Umberto Roberto: Le Chronographiae di Sesto Giulio Africano. Storiografia, politica e cristianesimo nell' età dei Severi, Soveria Mannelli: Rubbettino Editore 2011, 288 S., ISBN 978-88-498-3080-4, EUR 24,00
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Chroniken machen unter allen literarischen Quellengattungen wohl den sprödesten Eindruck. Doch bei näherem Zusehen zeigt sich, wie aussagekräftig und teils auch wohldurchdacht diese Texte in vielerlei Hinsicht sind, so dass in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von einschlägigen Studien entstand. Auch die Forschung zu Iulius Africanus hat von diesem Trend profitiert, insbesondere dank der vielseitigen Untersuchungen von Martin Wallraff und seinen Mitarbeitern, zu deren Kreis Umberto Roberto gehört. [1]
Der hochgebildete Iulius Africanus, über dessen Lebensdaten im Einzelnen wenig bekannt ist, war ein Reisender zwischen den Welten und erwarb vielseitige Verbindungen, etwa zu Abgar VIII., bis 212 König von Edessa, zu Bardasaines, zu Origenes, zu Heraklas. An Kaiser Severus Alexander (222-235) richtete er eine Bittschrift für Nikopolis-Emmaus und erhielt zudem von ihm den Auftrag, eine Bibliothek im Pantheon einzurichten. Allem Anschein nach bekleidete er kein Kirchenamt, sondern wirkte im Christentum durch seine intellektuelle Autorität.
Hauptwerke sind seine Kestoi, "Stickereien", wohl eine Art christlicher Enzyklopädie, sowie seine Chronographiae, die lange als älteste christliche Weltchronik galt und auch von Roberto so gesehen wird, wobei ihr die Leipziger Weltchronik, die einem christlichen Autor zugeschrieben wird [2], Konkurrenz machte. Das Werk des Iulius Africanus ist nur in Fragmenten erhalten, die ein ungefähres Bild vermitteln: In fünf Büchern durchmaß der Autor die Zeit von der Erschaffung der Welt bis zur Auferstehung und setzte den Weg dann wohl noch in großen Schritten 221 fort, also bis zur Regierungszeit Elagabals. Christliche und nicht-christliche Zeitrechnung wurden synchronisiert, das Ganze unter chiliastischen Vorzeichen.
Roberto betrachtet Africanus als Zeugen der severischen Kultur. Er beginnt mit einer Einführung in die Geschichte der Gattung "Universalgeschichte" und den historischen Kontext sowie die Überlieferungslage. Besonders wichtig ist dabei der Gedanke, dass es in der severischen Zeit, als das Reich als eine Polis konzipiert worden sei, nahegelegen habe, Universalgeschichte zu schreiben. Es folgt ein Abriss über das Leben des Africanus, der die komplexe Identität des römischen Bürgers aus Aelia Capitolina, dem vormaligen Jerusalem, beleuchtet und die vielfältigen namentlich syrische Einflüsse deutlich macht, mit denen der Chronist sich auseinandersetzte. In einem weiteren Kapitel betont Roberto, dass die Chronographiae nicht die Ausführlichkeit hellenistischer Universalgeschichten bieten, sondern den Charakter einer Epitome hätten, die aber Synchronismen herstellte, insbesondere zwischen Christi Geburt und der Entstehung des Römischen Reiches. Daraus ergibt sich für ihn auch der ausgeprägte Loyalismus des Africanus gegenüber Rom, für den Roberto nachdrücklich plädiert. Besonders wichtig sind jene Abschnitte, in denen Roberto herausarbeitet, wie Africanus verschiedene Wissenskulturen in die christliche integriert und zugleich den zeitlichen Vorrang der östlichen Welt - besonders markant am Beispiel Athens, das bei ihm eine ägyptische Kolonie ist - hervorhebt. Im letzten Kapitel diskutiert Roberto schließlich auch wichtige Lebensstationen des Africanus wie seine Stellung als Gesandter und in der Umgebung des Kaisers. (Vor den Schlussfolgender stehende) Anhänge zu den nicht-christlichen Quellen der Chronographiae, die er einzeln durchgeht, und zur Wirkungsgeschichte des Werks runden den Band ab.
Roberto hat einen wichtigen Beitrag zur geistes- und sozialgeschichtlichen Einordnung des Africanus vorgelegt; besonders seine enge Beziehung zur Zweiten Sophistik arbeitet er eindringlich heraus. Doch das Buch bietet mehr als dies: Es ist ein überaus wichtiger Beitrag zur Kultur der Severerzeit, die Roberto als eine dem Christentum gegenüber offene (Roberto spricht sogar von Toleranz), von einem paganen Universalismus geprägte Epoche zeichnet; die Werke des Africanus seien sowohl an Christen wie auch an Heiden gerichtet. Wenn man kontrafaktische Geschichte betreiben wollte, könnte man überlegen, ob sich hier vielleicht ein Modell des Zusammenlebens von Christentum und anderen Religionen andeutete, das allen Beteiligten weitere Spielräume eröffnet hätte, als es dann die Christianisierung des Römischen Reiches nach Constantin dem Großen erlaubte. Doch Roberto ist viel zu seriös, um so zu räsonieren.
Bisweilen hätte man sich eine rigorosere Strukturierung des Stoffes gewünscht. So finden sich Überlegungen zu Juda, der bisweilen als Vorläufer des Africanus gehandelt wird, an verschiedenen Stellen ebenso wie diejenigen zur Constitutio Antoniniana, die für Robertos Argumentation eine wesentliche Rolle spielt. Zwar kann man die Passagen über das zuverlässige Register leicht aufspüren, aber es wäre gerade in diesen Fällen hilfreich gewesen, die Argumentation geschlossen würdigen zu können. Auch fehlen manche Titel, die für die Erforschung der Zweiten Sophistik von zentraler Bedeutung sind, etwa die Arbeiten von Thomas Schmitz. Gering ist die Zahl der Versehen, etwa die Verschreibung des Namens von Géza Alföld∗y∗. Doch das alles sind Kleinigkeiten: Roberto ist ein wichtiges Buch gelungen, welches einen exponierten christlichen Autor in die antike Kultur einbettet und so eine neues Licht auf ihn und seine Zeit wirft.
Anmerkungen:
[1] Etwa Martin Wallraff (Hg.): Julius Africanus und die christliche Weltchronistik. Berlin u. a. 2006; Martin Wallraff (Hg.): Sextus Iulius Africanus Chronographiae: The Extant Fragments, übersetzt von William Adler, Berlin 2007.
[2] Alexander Weiß: Die Leipziger Weltchronik - die älteste christliche Weltchronik? In: Archiv für Papyrusforschung 56 (2010), 26-37. Roberto verspricht auf Seite 68, Anm. 2, eine nähere Auseinandersetzung mit dieser These.
Hartmut Leppin