Munis D. Faruqui: The Princes of the Mughal Empire, 1504-1719, Cambridge: Cambridge University Press 2012, XVIII + 348 S., 19 s/w-Abb., 3 Karten, ISBN 978-1-107-02217-1, GBP 60,00
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Munis D. Faruqui, associate professor am Department of South and Southeast Asian Studies der University of California in Berkeley, hat sich für sein Werk einen auf den ersten Blick recht uninteressant aussehenden Gegenstand ausgesucht, nämlich die Rolle der männlichen Sprösslinge eines Herrschers im Mogulreich. Ihm geht es jedoch nicht darum, Lebensläufe nachzuzeichnen und minutiös die vielfältigen militärischen Auseinandersetzungen der Thronprätendenten zu schildern. Vielmehr versucht der Autor Antworten auf folgende übergeordnete Fragen zu gewinnen: "given the empire's wobbly bases in the localities (...), how did the empire successfully manage relations with so many communities, over so vast an area, for its just under two hundred years of effective rule? Of what was the imperial fabric (or spider's web) woven, over the many decades before the empire's collapse into a patchwork of regional successor states?" (6) Letzten Endes möchte Faruqui zeigen, dass die Prinzen, die quasi von Geburt an in einer extremen Konkurrenzsituation zueinander standen, durch ihre Bestrebungen, sich die beste Ausgangssituation für den Fall des Ablebens ihres Vaters zu sichern, eine enorme Dynamik erzeugten, die auf das gesamte Machtgefüge des Reiches eine sehr belebende Wirkung hatte. Nachdem Akbar 1580 entschieden hatte, seinen Söhnen keine größeren Territorien mehr zu unterstellen, sondern er sie peu à peu in das mansab-System eingliederte, war es für die Anwärter auf die Macht ungleich schwieriger geworden, in dem Kampf um die Herrschaft Reichtümer anzuhäufen, Einfluss zu gewinnen und militärische wie politische Netzwerke aufzubauen. In diesem tödlichen Wettstreit musste jeder Prinz ständig so viele Personen wie möglich innerhalb des gesamten Reiches zu rekrutieren und an seinen Hof zu binden versuchen. Auf diese Weise wurde vom ausgehenden 17. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Mobilität innerhalb der Mogulgesellschaft gefördert.
Faruqui behandelt vor diesem Hintergrund in seiner Studie vier Schlüsselthemen: (1) den Aufbau und die Struktur der prinzlichen Haushalte, (2) das ununterbrochene Bemühen, Anhänger zu gewinnen und neue Allianzen zu schmieden, (3) den unvermeidbaren Widerstand gegen den Vater, der bis zur offenen Rebellion führen konnte, und (4) die Nachfolgekriege. In Bezug auf die von ihm skizzierte Struktur, möchte Faruqui drei Perioden voneinander unterscheiden: eine frühe Phase (von Babur bis Akbar), eine mittlere, in der das System sich voll entfaltete (von Akbar bis in die 1680er Jahre), sowie eine späte, in der erste Risse und Brüche sichtbar wurden (von den 1680er Jahren bis zum Tode Aurangzebs 1707). Als Anschauungsmaterial dienen Faruqui 42 Prinzen, wobei der Schwerpunkt aus quellentechnischen Gründen auf etwa einem guten Dutzend zentraler Akteure liegt.
In einem Prolog diskutiert der Autor ausführlich die in dem Untersuchungszeitraum erkennbaren Nachfolgepraktiken am herrscherlichen Hof. Bis zur Zeit Akbars waren zentralasiatische Normen dominant, die es jedem männlichen Nachkommen der erweiterten Familie des Padischas erlaubten, sein Glück zu versuchen. Es folgte eine Zeit, in der nur noch die Söhne und Enkel an dem Wettlauf um die Macht partizipierten, wobei Jahangir und Shah Jahan sogar probierten, ihre Nachfolger direkt zu bestimmen. Beide scheiterten allerdings, so dass das Prinzip des "open-ended system" bis Aurangzeb die Regel blieb. Auch der nun folgende Teil, der der Zeit von der Eroberung Kabuls durch Babur im Jahre 1504 bis zum Regierungsantritt Akbars 1556 gewidmet ist, gehört fast noch zur Einleitung. Das dritte Kapitel, das sich gezielt mit den Haushalten der Prinzen beschäftigt, bildet dann den ersten Hauptteil der Untersuchung. Hier beschreibt Faruqui an ausgewählten Beispielen aus der mittleren Phase den Lebenslauf eines Herrschersohnes von seiner Geburt über seine Heirat und die Aneignung administrativer und politischer Erfahrungen bis hin zu seinen unermüdlichen Bestrebungen, eine eigene, ihm loyal ergebene Entourage aufzubauen. Am Ende stand nur der Erfolg oder der Tod. Die fürstlichen Machtgefüge bildeten, so kann Faruqui sehr überzeugend nachweisen, Mikrokosmen, die repräsentativ für die religiöse und ethnische Vielfalt des Mogulreiches waren und an denen zahllose Notabeln und Administratoren ihre ersten Erfahrungen mit der imperialen persisch-sprachigen Verwaltung und dem islamisch geprägten patrimonialen Herrschaftsverband machten. Es schließen sich sehr erhellende Ausführungen zu den Netzwerken der Prinzen mit der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite in der Zentrale wie auch in den Provinzen an. Jeder Thronanwärter musste nach 1685 überall nach Verbündeten suchen und seine Kontakte und Verbindungen möglichst ständig erweitern. Letztlich fiel die Macht stets an die am besten vernetzte Person.
Natürlich erzeugten die permanente Konkurrenzsituation und die systemisch vorgegebene Dissidenz Spannungen, die sich in Form von Auseinandersetzungen untereinander, aber auch in militärischen Aktionen gegen den Vater entluden. (Kapitel 5) Zwischen 1526 und 1707 sind insgesamt sieben prinzliche Rebellionen zu verzeichnen, von denen jedoch keine erfolgreich war. Im Gegensatz zu vielen Historikern, die diese Versuche, die Macht noch zu Lebzeiten des Herrschers an sich zu reißen, überaus negativ beurteilen, sieht Faruqui darin positive Kräfte, die zu einer deutlichen Stärkung der von den Moguln vertretenen politischen Kultur und ihrer Machtposition im Reich führten. In dem sechsten Abschnitt stehen dann die obligatorischen Nachfolgekriege im Mittelpunkt der Betrachtung. Bevor sie losschlugen, sammelten die Prinzen so viele Gefolgsleute, Material und Informationen wie sie nur konnten. Rivalen wurden möglichst vorher ausgeschaltet. Faruqui geht in diesem Kapitel aber auch auf die Zeit nach dem Erfolg eines der Anwärter ein. Sehr schön skizziert er, wie die neuen Potentaten die historische Unvermeidbarkeit und Sinnhaftigkeit ihres Sieges erklärten. Großzügig vergab man den Anhängern der ehemaligen Konkurrenten, versorgte aber gleichzeitig seine eigenen Leute flächendeckend mit Posten in der Verwaltung und im Militär. Auf diese Weise bedeutete jeder Machtwechsel eine gründliche Erneuerung der mogulzeitlichen Elite.
In dem abschließenden Teil des Buches beschäftigt sich Faruqui mit den letzten Jahren der Regierungszeit von Aurangzeb. Eine massive Finanzkrise am Ende des 17. Jahrhunderts hinderte die Prinzen daran, gut ausgestattete Haushalte aufzubauen. Die Auswirkungen auf grundlegende Strukturen des komplexen Machtgefüges innerhalb des Mogulreiches waren verheerend. Es entbrannte ein unkontrollierter Kampf um die Herrschaft, an dem nicht nur Aurangzebs Söhne, sondern eine ganze Reihe von Notabeln und lokalen Fürsten teilnahmen. Der Tod des Padischahs im Jahre 1707 bedeutete dann den Anfang vom Ende des von Faruqui so überzeugend beschriebenen Systems. Nach 1719 waren die prinzlichen Haushalte so geschwächt, dass die eigentlichen Thronprätendenten keine Netzwerke mehr aufbauen konnten. Sie stellten für die meisten Machtträger keine verheißungsvollen Partner mehr dar.
Munis D. Faruquis Buch formuliert auf der Basis von sehr guten Argumenten eine hochinteressante These, die unsere Kenntnisse von den politischen und gesellschaftlichen Mechanismen, die das Mogulreich im Innersten zusammenhielten, erweitert bzw. alte Sichtweisen korrigiert. Es setzt die Reihe der in den letzten Jahren erschienenen wichtigen Werke über das Zusammenspiel von zentraler Macht und Herrschaft im 16. und 17. Jahrhundert auf dem indischen Subkontinent fort. Eine wunderbare Ergänzung also zu Harbans Mukhias "The Mughals of India" (London 2004), Farhat Hasans "State and Locality in Mughal India. Power Relations in Western India, c. 1572-1730" (Cambridge 2004) und Ruby Lals "Domesticity and Power in the Early Mughal World" (Cambridge 2005)!
Stephan Conermann