class. The Miracles of the True Cross of San Giovanni Evangelista, Venice 1370-1480, Leiden / Boston: Brill 2014
Den Kreuzzugsspezialisten ist er bekannt. Und auch die Vertreter der mediävistischen Romanistik haben sich immer wieder (und sei es auch nur im Kielwasser einer blühenden Christine de Pizan-Forschung) mit ihm beschäftigt. Von einem breiteren Fachpublikum wird Philippe de Mézières, dessen Lebenszeit (1327-1405) weite Teile des 14. Jahrhunderts umspannt, freilich eher als Randfigur begriffen. Von 1359 bis zur Ermordung Peters I. zehn Jahre später fungierte er als Kanzler des Königreichs Zypern, war später Ratgeber Karls V. von Frankreich und verbrachte die letzten Lebensjahre im Pariser Coelestinerkonvent. Philippe ist der Verfasser bedeutender, in seiner Zeit hochgeschätzter Arbeiten, darunter die Vita des Karmeliten und päpstlichen Legaten Pierre Thomas (1366) oder die Epître lamentable et consolatoire über die Niederlage der abendländischen Kreuzfahrer in Nikopolis (1396). Sein bedeutendstes Werk, der Songe du Vieil Pelerin (1386-1389), ist ein politischer Text, in dem mittels Allegorien Reflexionen über den Zustand der Welt angestellt und mit konkreten Reformvorschlägen verbunden werden.
Dass die noch immer maßgebliche Biographie zu Philippe inzwischen über hundert Jahre alt ist [1], mag die Notwendigkeit verdeutlichen, eine mise à jour der aktuellen Philippe de Mézières-Forschung zu wagen. Dieser Aufgabe haben sich Renate Blumenfeld-Kosinski und Kiril Petkov, ausgewiesene Kenner des 14. Jahrhunderts, gestellt und einen Band vorgelegt, der auf den Vorträgen einer Tagung fußt, die unter dem Titel "The Age of Philippe de Mézières. Fourteenth-Century Piety and Politics between France, Venice, and Cyprus" vom 10.-14. Juni 2009 in Nikosia stattfand. In 22 Artikeln wird versucht, das Phänomen Philippe de Mézières, seine Persönlichkeit und die Vielzahl der von ihm angestoßenen Projekte auf der Grundlage aktueller Forschungen neu zu beleuchten. Vier Großkapitel gliedern dabei die Informationsflut: 1. A tangled world. Literature of connectivity in Mézières' Age; 2. Politics as spiritual allegory; 3. A soldier and diplomat; 4. Affinities and contrasts. Mézières, his fellow-travellers, and his "others". In einer "special note" macht sich Sylvain Piron abschließend Gedanken über die universitäre Bildung Philippes (477-483). Der Band wird durch eine umfangreiche Bibliographie (497-525) und einen Index der Orte, Namen und Sachen (525-531) erschlossen.
Das Niveau der Beiträge ist - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - durchgängig hoch. Thematische Überschneidungen bleiben nicht aus, doch ist das Bemühen unverkennbar, Anschlussfähigkeit zwischen den einzelnen Artikeln herzustellen. So behandelt Michael Hanly (Philippe de Mézières and the peace movement, 61-82) das Wirken einer Gruppe von "court officials" wie Oton de Grandson oder Honoré Bovet und analysiert deren Texte vor dem Hintergrund einer die letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts prägenden, supranationalen Friedensbewegung. Dem Beitrag dieser Gruppe zur Verbreitung humanistischer Schriften nördlich der Alpen - mindestens eine Generation früher als von der Forschung bisher angenommen - wird anhand von Fallbeispielen nachgegangen. Hanlys Thesen haben einiges für sich, bleiben letztendlich aber spekulativ. Der in einem Pariser Codex überlieferten Korrespondenz zwischen Philippe, Bonifacio Lupi und Francesco Petrarca spürt Evelien Chayes nach (Trois lettres pour la postérité. La correspondance entre Philippe de Mézières, Boniface Lupi et François Pétrarque (Ms. Arsenal 499), 83-117), während Lori J. Walters den Blick auf das Ideal kontemplativer Einsamkeit in den Schriften Philippes, Christines de Pizan und Jean Gersons richtet (The Vieil Solitaire and the Seulette. Contemplative solitude as political theology in Philippe de Mézières, Christine de Pizan, and Jean Gerson, 119-144). Alle drei sahen den Reformbedarf in Politik und Gesellschaft und favorisierten ein Konzept, in dem Kontemplation in Abgeschiedenheit eine zentrale Rolle spielte - Kontemplation freilich nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, sollten die mit Hilfe von Kontemplationen gewonnenen Einsichten später doch nutzbringend im politischen und damit aktiven Leben eingesetzt werden.
Daisy Delogu analysiert in ihren Ausführungen anhand des "Songe du Vieil Pelerin" die Bedeutung des Begriffs roy naturel und macht auf ein von Philippe behandeltes Paradoxon aufmerksam: man ist zwar roy naturel qua Geburt, wird gleichzeitig jedoch zum roy naturel durch Erziehung (How to become the "Roy des Frans". The performance of kingship in Philippe de Mézières's Le songe du Vieil Pelerin, 147-164).
Die Behandlung des militärischen Engagements Philippes nimmt breiten Raum ein. Michel Balard liefert die Grundlage für das Verständnis dieser Aktivitäten (Philippe de Mézières et les républiques maritimes italiennes, 271-281). Anne Curry (War or peace? Philippe de Mézières, Richard II and anglo-french diplomacy, 295-320) und Adrian Bell (English members of the Order of the Passion. Their political, diplomatic and military significance, 321-346) bieten eindrucksvoll Einblick in das Aufgabenspektrum, das Philippe dabei zu bewältigen hatte. Während Curry die an Richard II. gerichtete Epistre lamentable kontextualisiert und im Rahmen der englisch-französischen Beziehungen am Ende des 14. Jahrhunderts interpretiert, richtet Bell den Blick auf das "Lieblingskind" Philippes, den von ihm gegründeten "Passionsorden". Ausgewertet wird eine wohl 1396 angefertigte Liste mit Ordensmitgliedern, die der dritten Redaktion der Regel (Paris, Bibliothèque de l'Arsenal, MS 2251) anhängt. Bell ist sich der Fallstricke bewusst, die diese Liste bereithält: waren die 60 namentlich angeführten Personen tatsächlich Mitglieder des Ordens oder spiegelt die Liste lediglich einen frommen Wunsch Philippes wider? Denn eines war doch klar: ein neuer, der Rückeroberung des Heiligen Landes gewidmeter Orden fiel aus der Zeit und konnte auf wenig mehr als gepflegtes Desinteresse auf Seiten der europäischen Herrscher hoffen. Immerhin sind durch die Analyse der Liste Rückschlüsse auf die geforderten Qualitäten der englischen Ordensritter möglich, wozu Mitgliedschaft im Hosenbandorden, Kreuzzugserfahrung in Preußen, Besuch des Heiligen Landes, diplomatischer Dienst und ausgedehnter Heeresdienst gehören.
1365 nahm Philippe an der Eroberung von Alexandria (und der Aufgabe der Stadt nur wenige Tage später) teil. Diese Ereignisse sind eng mit der Person von Philippes Gönner, König Peter I. von Zypern, verbunden. Das Verhältnis beider ist somit folgerichtig Gegenstand einiger weiterer Beiträge, in denen erfreulich breit auf die zypriotische Überlieferung selbst, insbesondere die Chronik des Leontios Makhairas, eingegangen wird (Edbury, Peter: Machaut, Mézières, Makhairas and Amadi. Constructing the reign of Peter I (1359-1369); Nicolaou-Konnari, Angel: Apologists or critics? The reign of Peter I of Lusignan (1359-1369) viewed by Philippe de Mézières (1327-1405) and Leontios Makhairas (ca. 1360/80-after 1432), 359-401).
Die Eroberung Alexandrias wurde auch in muslimischen Quellen dargestellt und erscheint dort - wenig überraschend - in anderem Licht. David J. Wrisley richtet den Blick auf die monumentale, bisher nicht übersetzte Schrift Kitab al-Ilmam des Al-Nuwari al-Iskandarani, und zeigt, dass die Ereignisse von 1365 dort nicht als logische Konsequenz der Periode nach 1291 erscheinen, sondern in einen sehr viel weiteren historischen Rahmen gestellt und als Ergebnis fortgesetzter (und mehr oder minder üblicher) Spannungen im östlichen Mittelmeerraum gedeutet werden (451-473).
Egal, welches Etikett man Philippe de Mézières anhaftet, egal, ob man in ihm einen "maximaliste modéré" (266), eine "driving force behind western ambitions in the Middle East" (61) oder "one of the foremost political theorists of his day" (147) sieht: die Lektüre des mit großer Sorgfalt lektorierten Bandes rückt eine zu Unrecht randständige Figur wieder ins Zentrum des Interesses. Es ist zu hoffen, dass die historische Forschung sich dieser Persönlichkeit, in der sich vielfältigste Entwicklungen des 14. Jahrhunderts verdichten, nun wieder verstärkt annimmt.
Anmerkung:
[1] Nicolae Jorga: Philippe de Mézières, 1327-1405. La Croisade au XIVe siècle, Paris 1896.
Ralf Lützelschwab