Rezension über:

Barbara Beuys: Leben mit dem Feind. Amsterdam unter deutscher Besatzung Mai 1940 bis Mai 1945, München: Carl Hanser Verlag 2012, 380 S., ISBN 978-3-446-23996-8, EUR 24,90
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Rezension von:
Katja Happe
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Empfohlene Zitierweise:
Katja Happe: Rezension von: Barbara Beuys: Leben mit dem Feind. Amsterdam unter deutscher Besatzung Mai 1940 bis Mai 1945, München: Carl Hanser Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/22374.html


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Barbara Beuys: Leben mit dem Feind

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"Um Himmels Willen, noch ein Amsterdam-Buch" soll ein niederländischer Historiker gesagt haben, als das Buch von Barbara Beuys über die Besatzungszeit in Amsterdam 2012 erschien. So berichtet es die Autorin in einem Interview mit der Deutschen Welle. [1] Als deutsche Historikerin, die sich mit der Judenverfolgung in den Niederlanden und der Geschichte der Besatzungszeit beschäftigt, habe ich dagegen gedacht "Endlich mal ein Buch über Amsterdam in der Besatzungszeit", als ich von seinem Erscheinen erfuhr. Denn während in den Niederlanden eine reiche Literatur sowohl zur Stadtgeschichte Amsterdams [2] als auch zur Geschichte der Besatzungszeit existiert, so dass ein weiteres Buch erst einmal keine hohen Erwartungen weckt, stellt sich die Lage in Deutschland ganz anders dar. Hier bildet die Besatzung der Niederlande 1940-1945 noch immer einen "weißen Fleck" im allgemeinen historischen Bewusstsein. Bis auf das weltbekannte Tagebuch von Anne Frank, einige andere mittlerweile übersetzte Tagebücher [3] und verschiedene wissenschaftliche Aufsätze zu Spezialthemen, gibt es auf Deutsch relativ wenig. Dabei bildete Amsterdam als Hauptstadt der Niederlande und gleichzeitig bevölkerungsreichste Stadt auch während der deutschen Besatzung einen Knotenpunkt der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. So weckt ein Buch, das der Besatzungszeit in Amsterdam gewidmet ist, hohe Erwartungen.

Die Lektüre hinterlässt indes einen zwiespältigen Eindruck: Für ein nichtwissenschaftliches, interessiertes Publikum ist das Buch von Barbara Beuys durchaus zu empfehlen. Es ist gut geschrieben, lebhaft erzählt und macht die historischen Vorgänge anhand vieler verschiedener vorgestellter Biografien von Einzelpersonen, wie dem sozialdemokratischen Ratsmitglied Monne de Miranda, dem Bildhauer und Widerstandskämpfer Gerit van der Veen oder der Sekretärin des Jüdischen Rats Mirjam Levie nachvollziehbar und mitfühlbar.

Aus wissenschaftlicher Sicht sind allerdings allerlei Defizite zu verzeichnen, wie das Fehlen eines Anmerkungsapparats und eines Quellenverzeichnisses. Immerhin gibt es ein Literaturverzeichnis und ein Register der Namen und Orte. Doch der Verzicht auf Fußnoten ist für den wissenschaftlichen Leser ein echtes Problem. Wenn Barbara Beuys z.B. aus dem Brief eines Amsterdamer Polizisten zitiert, der sich nicht mehr an der Deportation der Juden beteiligen will (220), so würde man gerne erfahren, wo man diesen wirklich spannenden Brief im Original einsehen kann. Auch die Quellen zahlreicher anderer wörtlicher Zitate werden nicht genannt. Leider geht Barbara Beuys auch mit einigen der von ihr verwendeten und oft zitierten Tagebücher nicht sehr sachgemäß vor. Das Tagebuch des Amsterdamer Lehrers Hendrik Jan Smeding dient ihr vielfach als Quelle und Fundgrube für Zitate (72, 144, 203), die den Eindruck authentischer Beobachtungen vermitteln. Immerhin findet sich dieses Tagebuch in der Literaturliste. Im NIOD [4] mit seiner großen Sammlung von Originaltagebüchern findet sich das Tagebuch aber nicht bei den Originalquellen, sondern nur in der Bibliothek. Und schon auf dem Umschlag der Publikation ist zu lesen, dass dieses Buch zwar auf einem realen Tagebuch beruhe, für die Veröffentlichung seien aber Namen von Personen, Orte und Ereignisse verändert worden. Als authentische Quelle in einer historischen Arbeit taugt dieses Tagebuch daher nicht.

Das Fehlen jeglicher Nachweise und der nicht offen gelegte Umgang mit Quellen bilden in handwerklicher Sicht die beiden Hauptkritikpunkte am Buch von Babara Beuys. Doch auch inhaltlich sind einige Entscheidungen der Autorin nicht ganz glücklich. Laut Titel beschäftigt sich das Buch mit dem Leben in Amsterdam 1940-1945. Dass dabei das jüdische Leben und seine Vernichtung eine zentrale Rolle spielen ist naheliegend, da Amsterdam die Stadt mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil war und die Besatzer zudem Juden aus anderen Landesteilen neben dem Lager Westerbork bis zu ihrer Deportation auch in Amsterdam zu konzentrieren suchten. Barbara Beuys beschränkt sich indes nicht auf die Geschichte der Juden in Amsterdam, sondern dehnt ihre Darstellung teilweise auf die Judenverfolgung im ganzen Land aus (wenn sie z.B. die Deportationen aus dem Lager Westerbork in Kapitel VIII beschreibt) mitsamt der Entscheidungsprozesse im Reichskommissariat, das in Den Haag und nicht in Amsterdam angesiedelt war. Eine ähnliche Ausweitung des Fokus ist zu verzeichnen, wenn sie dem befreiten Süden und der gescheiterten Befreiung des ganzen Landes im Herbst 1944 ein eigenes Kapitel widmet (XIV). Andererseits jedoch bleiben dann Fragen, die sich bei der Betrachtung der Geschichte Amsterdams stellen, offen. Während neben der Judenverfolgung dem Widerstand in Amsterdam und dem Amüsement in Kabaretts und Theatern viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, bleiben wirtschaftliche Faktoren wie etwa die Entwicklung der Familieneinkommen oder die Umstellung auf die deutsche Kriegsindustrie in Amsterdam merkwürdig blass. Vor allem aber würde man gerne mehr darüber erfahren, wie das Leben mit dem Feind tatsächlich aussah? Immerhin waren zahlreiche deutsche Soldaten und Verwaltungsbeamte Teil des Amsterdamer Stadtbildes. Wie war der Umgang zwischen den Deutschen und den Niederländern? Wie verhielten sich die deutschen Soldaten in ihrer Freizeit? Für eine Beschreibung des Lebens in Amsterdam während der Besatzungszeit wären Antworten auf diese Fragen wirklich spannend und wichtig gewesen.

Und während Barbara Beuys ihr Buch mit einem Fazit vom "Wechselbad der Gefühle, das die Zeit der Besatzung geprägt hatte" (353) abschließt, bleibt bei der wissenschaftlichen Analyse ihres Buches leider ein sehr unbefriedigendes Gefühl zurück. Zu groß sind die handwerklichen Mängel und zu viele Fragen bleiben offen.


Anmerkungen:

[1] Interview mit der Deutschen Welle am 8.5.2013: http://dw.de/p/18TcL

[2] Von den hunderten Büchern unterschiedlichster Qualität sei nur auf den vierten und letzten Band der Stadtgeschichte Amsterdams hingewiesen: Doeko Bosscher/ Piet de Rooy (eds.): Tweestrijd om de hoofdstad, 1900 - 2000 (Geschiedenis van Amsterdam; 4), Amsterdam 2007.

[3] Als Beispiele sei nur hingewiesen auf Helga Deen: "Wenn mein Wille stirbt, sterbe ich auch". Tagebuch und Briefe, Reinbek 2007; Philip Mechanicus: Im Depot. Tagebuch aus Westerbork, Berlin 1993; Etty Hillesum: Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941 - 1943, Reinbek 2009.

[4] Das Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies (NIOD) ist in den Niederlanden die Sammelstelle der meisten Akten zur Besatzungszeit. Es beherbergt zudem eine umfangreiche Spezialbibliothek zum Thema.

Katja Happe