Israel Bartal / Antony Polonsky / Scott Ury (eds.): Jews and their Neighbours in Eastern Europe since 1750 (= Polin. Studies in Polish Jewry; Vol. 24), Oxford: Littman Library of Jewish Civilization 2011, XIII + 450 S., ISBN 978-1-904113-92-8, GBP 21,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Im Rahmen transnationaler, kultureller und verflechtungsgeschichtlicher Ansätze hat die Frage des Verhältnisses von Juden zu den Umgebungsgesellschaften an historiografischer Bedeutung gewonnen. Daher verwundert es nicht, dass der 24. Band der Reihe Polin, die Zeitschriftencharakter trägt, Jerzy Tomaszewski, der sich mit der Multiethnizität in Polen-Litauen beschäftigt hat, zum 80. Geburtstag gewidmet ist. Eine dem Band zugrunde liegende Leitfrage ist daher nicht diejenige nach der anhaltenden religiösen und wirtschaftlichen Konkurrenz, die unweigerlich zum politischen und ideologischen Konflikt geführt habe, sondern diejenige nach Interaktion und Austausch zwischen den Bevölkerungsgruppen im östlichen Europa.
Ziel der insgesamt 14 Beiträge zu diesem Thema, die auch Diskussionen in verschiedenen Panels des 14. Weltkongresses für Jüdische Studien in Jerusalem dokumentieren, ist es daher, neue oder bislang vernachlässigte Aspekte dieser Interaktionen zu untersuchen, um so "neue intellektuelle und methodologische Paradigmen" (VII) einzuführen, die zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses von Juden zu ihren Nachbarn beitragen und dieses repräsentieren sollen. Auf diese Weise sollen sie auch die Beziehungen zwischen Juden und den Umgebungsgesellschaften und Muster von Interaktion, Austausch und auch von Trennung der Mitglieder verschiedener Gesellschaften beleuchten und so zu einem tieferen Verständnis der Geschichte und Kultur der Juden beitragen. Mit diesen Forschungsparadigmen hinterfragen sie das Verhältnis von Juden zu ihrer Umgebungsgesellschaft und arbeiten Formen des interkulturellen Austauschs und somit Muster, Strukturen und Institutionen gegenseitiger Beeinflussung heraus. Daher ist den Herausgebern daran gelegen, auch einen Beitrag zu den allgemeinen Diskussionen von Beziehungen zwischen - ethnisch-religiös definierten - Gruppen zu leisten. Somit diskutieren die Herausgeber Israel Bartal und Scott Ury in ihrem einleitenden Beitrag Fragen von kultureller Hybridität, wie sie beispielsweise von Homi Bhabha, Edward Said und Mikhail Bakhtin aufgeworfen wurden, und ihre Anwendbarkeit für jüdische Studien. Die in diesem Rahmen nicht einzeln zu beleuchtenden Beiträge behandeln zunächst das Verhältnis der Juden zu ihren polnischen Nachbarn, aber auch zu anderen ethnischen Gruppen wie Litauern und Russen im Rahmen verschiedener Staatssysteme (in der Habsburgermonarchie, im Russländischen Reich, Litauen, Polen sowie in der Sowjetunion), zur deutschen, polnischen und russischen Kultur und wie Erinnerungspolitiken zeitgenössische Interpretationen dieses Verhältnisses und darauf bezogene Phänomene beeinflussen. Insgesamt gelingt es den Herausgebern, ein breites Spektrum von Fallstudien zusammenzufassen, die dazu einladen, das Leben der Juden im östlichen Europa weiterhin vertiefend unter transkulturell und verflechtungshistorisch inspirierten Ansätzen zu analysieren, weil so neue Perspektiven nicht nur auf ihre eigene Geschichte und Kultur, sondern auch auf diejenige ihrer Umgebungsgesellschaften eröffnet werden können.
Die sechs folgenden, miszellenartigen Beiträge der Sektion New Views bieten darüber hinaus einen lesenswerten Fächer von neueren Perspektiven auf sehr unterschiedliche Themen der jüdischen Geschichte in Bezug auf Polen: Spitzbogenarkaden in der Synagogenarchitektur in Wolhynien und Polen im 17. und 18. Jahrhundert, die Haltung der US-amerikanischen Juden und Diplomatie zu der Gesetzesinitiative, mit der in Polen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ein Verbot des Schächtens angestrebt wurde, britische Perspektiven auf die Ereignisse der Jahre 1944-1946, jüdische Bezüge in der polnischen Sprache und Rückschlüsse auf das Verhältnis zu den Juden, Erinnerungen an die antisemitische Stimmung und die "Säuberungen" des Jahres 1968 sowie das Protokoll einer Diskussion zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstands mit Jan Bloński, Marek Edelman, Czesław Miłosz und Jerzy Turowicz. Den Band schließen zwei umfangreiche Nachrufe auf Chimen Abramsky und Marek Edelman ab.
Den Herausgebern ist es somit gelungen, wegweisende und stets interessante Beiträge in einem Band zu versammeln. Zu hoffen bleibt, dass hieraus weitere, umfangreiche und weiterführende Studien gerade zum Wechselverhältnis von Juden und ihren Umgebungsgesellschaften entstehen werden.
Heidi Hein-Kircher