Thomas Krzenck: Johannes Hus. Theologe, Kirchenreformer, Märtyrer, Gleichen: Muster-Schmidt 2011, 204 S., ISBN 978-3-7881-3033-6, EUR 16,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Thomas Krzenck, promovierter Historiker und Übersetzer des monumentalen, dreibändigen Werkes "Die Hussitische Revolution" von František Šmahel, damit ausgewiesener Fachmann für das Hussitentum, legt eine gut überschaubare Biografie beziehungsweise Monografie zum Ahnherrn dieser Bewegung vor, dem Theologen, Kirchenreformer und Märtyrer Jan (Johannes) Hus. Krzenck geht chronologisch vor und orientiert seine Darstellung an der Lebensabfolge des tschechischen Reformators, streut dann aber an den entsprechenden Stellen immer wieder kleinere und größere Exkurse zu den relevanten historischen, theologischen und kirchengeschichtlichen Kontexten und Zusammenhängen ein, so dass man sich beim kontinuierlichen Lesen einen guten Ein- und Überblick verschaffen kann.
Das erste Kapitel zeichnet die Konturen des zeitgeschichtlichen Hintergrundes, des (scheinbar) "goldenen Zeitalters" unter Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Böhmen, einem der mächtigsten und einflussreichsten Herrscher des Spätmittelalters, mit dem wirtschaftlich starken Böhmen als Kernland samt der Hauptstadt Prag, mit etwa 40.000 Einwohnern im Rang einer europäischen Hauptstadt, dem repräsentativen Hradschin, dem mächtigen Veitsdom (beide erweitert) und der neu gegründeten Universität (der ersten im Reich nördlich der Alpen und östlich des Rheins) sowie mit etwa 2000 Berufsklerikern, also etwa jedem zwanzigsten Einwohner.
Hus dürfte beim Tod des Herrschers im Jahre 1378 etwa sieben Jahre alt gewesen sein. Als Historiker kennt und referiert Krzenck den Stand der Forschung mit allen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten: Hussens Geburtsjahr wohl 1370 oder 1371, der Geburtsort aller Wahrscheinlichkeit nach das südböhmische Husinetz (Husinec), die Abstammung aus einem eher ärmlichen Elternhaus, vielleicht von Bauern. Während seiner Lateinschul- und dann der Studienzeit in Prag ging es bei dem jungen Jan auf jeden Fall recht bescheiden zu. Dies änderte sich allerdings spätestens dann, als Hus eine Predigerstelle an der für die Predigt in der tschechischen Muttersprache bestimmten, immerhin etwa 3000 Zuhörer fassenden Bethlehemskapelle erhielt (mit knapp 30 Jahren wurde Hus 1400 oder 1401 zum Priester geweiht).
Die Reformbewegung, die sich an der Prager Hohen Schule beziehungsweise Universität nun immer stärker ausbreitete und der sich Hus als einer unter vielen anschloss, zu deren exponierter Führungspersönlichkeit er dann aber später mehr und mehr avancieren sollte, ist in mehreren Kontexten einzuordnen. Zentral ist die Aufnahme und Wirkung von Gedankengut des englischen Kirchenreformers John Wyclif. Philosophisch steht der Universalienstreit im Hintergrund, bei dem Wyclif und die Prager Reformer gegen die fortschrittlichen "Nominalisten" auf der traditionellen Seite der "Realisten" standen, das heißt die Begriffe - in der Tradition Platons - als das Ursprüngliche und Wirkliche, also das eigentlich "Reale" begriffen. Kirchenpolitisch war das zentrale Thema der geistige und vor allem moralische "Verfall" der Kirche, sicht- und greifbar im Schisma sowie in der Verkommenheit, der Simonie des Klerus.
Ekklesiologisch wurde die Kirche von Wyclif und zunehmend auch von Hus als Gemeinschaft der von Gott Erwählten begriffen. Eine weitere Ebene stellt die Frage der "Nation" dar. Wurden die zu Landsmannschaften zusammengefassten Studentengruppen an der Universität zuerst primär als Gemeinschaften der von Herkunft oder Sprache Gleichen begriffen, setzte sich jetzt eine nationale Sichtweise durch, bei der die aus Sachsen, Bayern und Polen stammenden Studenten und Dozenten (mehrheitlich moderne "Nominalisten") gegenüber den tschechischsprachigen im so genannten "Kuttenberger Dekret" von 1409 benachteiligt und damit von der Universität verdrängt wurden. Im gesamten ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhundert radikalisierte sich die Reformbewegung, der Streit eskalierte stufenweise. Zuerst distanzierte sich der anfänglich sympathisierende Erzbischof, dann ging der lange lavierende König Wenzel, um seinen Machterhalt besorgt, auf Distanz. Auch die Bewegung selbst franste aus, erlitt Verluste, Abspaltungen und Rückschläge. Schließlich musste Hus, der in der Bethlehemskapelle mit flammenden Predigten die Massen mobilisierte und zugleich an der Universität seine Lehrverpflichtungen erfüllte (zeitweise hatte er gar das Amt des Rektors inne), Prag verlassen und untertauchen, war er doch nach kirchlicher Exkommunikation, verschärftem Kirchenbann und weiteren Anfeindungen seines Lebens nicht mehr sicher. Er nutzte die Zeit, um seine beiden bedeutendsten Schriften De ecclesia (Über die Kirche; das zentrale theologische Werk) sowie die "Výklady Desatera" (Auslegung der Zehn Gebote; seine wohl wichtigste tschechische volkstümliche Schrift) zu vollenden und zu redigieren.
Der Rest ist bekannt: Als Vertreter der Prager Reformbewegung reist Hus 1414 zum Konstanzer Konzil, mit einem Geleitbrief des deutschen Königs Sigmund in der Tasche, um dort zur Überwindung des Kirchenschismas sowie zu einer Kirchenreform beizutragen, er wird aber in Haft genommen und nach einem Ketzerprozess, in dem es mehrere Versuche zu einer Vermittlung gibt, in dem er sich aber unversöhnlich (und gegenüber dem Kaiser wohl auch wenig geschickt) zeigt, zum Tod verurteilt und im Juli 1415 den Flammen übergeben, samt seiner persönlichen Habe - zur Vermeidung eines Märtyrerkults. Seine eigentliche Wirkung aber entfaltete er, wie etwa bereits Leopold von Ranke richtig bemerkte, erst nach seinem Tod. "Hussiten" wurde zum Synonym für die böhmischen "Ketzer" sowie die dann folgende Böhmische Reformation mit den Wirren der Hussitenkriege. Sein Name beziehungsweise sein Anliegen aber wurde in der Folgezeit - teilweise bis zur Gegenwart - für die verschiedensten Anliegen und Interessen in Anspruch genommen oder auch usurpiert: von der deutschen Reformation, von tschechischen Nationalbestrebungen, schließlich gar von kommunistischer Seite aus. Die wissenschaftlich ausgerichtete, recht aktive Hus-Forschung der Gegenwart aber blickt auf das bald anstehende Jubiläumsjahr, den 600. Todestag von Hus im Jahr 2015.
Alles in allem liegt ein gelungener Überblick vor, der die Lebens- in die Zeitgeschichte einordnet und das Maß wahrt zwischen der Herausarbeitung des Profils dieses bedeutenden Reformators und zugleich der Betonung seines keineswegs so revolutionären, in zahlreichen Punkten eher traditionellen theologischen Denkens, das Kontur gewann vor allem durch die Übernahme mancher (keineswegs aller) Anliegen Wyclifs zu Kirchenverständnis und Kirchenreform.
Eine echte Herausforderung stellt allerdings in vielen Passagen die sprachliche Gestaltung des Textes dar, mit mitunter langatmigen, verschachtelten, mit verschiedenen Gedanken und Assoziationen vollgepackten Sätzen und ungewohnten, manchmal unbeholfen wirkenden Formulierungen, so dass vereinzelt der Sinn gar eher verdeckt als expliziert scheint. Zudem lassen manche Darstellungen und Sichtweisen stutzen. Unkommentiert und unreflektiert wird einer Steine werfenden "Gruppe jüdischer Kinder und Erwachsener" die Schuld für die (berechtigte?) Empörung der Bevölkerung über die angebliche "Hostienschändung" zugeschoben, und ein "zunächst völlig machtlos dem Pöbel" gegenüberstehender Rat der Stadt kann anscheinend nicht verhindern, dass das Judenviertel in Flammen aufgeht und eine große Zahl von Juden den Tod findet. Nein, so darf man heute nicht mehr über ein Judenpogrom berichten (25). Liest man das Werk jedoch mit der - eigentlich immer - nötigen Distanz und Kritik und lässt man sich von den sprachlichen Eigenheiten und Problemen nicht abschrecken, kann man einen sehr erhellenden, fundierten, reich mit (allerdings leider nicht nachgewiesenen!) Zitaten und Hinweisen belegten Überblick über das Leben und Werk von Johannes Hus gewinnen. Den Abschluss des Bandes bieten eine kurz gefasste, klare Zeittafel sowie prägnant kommentierte Hinweise auf das einschlägige Schrifttum (Sekundärliteratur).
Veit-Jakobus Dieterich