Paul B. Jaskot: The Nazi Perpetrator. Postwar German Art and the Politics of the Right, USA: University of Minnesota Press 2012, IX + 275 S., 13 Farb-, 63 s/w-Abb., ISBN 978-0-8166-7825-9, USD 30,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Sigrid Lange: Das Spätwerk von Rudolf Schlichter (1945-1955), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2011
Meike Hoffmann: Leben und Schaffen der Künstlergruppe 'Brücke' 1905-1913. Mit einem kommentierten Werkverzeichnis der Geschäfts- und Ausstellungsgrafik, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2005
Matthew Biro: The Dada Cyborg. Visions of the New Human in Weimar Berlin, USA: University of Minnesota Press 2009
"Jeder der Täter spielte für die Formulierung und Durchführung der antijüdischen Maßnahmen eine spezifische Rolle. [...] Die Arbeit verteilte sich auf eine weitverzweigte Bürokratie, und jeder konnte sich einreden, nur ein Rädchen im immensen Getriebe zu sein. Daher bezeichneten sich Beamte, Schreiber, und uniformierte Wachmänner im Nachhinein nie als Täter." [1] Der amerikanische Historiker Raul Hilberg hat den ersten Teil seiner 1992 erschienenen Kollektivbiografie mit dem Wort Perpetrators überschrieben und widmete sich dann in zwei weiteren Abschnitten den Opfern (Victims) und den Zuschauern (Bystanders). Dabei kamen ihm mit Blick auf die erste Gruppe nicht nur die NS-Führer und -Eliten in den Blick, sondern auch "ganz normale Männer" (Christopher Browning) sowie die Frage, wer sich in welchem Grade als verantwortlich für den Massenmord fühlen konnte, musste, sollte.
Der in Chicago an der DePaul University lehrende amerikanische Kunsthistoriker Paul B. Jaskot, der mit einer Studie zu den architektonischen Bestrebungen und Unternehmungen der SS im Jahr 2000 eine wichtige Untersuchung zur Architektur des "Dritten Reichs" vorgelegt hat [2], wendet sich dem Problemkreis mit Blick auf die Kunstgeschichte zu. Wie setzten sich Künstler und Architekten mit den Tätern, Opfern und Orten des Nationalsozialismus auseinander und was waren die spezifischen historisch-politischen Bedingungen dieser Auseinandersetzungen. Ausgehend von einem allgemeineren Kapitel zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Kunst - dabei erörtert Jaskot den Einfluss Heinrich Wölfflins auf die antithetisch konstruierte Diffamierung der Moderne im "Dritten Reich" im Zusammenhang mit der Aktion "Entartete Kunst" und ferner die SS-Bauten in Auschwitz - kommen dabei in fokussierenden Studien vier paradigmatische Figuren oder Gegenstände zur Sprache: Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Daniel Liebeskind und das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Jedes dieser Kapitel hätte eine Einzelkritik verdient, ich nehme nur das Kapitel zu Richter in den Blick.
Gerhard Richter hat sich früh mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt, Nr. 3 seines Werkverzeichnisses zeigt einen aufgeregten Redner Adolf Hitler. Anhand Richters privater Familienbilder mit zeitgeschichtlichem Bezug und einer mit der Familiengeschichte in Zusammenhang zu bringenden Fotomalerei (Onkel Rudi, Tante Marianne und Herr Heyde, alle 1965) verdeutlicht Jaskot, wie - angesichts der kurz zuvor einsetzenden Aburteilung von führenden Nazi-Schergen im Jerusalemer Eichmann- bzw. Frankfurter Auschwitz-Prozess - Richter in doch recht überraschender Weise die Frage nach den Tätern, aber auch Opfern der NS-Politik stellt. Immerhin geht Jaskot davon aus, dass sieben von 65 Werknummern für den Zeitraum 1962-64 sich der NS-Vergangenheit stellen. In einer luziden Analyse des Gemäldes Christa und Wolfi, das zwei Frauen mit einem ins Zentrum gerückten deutschen Schäferhund zeigt (1964, The Art Institute of Chicago) verdeutlicht er die von Richter subtil herausgearbeitete Farbdifferenz zwischen dem Hund und dem Rest des Bildes. Auch wenn man weiß, dass Richter bei seinen Grauabmischungen, denen er immer einen Farbton zur Abmilderung beigab, unsystematisch vorging, ändert das nichts am anschaulichen Befund, der beabsichtigt scheint. Die eigentümliche Absenz eines "Täters" und die deutliche darstellerische Privilegierung des Hundes, der angesichts seiner symbolischen Bedeutung während des "Dritten Reichs" als Stellvertreter eines Täters fungieren kann, macht einen Reiz des Bildes aus. Richter selbst hatte im Interview mit Robert Storr 2002 in Anlehnung an Hannah Arendt von der Mischung aus Banalität und Schrecken (Verbrechen und Elend) angesichts seiner teilweise betont trivialen Bildvorwürfe gesprochen und damit auch eine Dimension des behandelten Gemäldes verdeutlicht.
Angesichts seiner Fragestellung tendiert Jaskot leider mitunter zu einer Überfrachtung der einzelnen Kapitel; die Hinweise auf Beuys Beitrag zum Wettbewerb für ein Auschwitz-Mahnmal und auf Werner Tübkes Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze stärken aus meiner Sicht die Argumentation nicht. Stattdessen hätte eine komplexere Diskussion der zeitgeschichtlichen Forschungen zur Geschichte der Verfolgung der NS-Verbrechen und zum Profil der Täter als Bereicherung empfunden werden können. [3] Auch vermisst man an dieser Stelle eine notwendige medienhistorische und -theoretische Diskussion des spezifischen künstlerischen Ansatzes von Richter, dessen künstlerische Qualität zugunsten der Engführung von primärem Bildinhalt und zeitgeschichtlicher Debatte in den Hintergrund gedrängt wird. Die von der Richter-Forschung diskutierten, vom Künstler malerisch gerade nicht umgesetzten KZ-Fotos im Atlas, die sich daran anschließende Diskussion der Nähe von W.G. Seebalds und Gerhard Richters Ansätzen oder schließlich die um 1965 gefasste, nicht realisierte Idee Richters (zusammen mit Konrad Lueg) Porno- und KZ-Fotos auszustellen werden von Jaskot leider gar nicht erörtert. [4] Was sagen sie über die künstlerische Strategie Richters in diesem Zusammenhang aus und wie verändert das die Sicht auf die Verbildlichung der "Täter"?
Paul Jaskots kritische Studien sind dennoch ein wichtiger Beitrag und seien jedem empfohlen, der sich für eine tiefergehende Diskussion und Deutung der künstlerischen "Erinnerungspolitik" oder "Vergangenheitsbewältigung" interessiert. Zusammen mit der brillanten, in methodischer und inhaltlicher Hinsicht ergänzenden Studie Mark Godfreys, Abstraction and the Holocaust von 2007 [5], vermisst Jaskot das Terrain neu - wer hätte denn zuvor außer in Klaus Staeck-Studien nach der Rolle der CDU in der Kunstlandschaft der BRD gefragt? - und gibt zahlreiche Denkanstöße, die die weitere Forschung vorantreiben werden.
Anmerkungen:
[1] Raul Hilberg: Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933-1945, Frankfurt/M. 1992, hier 9.
[2] Paul B. Jaskot: The Architecture of Oppression. The SS, Forced Labour and the Nazi Monumental Building Economy, London / New York 2000.
[3] Vgl. das Standardwerk des leitenden Oberstaatsanwaltes und Leiters der Zentralen Stelle in Ludwigsburg Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Heidelberg 21982.
[4] Vgl. Dietmar Rübel: Die Fotografie (un)erträglich machen. Gerhard Richter gesehen mit W.G. Seebald, in: Sechs Vorträge über Gerhard Richter (= Schriften des Gerhard Richter Archiv Dresden; Bd. 1), hg. von Dietmar Elger / Jürgen Müller, Köln 2007, 47-69.
[5] Mark Godfrey: Abstraction and the Holocaust, New Haven / London 2007.
Olaf Peters