John Eldevik: Episcopal Power and Ecclesiastical Reform in the German Empire. Tithes, Lordship, and Community, 950-1150 (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series), Cambridge: Cambridge University Press 2012, XVI + 315 S., 2 s/w-Abb., 4 Karten, ISBN 978-0-521-19346-7, GBP 60,00
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Die Frage nach bischöflicher Macht im 10. und 11. Jahrhundert steht im Zentrum der Studie von John Eldevik, die auf seiner 2001 abgeschlossenen Dissertation aufbaut. Der Zehnt dient dabei sozusagen als Brennglas, durch das wichtige Entwicklungen beleuchtet werden, die dazu geführt haben, dass die Mitte des 11. Jahrhunderts als Zeit des Umbruchs gewertet wird. Die Konflikte um den Zehnten, die Bischöfe mit adeligen Laien, Klöstern und Königen austrugen, werden in sozialhistorischer Perspektive betrachtet. Es geht also nicht um Darstellung und Wandel des ökonomischen Werts oder der rechtlichen Bestimmung des Zehnten, sondern um die sozialen Bindungen, die mit Hilfe des Zehnten eingegangen und gefestigt werden konnten. Eldevik verbindet in seiner Untersuchung die Makroebene der klassischen "Reichsgeschichte" - hier also der Beziehungen zwischen König und Bischof - mit der regional begrenzten Ebene des Bistums, in dem der Bischof sich mit lokalen Akteuren wie monastischen Gemeinschaften und adeligen "Herren" auseinandersetzen musste.
Bevor die Untersuchung auf regionaler Ebene erfolgt, bietet Eldevik eine ausführliche Einleitung mitsamt Forschungsüberblick und schildert anschließend die Ursprünge des Zehnten und seine Entwicklung bis in die Karolingerzeit (Kap. 1) und weiter bis in die Zeit der Ottonen (Kap. 2), als die Könige versuchten, die bischöfliche Kontrolle über den Zehnten zu gewährleisten.
Nach einem historischen Überblick über die Diözesen Lucca, Salzburg und Mainz (Kap. 3) bilden die folgenden drei Kapitel mit einer Analyse dieser ausgewählten Bistümer den Kern der Darstellung. Eldevik präsentiert dabei keine Gesamtdarstellung bischöflicher "Zehntpolitik", was aufgrund der Quellenlage ohnehin nicht möglich wäre, sondern drei Einzelfallstudien: Bei Lucca (Kap. 4) steht zunächst das späte 10. Jahrhundert im Mittelpunkt, als Bischof Teudgrim eine Reihe von livelli ausgab, den Zehnten also verlieh, um damit - ähnlich wie bei anderen Tauschgeschäften - Beziehungen zu anderen Adeligen zu pflegen. Diese Praxis verfolgt Eldevik anschließend durch das 11. Jahrhundert hindurch. Für Salzburg (Kap. 5) lassen sich vergleichbare Ergebnisse feststellen. Auch hier nutzte Bischof Gebhard (1060-1088) den Zehnten, um die Beziehungen zum Adel zu gestalten. Gleichzeitig lässt sich in den Quellen - besonders in hagiographischen Zeugnissen - eine Umdeutung der Vergangenheit erkennen, die es ermöglichte, die aktuelle Praxis besonders hervorzuheben. In Mainz (Kap. 6) kommt schließlich die Auseinandersetzung zwischen Bischof Siegfried (1060-1084) und den Klöstern Fulda und Hersfeld in den Blick, die sich vor allem in den Jahren 1069-1074 entfaltete. [1] In einem kurzen Resümee fasst Eldevik noch einmal seine Ergebnisse zusammen und bietet einen Ausblick auf die Entwicklungen des 12. Jahrhunderts.
Die Arbeit besticht durch detaillierte Analysen [2] der drei ausgewählten Regionen ebenso wie durch die vorsichtigen, die Gesamtheit des ostfränkischen Reichs im Blick behaltenden Schlussfolgerungen des Autors. Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich in dem Versuch der Bischöfe, die Kontrolle über den Zehnten (zurück) zu erhalten, auch eine neue Sichtweise auf Macht, Besitz und Territorialität zeigt. Eldevik warnt allerdings davor, seine Ergebnisse zu verallgemeinern und ungeprüft auf andere Regionen Europas zu übertragen. Er setzt die Ergebnisse seiner regionalen Untersuchungen geschickt in Bezug zu allgemeinen Entwicklungen und zu entsprechenden Forschungsdebatten um Feudalismus und Staatlichkeit. In diesem Zusammenhang ist es bedauerlich, dass der "Investiturstreit" selbst, der ja nicht unwesentlich durch Bischöfe geprägt wurde, nicht thematisiert wird. Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Thema hätte dem Buch sicherlich eine nicht erwünschte Unwucht gegeben, aber in den abschließenden Überlegungen vermisst man doch eine Stellungnahme zum Investiturstreit und zur Frage, wie sich die neue Sichtweise in den Reformdebatten des späteren 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts konfiguriert. Dieser Mangel ist allerdings nicht maßgeblich angesichts der Leistung des Buches, den Wandel der bischöflichen Macht am Beispiel des Zehnten von der Interaktion der Bischöfe auf lokaler Ebene ausgehend aufzuzeigen und in der reform- und spannungsreichen Zeit des 11. Jahrhunderts zu verorten.
Anmerkungen:
[1] Dieses Kapitel ist die leicht überarbeitete Fassung eines bereits zuvor publizierten Artikels: John Eldevik: Driving the Chariot of the Lord. Siegfried of Mainz and Episcopal Power in an Age of Transition, in: The Bishop Reformed. Studies in Episcopal Culture and Power in the Central Middle Ages, hg. v. John Ott / Anna Trumbore Jones. Aldershot / Burlington 2007, 159-186; der Band wurde rezensiert von Jörg Peltzer, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 3 [15.03.2008], URL: http://www.sehepunkte.de/2008/03/13801.html.
[2] Der Eindruck der akribischen Arbeitsweise wird lediglich an wenigen Stellen getrübt: So führt Eldevik den MGH-Concilia-Band VI, 1 an (95, Anm. 147), nicht aber den ebenfalls von Ernst-Dieter Hehl herausgegebenen, 2007 erschienenen zweiten Band. Darin finden sich die Synoden von Rom (967/968), Ravenna (968), Ingelheim (972) und Gandersheim (1000), auf denen der Zehnt thematisiert wird. Bei der Erwähnung des Pontifikale Romano-Germanicum verweist Eldevik nicht auf die dreibändige Edition von Cyrille Vogel und Reinhard Elze (Le Pontifical Romano-Germanique du dixième siècle. Città del Vaticano 1963-1972), sondern auf eine in die Jahre gekommene Studie von Carl Erdmann zur Königs- und Kaiserkrönung (111, Anm. 43). Bischof Sunderold von Mainz (889-891) war außerdem nicht der Nachfolger von Hatto (891-913), wie es auf Seite 108 heißt, sondern von Liutbert (863-889). Abgesehen von einigen wenigen Druckfehlern ist die Arbeit ansonsten gut lektoriert, was angesichts vieler deutscher und italienischer Titel in der Bibliographie durchaus positiv hervorzuheben ist.
Dominik Waßenhoven