Delphine Jeannot: Le mécénat bibliophilique de Jean sans Peur et de Marguerite de Bavière (1404 - 1424) (= Burgundica; XIX), Turnhout: Brepols 2012, XXVI + 386 S., ISBN 978-2-503-54422-9, EUR 92,00
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Bei diesem Werk handelt es sich um einen Teildruck der unter der Betreuung von Anne-Marie Legaré unternommenen kunstgeschichtlichen Dissertation an der Universität Charles-de-Gaulle-Lille III, die sich dem Mäzenatentum am burgundischen Hof unter Johann ohne Furcht und seiner Ehefrau Margaretha von Bayern-Holland sowie deren Töchter widmet, insbesondere der 1476 verstorbenen Agnes von Burgund, die 1425 Herzog Karl von Bourbon und der Auvergne geheiratet hatte. Die Arbeit konzentriert sich zum einen auf den Buchbesitz und zum anderen auf Herstellung, Erwerb und Weitergabe der illuminierten Handschriften, die wegen ihrer überbordenden Pracht seit langem das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben.
Hervorzuheben ist das bisher nicht publizierte Inventar der Burg Noyer vom 9. November 1419, in dem die dort aufbewahrten Bücher der Margaretha von Bayern verzeichnet sind, und das von Delphine Jeannot im Anhang ediert wird, wobei nur die Passagen über den Buchbestand und die Liturgica in der Kapelle abgedruckt werden (322-324, Nr. 1). Ergänzt wird der Text durch die Teiledition des undatierten, wohl 1420 bis 1424 angelegten Inventars für Philipp den Guten, in welchem mehr Bücher erwähnt werden, als die bisherige Forschung erkannt hatte (325-327, Nr. 2), und der Bestände in Dijon sowie der Burgen Auxonne und Rouvres, die 1424 mit denen Dijons vereinigt wurden (328-333, Nr. 3). Sodann schließt sich eine Zusammenstellung all jener Quellen wie beispielsweise Auszüge aus den Rentmeisterrechnungen an, die weitere Auskunft über den Buchbesitz Margarethas von Bayern geben (334-342, Nr. 4).
Bemerkenswert ist, dass die Arbeit zu einem Großteil aus mehreren, z.T. sehr langen Tabellen besteht: Tabelle Nr. 1 gibt die Bibliothek des Johann ohne Furcht wieder, wie sie in dem nach seiner Ermordung angelegten Inventar verzeichnet wurde (148-244 mit 248 Einträgen), Tabelle Nr. 2 betrifft die Bücher seiner Frau Margarethe gemäß des Inventars von 1424 (245-251 mit 31 Einträgen), Tabelle Nr. 3 eine thematische Verteilung der Bücher des Herzogs auf die Sachgebiete Religion (im engen Sinn), Wissen, Geschichte, religiöse Literatur und narrative Literatur - zu dieser Kategorienbildung S. 11f. (252-257), Tabelle Nr. 4 klassifiziert in gleicher Weise die Bücher Margarethas (258), Tabelle Nr. 5 weist die Neuaufnahmen unter Johann ohne Furcht aus (259-276 mit 78 Einträgen), Tabelle Nr. 6 gibt die kodikologischen Besonderheiten des Einbandes, Schließen, sonstige Schmuckformen und den heutigen konservatorischen Zustand wieder (277-301 mit 248 Einträgen parallel zu Tabelle 1), Tabellen Nr. 7-10 nennen den Buchbesitz der Töchter, nämlich von Agnes, Ehefrau des Herzogs von Bourbon (302f. mit 16 Einträgen), Anne, Ehefrau des Herzogs von Bedford, des englischen Statthalters in Frankreich 1422-1435 (304 mit 4 Einträgen), Margaretha, Ehefrau des Dauphins Ludwig von Guyenne (S. 305 mit 5 Einträgen) und Maria, Ehefrau des Herzogs von Kleve (306 mit 2 Einträgen), und schließlich Tabelle Nr. 11, die die Werke der Christine de Pizan in chronologischer Reihe des Abfassens verzeichnet, wobei die handschriftliche Verbreitung und die modernen Editionen genannt werden (306-321 mit 44 Einträgen).
Der eigentliche Dissertationstext macht mit 163 - übrigens klein gedruckten - Seiten etwa die Hälfte des Bandes aus, worin sich noch 40 (leider nur) sw-Abbildungen finden. Der Wert besteht in der Identifizierung der in den Inventaren manchmal nur äußerst knapp bezeichneten Bücher (was nicht immer gelingt) und der systematischen Zuordnung, wobei die Nummerierung in den Tabellen als Hilfsmittel dient. Die Arbeit gliedert sich in zwei etwa gleich große Teile, deren erster der Bestandsentwicklung und deren zweiter der Handschriftenverbreitung als Mittel der fürstlichen Propaganda gewidmet ist.
Die Verfasserin geht dabei sehr systematisch vor, indem sie zunächst kurz auf die ererbten Buchbestände eingeht, ehe sie die Inventare quellenkritisch untersucht. Ein wichtiges Ergebnis besteht in der Einsicht, dass das Inventar von 1420 nach der äußeren Ausstattung der Bände angelegt wurde: Reichverzierte Prachthandschriften werden als erstes genannt, es folgen Texte in einfachen Pergamentumschlägen mit Angabe der Farben, zum Schluss werden wieder geschmückte Bände aufgeführt. Großen Raum nimmt die Beschreibung des Buchbesitzes Johanns ohne Furcht (10-41) und Margarethas von Bayern (41-49) ein. Anschließend werden die Bände hinsichtlich ihrer künstlerischen Gestaltung untersucht, wobei auch die komplizierte Buchherstellung thematisiert wird, bei der mehrere Künstler bzw. Kunsthandwerker beteiligt waren. Einer der Lieferanten der teuren Prachthandschriften war der aus Lucca stammende Jacopo Rapondi (1350-1432), der zusammen mit seinem Bruder Dino einer der Finanziers Johanns ohne Furcht war, zudem Hoflieferant für Seide, Schmuck und teure Bücher (63-69). Unter Johann ohne Furcht wuchs die von seinem Vater ererbte Bibliothek um zahlreiche weitere Stücke (78 sind zu ermitteln, so S. 72), so dass auch er in die Reihe der herausragenden Bibliophilen wie Herzog Johann von Berry zu stellen ist.
Im zweiten Teil geht es um die Verwendung der Bücher im Rahmen des höfischen Geschenkverkehrs, beispielsweise aus Anlass der Ètrennes (hierzu nur kurz S. 66, 79). Die Bibliotheken lassen sich nicht als Privatsammlungen des Fürsten verstehen, die nur er benutzen durfte, sondern als hoföffentliche Einrichtungen, zu denen beispielsweise die Gelehrten Zugang hatten. Auch gab es zwischen den Sammlungen des Fürsten und seiner Ehefrau keine festen Grenzen, Bücher wanderten hin und her. Eigens untersucht wird der Geschenketausch mit dem Johann ohne Furcht zeitweise nahestehenden Herzog von Berry (81-92), zwischen denen es große Gemeinsamkeiten hinsichtlich der bevorzugten Motive, Themen und der Buchgestaltung gab. Für die Frage der Propagandatätigkeit ist die Verbreitung von Jean Petits Rechtfertigung der Ermordung Ludwigs von Orléans 1409 durch Johann ohne Furcht von Bedeutung (101-106), wie überhaupt der "Krieg der Zeichen" zwischen Burgund und Orléans seine Spuren in den Handschriften hinterlassen hat, die die Devisen, Zeichen und Wappen wiedergeben (106-115, ausführlicher hierüber die Studie von Simona Slanička [1]). Vergleichsweise wenige Handschriften wurden an die Töchter Johanns und Margarethas weitergereicht (117-130), dennoch waren sie wichtig für die Etablierung eines Bildes des burgundischen Herzogs in den fürstlichen Höfen, die ein kulturelles Milieu bildeten und ein Forum der fürstlichen Selbstdarstellung darstellten.
Die weitere sozialgeschichtliche Interpretation bleibt außen vor - gerne wüsste man beispielsweise mehr zu den sog. Reformschriften, die während der Parteikämpfe zwischen den Armagnacs und den Burgundern verfasst wurden, um die politische Gesellschaft in Stadt und Land auf seine Seite zu ziehen. Hierzu gehört beispielsweise eine Schrift mit dem Titel Les Demandes faites par le roi Charles VI touchant son état des Klerikers Pierre Salmon, die zwar erwähnt wird (37, 109) und deren berühmte Darstellung Johanns ohne Furcht aus der Widmungsminiatur auch abgebildet (112) und hinsichtlich ihrer Ikonographie, den Hobeln und Richtlatten, interpretiert wird, doch wüsste man gern, wer der Autor war und wie diese Schrift in das Feld des Mäzenatentums und der fürstlichen Propaganda hinein gehört. Besser gelingt dieses mit der Verteidigung der Ermordung des Herzogs von Orléans (101-109).
Über die Anlage von Tabellen derartigen Umfangs kann man geteilter Meinung sein. Der Rezensent begrüßt sie ausdrücklich; für spätmittelalterliches Massenschriftgut wie beispielsweise Bündnisverträge aus einer bestimmten Region, Stadtbucheinträge, Rechnungen Korrespondenzen oder eben Bibliotheksinventare sind sie sachlich geboten. [2]
Anmerkungen:
[1] Simona Slanička: Krieg der Zeichen. Die visuelle Politik Johanns ohne Furcht und der armagnakisch-burgundische Bürgerkrieg (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 182). Göttingen 2002.
[2] Vgl. die Ausführungen bei Erich Meuthen: Der Methodenstand bei der Veröffentlichung mittelalterlichen Geschäftsschriftguts, in: Der Archivar 28 (1975), 255-274.
Harm von Seggern