Valentina Arena: Libertas and the Practice of Politics in the Late Roman Republic, Cambridge: Cambridge University Press 2012, IX + 324 S., ISBN 978-1-107-02817-3, GBP 60,00
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Zwar soll das hier anzuzeigende Buch, so die Verfasserin, gerade nicht jene immer noch "sehr lebhafte Debatte über die Natur der politischen Kultur" der (späten) römischen Republik fortsetzen, die durch Fergus Millars radikale Kritik an der 'elitistischen Orthodoxie' und seinen Gegenentwurf der res publica als eine Art von direkter Demokratie ausgelöst wurde und mittlerweile weit darüber hinaus geführt hat [1] - zumindest will sie es nicht als "direkten Beitrag" dazu verstanden wissen (12). Das hindert sie aber nicht daran, gelegentlich Partei zu ergreifen, wenn sie die "Einführung des Konzepts Demokratie" in die moderne 'Lesung' der römischen Politik begrüßt, weil sich damit schließlich die Aufmerksamkeit auf jene konkreten Agenden gerichtet habe, die von den zeitgenössischen Akteuren selbst als zentral wahrgenommen worden seien (168). Tatsächlich geht es dann ja auch um genau diese zentralen Themen allgemein und um ihre diskursive Verhandlung im politischen Prozess der späten Republik im besonderen - nämlich um den in der Rhetorik omnipräsenten Begriff der libertas und die unterschiedlichen, ja konträren Semantiken, die dem Konzept 'Freiheit' in den Kontroversen um konkrete politische Agenden gewissermaßen strategisch-rhetorisch zugrunde gelegt wurden; um die Botschaften, Werte und Ansprüche, die dabei formuliert und verhandelt wurden, und um die wiederum dahinter stehenden "Traditionen" und "Ideologien", welche die "intellektuelle Welt der späten Republik" maßgeblich bestimmt hätten (7).
Der (vielfach belastete und uneindeutige) Begriff der 'Ideologien', so Arena, sei durchaus angemessen - jedenfalls im von ihr gemeinten Sinne: Es handele sich eben nicht um regelrechte "philosophische Systeme" oder "Doktrinen", sondern um "families of ideas", die in die geltenden "linguistic norms" gewissermaßen eingebettet gewesen und die von der gesamten 'language community', also etwa auch von den Adressaten in den contiones, geteilt und verstanden worden seien. Damit hätte den Akteuren auf der politischen Bühne ein begriffliches Instrumentarium bzw. ein Arsenal von Konzepten und Formeln zur Verfügung gestanden, mit dem sie konkrete Gegenstände rhetorisch thematisieren, ihre eigenen Entscheidungen in ihren Plädoyers für oder gegen eine Maßnahme oder Initiative begründen und rechtfertigen konnten [2] - mit anderen Worten, so Arena, dieses semantische Repertoire stellte das "Medium" dar, in dem die sozialen und politischen Kämpfe der Zeit auf der Ebene der Zeichen, (Be-)Deutungen und Vorstellungen ausgetragen wurden (7-8).
In der programmatischen Einleitung (1-13) begnügt sich Arena also nicht mit einigen (durchaus umsichtigen) methodischen Bemerkungen zu den Quellen, zu deren Selektivität, Subjektivität und gelegentlich verzerrender Optik sowie ihrer Art und Weise, mit dieser Problematik offensiv umzugehen. Arena legt hier auch gleich ihre Ausgangsfragen, Thesen und Ziele offen: Erstens läge den erwähnten "families of ideas" grundsätzlich zwei konkurrierende "intellektuelle Traditionen" und dementsprechende "distinct styles of political reasoning" zugrunde, die den 'libertas-Diskurs' durchgehend beherrscht hätten, nämlich eine 'optimatische' und eine 'populare' Art des Denkens und Argumentierens (6-8). Zweitens manifestierte sich diese diskursive Bipolarität vor allem an drei besonders sensiblen, daher immer wieder höchst umstrittenen konkreten Gegenständen (8-10): den außerordentlichen Kommanden für einzelne Individuen (potestates extraordinariae); dem "äußersten Senatsbeschluß" in Notsituationen (senatus consultum ultimum) und schließlich den verschiedenen Gesetzesinitiativen zur Verteilung von Grund und Boden (leges agrariae). Drittens, so Arena, habe sich aus den jeweiligen Debatten um diese Gegenstände und vor allem aus der situationsgebundenen, aber jeweils immer kontroversen Verargumentierung einer als fundamental und unverhandelbar geltenden und daher mit allen Mitteln zu verteidigenden libertas eine allmähliche semantische Verschiebung ergeben - und zwar aus den ebenso hitzig ausgetragenen wie grundsätzlichen Konflikten um das senatus consultum ultimum (11-12).
Im ersten Kapitel (Roman libertas, 14-44) geht es um die an sich unstrittige Grundvorstellung von libertas, die um den absoluten Gegensatz zum '(Zu-)Stand' der Sklaverei, die Abwesenheit jeder Fremdbestimmung durch Individuen oder Gruppen und also die ebenso absolute, uneingeschränkte und uneinschränkbare Autonomie des freien Mannes und Bürgers kreiste. Das zweite Kapitel (The citizens' political liberty, 45-72) konkretisiert die rechtlichen und institutionellen Garantien dieser 'Freiheit' des römischen civis in Gestalt einer "matrix of rights" (47; 72): Schutz vor magistratischer Willkür durch das Recht auf provocatio ad populum [3] und die tribunicia potestas, Partizipation durch suffragium und Herrschaft der (durch die Versammlung der Bürger selbst verabschiedeten) Gesetze. Im dritten Kapitel (The liberty of the commonwealth, 73-168) werden dann die Unterschiede der 'optimatischen' und 'popularen' Deutungen - etwa relatives Übergewicht der auctoritas senatus versus Souveränität der Volksversammlung, 'geometrische' versus 'arithmetische' Gleichheit - und deren komplexe und, so Arena, teilweise weit in griechische philosophische Traditionen zurückreichende Wurzeln bestimmt. Die hier erzielten Ergebnisse nimmt die Verfasserin in den folgenden Kapiteln wieder auf - zunächst in detaillierten Analysen der bereits erwähnten drei konkreten Themenfelder (The political struggle in the first century BC, 169-243) und dann in den Schlußkapiteln, in denen alte (und neue) Argumente im Kampf um die semantische Deutungshoheit im Vordergrund stehen (Political response and the need for legitimacy, 244-257). Am Ende sieht Arena die 'optimatische' Lesart als Sieger, die durch die Befürworter des senatus consultum ultimum durchgesetzt worden sei und sich vor allem in der Akzeptanz der Suspendierung gesetzlicher Garantien manifestiert hätte (258-276): "a very dangerous breach in the intellectual world of the Republic, which contributed to the ideological premises for its fall" (276, vgl. 12).
Selbst wenn man, wie der Rezensent, dem 'demokratischen' Diskurs skeptisch gegenübersteht: das Buch besticht nicht nur durch das intensive und sorgfältige 'close reading' der eigentlich viel behandelten Quellen und die Vielzahl der dabei gemachten Beobachtungen. Vor allem ist es zugleich ein Beleg für die Virulenz und Vitalität der eingangs erwähnten Debatte um die politische Kultur der römischen Republik und ein interessanter Beitrag dazu.
Anmerkungen:
[1] Vgl. jetzt die Bestandsaufnahme von F. Hurlet: Démocratie à Rome? Quelle démocratie? En relisant Millar (et Hölkeskamp), in: S. Benoist (ed.): Rome a City and Its Empire in Perspective/Rome, une cité impériale en jeu, Leiden etc. 2012, 19-43. S. zu den hier gemeinten Beiträgen des Rezensenten: Reconstructing the Roman Republic. An Ancient Political Culture and Modern Research, Princeton 2010 (erweiterte Übersetzung von Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte, München 2004).
[2] Vgl. noch F. Bücher: Verargumentierte Geschichte. Exempla Romana im politischen Diskurs der späten Republik, Stuttgart 2006, und zuletzt die Beiträge in Ch. Smith / R. Covino (eds.): Praise and Blame in Roman Republican Rhetoric, Swansea 2011, sowie in C. Steel / H. van der Blom (eds.): Community and Communication. Oratory and Politics in Republican Rome, Oxford 2013.
[3] M. Jehne: Die Geltung der Provocation und die Konstruktion der römischen Republik als Freiheitsgemeinschaft, in: G. Melville / H. Vorländer (Hgg.): Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen, Köln etc. 2002, 55-74.
Karl-Joachim Hölkeskamp