Gabriele D'Ottavio: L'Europa dei tedeschi. La Repubblica Federale di Germania e l'integrazione europea, 1949-1966 (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento; 62), Bologna: il Mulino 2012, 282 S., ISBN 978-88-15-24195-5, EUR 22,00
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Michael Sutton: France and the Construction of Europe, 1944-2007. The Geopolitical Imperative, New York / Oxford: Berghahn Books 2011
Siegfried Weichlein: Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006
Das Buch von Gabriele D'Ottavio über das "Europa der Deutschen" beruht auf einer im Jahr 2009 an der Universität in Bologna angenommenen Dissertation des Autors. Dieser verfolgt ein doppeltes Ziel: Erstens möchte er die europapolitischen Ziele der wichtigsten westdeutschen Protagonisten in der Europapolitik zwischen 1949 und 1966 herausarbeiten. Hierbei stehen Regierungsvertreter (vor allem Adenauer und Erhard) und die SPD-Opposition im Mittelpunkt. Zweitens konzentriert er sich auf Zeitpunkte, in denen "qualitative Sprünge" (17) in der deutschen Europapolitik stattfanden: das sind vor allem die Jahre 1950-1954 mit den Debatten um die Montangemeinschaft und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die so genannten "Römischen Verträge" von 1956/57 und der deutsch-französische Vertrag von 1963.
In der ersten Phase westdeutscher Europapolitik, so D'Ottavio, sei es der Regierung um Konrad Adenauer vor allem darum gegangen, die deutsche Bereitschaft zur supranationalen Integration in Westeuropa und auf internationaler Ebene Vertrauen in den neuen deutschen Staat herzustellen. Integration war daher auch Selbstintegration. Er beschreibt aber auch die Alternativen zu diesem Konzept und seine Probleme: Die Opposition unter Führung des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher lehnte die supranationale Integration ab, weil sie das andere wichtige Ziel deutscher Außenpolitik, die Wiedervereinigung, in Frage stellte.
Im Kontext der Debatte um die deutsche Position während der Verhandlungen um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstand noch eine dritte europapolitische Position. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard lehnte die von Konrad Adenauer und den Spitzen des Auswärtigen Amtes angestrebte supranationale Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ab und forderte statt dessen eine vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik berücksichtigende europäische Freihandelszone. Europäische Integration diente aus dieser Sicht nicht primär politischen Zielen, sondern sollte durch den Abbau von Handelsbeschränkungen vor allem die Verflechtung der Märkte fördern. Erhard konnte sich mit seinem Konzept - ebenso wie die SPD einige Jahre zuvor - jedoch nicht gegen den in der Außenpolitik dominanten Kanzler durchsetzen.
Die SPD-Führung vollzog hingegen im Kontext der Debatte um den Gemeinsamen Markt eine europapolitische Wende. Während die Partei unter dem Vorsitz Schumachers noch eine supranationale europäische Integration abgelehnt hatte, wurde diese nun unter der Leitung von Erich Ollenhauer, Herbert Wehner und Willy Brandt akzeptiert.
Zugleich entstanden nach 1958 aber in der Bundesregierung neue Konflikte um die Europapolitik. Während Konrad Adenauer vor allem aus Sorge um die neue Politik des US-amerikanischen Präsidenten Kennedy eine enge Bindung der Bundesrepublik an das Frankreich de Gaulles anstrebte, plädierten Ludwig Erhard und Außenminister Gerhard Schröder für die transatlantische Bindung an die USA. Höhepunkt der Adenauerschen Frankreich-Politik war der Elysée-Vertrag vom Januar 1963, der allerdings im Bundestag mit der bekannten Präambel von den "Atlantikern" in seiner Bedeutung eingeschränkt wurde.
Gabriele D'Ottavio zeichnet die politischen Debatten um die Europapolitik in der Zeit zwischen 1949 und 1966 im Wesentlichen richtig nach. Sein Buch ist interessant für italienische Leser, die mit den politischen Europadebatten in Deutschland nicht vertraut sind. Andererseits bewegt sich die Arbeit in vielen Bereichen nicht auf der Höhe des Forschungsstands. Auch wenn der Autor im Quellenverzeichnis eine beeindruckende Zahl an Archiven und Beständen nennt, die er konsultiert hat, beruht seine Darstellung im Wesentlichen auf der frühen deutschsprachigen Forschung. So zieht er ausgiebig die Erinnerungen Konrad Adenauers als Beleg für dessen Europapolitik heran, obwohl die Forschung die Autobiographie des ersten Kanzlers heute als problematisch einschätzt. Auch das von Hans-Peter Schwarz bereits in den 1980er Jahren umfassend ausgewertete Tagebuch Herbert Blankenhorns wird oft herangezogen. So kommt es, dass der Autor für Kenner der deutschen Europapolitik nichts Neues präsentieren kann. Auch neuere Forschungsansätze, sozial- oder kulturwissenschaftliche Methoden, scheint er nicht zur Kenntnis genommen zu haben.
Hinzu kommt ein laxer, zum Teil unklarer Umgang mit Begriffen. So schreibt der Autor beispielsweise, dass der "europeismo" nach der Hinwendung der SPD zur europäischen Integrationspolitik in der Mitte der 1950er Jahre zu einer "ideologia di riserva" ("Ersatzideologie") der Bundesrepublik geworden sei (102, noch einmal 240). Gerne hätte man gewusst, was er unter "europeismo" versteht. Warum dieser aber zu einer Ersatzideologie wurde, bleibt völlig rätselhaft. Ersatz für was? Diese Fragen werden nicht geklärt und diskutiert. Aus diesem Grund legt man das Buch enttäuscht zur Seite.
Guido Thiemeyer