Meaghan A. McEvoy: Child Emperor Rule in the Late Roman West, AD 367-455 (= Oxford Classical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2013, XII + 367 S., ISBN 978-0-19-966481-8, GBP 75,00
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Erstmals seit der Arbeit von Werner Hartke liegt mit McEvoys Buch eine systematische Untersuchung des für das spätantike Kaisertum bedeutsamen Phänomens der so genannten Kinderkaiser vor. [1] Die Verfasserin widmet sich ihrer Geschichte im Westen des spätrömischen Reiches, betrachtet also Gratian (367-383), Valentinian II. (375-392), Honorius (395-423) und Valentinian III. (425-455), nicht hingegen die im Osten verankerten Kaiser Arkadios (395-408) und Theodosius II. (408-450). Zentrale These des Buches ist, dass die Kinderkaiser sich vom situativen Experiment (Gratian und Valentinian II.) zu einer strukturellen Option im spätantiken Kaisertum entwickelt hätten, die ihre stabilste Ausprägung immer dann erfahren habe, wenn es zu einer "Partnerschaft" zwischen dem auf zeremonielle und religiöse Kontexte beschränkten, ansonsten passiven Kaiser einerseits sowie einem tatkräftigen, militärisch erfahrenen Heerführer andererseits gekommen sei - idealtypisch ausgeprägt im Verhältnis zwischen Honorius und Stilicho (bis zum Bruch 408) sowie - phasenweise - in der Kooperation zwischen Valentinian III. und Aetius. Immer dann jedoch, wenn Kinderkaiser selbständig versucht hätten, sich in die Politik einzuschalten und eigene Initiativen zu ergreifen, sei es zu tödlichen Konflikten gekommen. Gratian, Valentinian II. und Valentinian III. hätten derartige Bestrebungen, mehr Selbständigkeit zu gewinnen, letztlich das Leben gekostet. Einzig Honorius, der in der Literatur mitunter gar als debil gezeichnet wird, habe die strukturellen Erfordernisse erkannt, sich ganz auf zeremonielle Kontexte beschränkt und Zurückhaltung geübt; dementsprechend sei auch er allein eines natürlichen Todes gestorben.
McEvoy entwickelt ihre Thesen in einem chronologischen Durchgang, bei dem die einzelnen Kinderkaiser jeweils aus ereignisgeschichtlicher und struktureller Perspektive untersucht werden. Als ausgesprochen gewinnbringend erweist sich dabei der Ansatz, zunächst anhand normativer Texte nach den grundsätzlichen Erwartungen, die an einen spätantiken Herrscher gerichtet wurden, zu fragen (23-47), daraus eine Matrix zu gewinnen und die Kinderkaiser dann jeweils in diese einzuordnen. Die Konfrontation des politischen Handelns mit den Erwartungshaltungen fördert interessante Aspekte zutage, die bisher nur wenig beachtet worden sind, so etwa die Einführung neuer, spezifisch auf die Kinderkaiser ausgerichteter Tugenden wie Milde und Unschuld (127ff.).
Die Arbeit ist in drei Hauptteile untergliedert, die zunächst Gratian und Valentinian II. (23-131), sodann Honorius (135-220) und schließlich Valentinian III. (223-304) behandeln. Eine ausführliche Zusammenfassung, in der das Phänomen der Kinderkaiser noch einmal aus historischer und systematischer Perspektive beleuchtet wird, beschließt das Buch (305-329).
McEvoy zeichnet die Erhebungen Gratians und insbesondere Valentinians II. als innovative Akte, die die Zeitgenossen überrascht haben dürften; während im Falle Gratians immerhin noch das Anliegen einer dynastischen Absicherung der Herrschaft Valentinians I. erkennbar gewesen sei, müsse die Berufung des vierjährigen Valentinian II. zum Augustus als Maßnahme zur Verhinderung eines Bürgerkrieges nach dem plötzlichen Tod Valentinians I. gedeutet werden. Im Angesicht einer "specific political crisis" (58) hätten einflussreiche Militärs und Mitglieder der senatorischen Aristokratie beschlossen, nicht selbst um den Kaiserthron zu kämpfen, sondern fortan hinter einem Marionettenkaiser zu agieren. Damit sei ein neues Paradigma etabliert worden: "The accession of Gratian and Valentinian II [...] heralded a new development in the way in which members of the military and senatorial elite of the late empire were coming to view the imperial office: as something over which more control might be exerted through the appointment of a youthful emperor in their power, rather than through the problematic appointment of one of their own" (59f.).
Während Gratian sich zumindest um ein eigenständiges Profil bemüht hat (u.a. durch Demonstration militärischer Führungsqualitäten), blieb Valentinian II. stets auf eine rein zeremonielle Rolle beschränkt; doch auch Gratians Ambitionen wurden enge Grenzen gesetzt, insbesondere durch die Führungsansprüche der Herrscher im Osten (Valens und Theodosius I.). Die Usurpation des Magnus Maximus, der Gratian im Jahr 383 zum Opfer fiel, stellt in den Augen der Verfasserin insofern eine folgerichtige Entwicklung dar; seinen Versuchen, Profil zu gewinnen und eigenständig Initiativen zu ergreifen, blieb der Erfolg versagt.
Auch wenn sowohl Gratian als auch Valentinian II. ein unerfreuliches Ende genommen haben (McEvoy hält eine Ermordung des Letzteren durch Arbogast allerdings für unwahrscheinlich, vgl. 97), so etablierten sich mit ihrer Herrschaft doch Mechanismen, auf die wenige Jahre später rekurriert werden konnte. Die Verfasserin zeichnet die Kooperation des Honorius mit dem Feldherrn Stilicho (dessen Position sie institutionell weniger gefestigt sieht als zumeist angenommen) als funktionierende "Partnerschaft", die vor allem die militärischen und zivilen Eliten integriert habe; das Verhältnis zwischen Stilicho und den italischen Senatoren sei zunächst bestens gewesen (156ff.). Erst das Zusammentreffen verschiedener kontingenter Faktoren, die von der "Partnerschaft" nicht mehr hätten aufgefangen werden können - die Zuspitzung der militärischen Krise(n), der dadurch bedingte Bruch zwischen Stilicho und einflussreichen Senatoren sowie der Tod des Arkadios und der daraus resultierende Konflikt zwischen Honorius und Stilicho -, habe zur Beseitigung des Feldherrn 408 und zur anschließenden Eroberung Roms durch Alarich 410 geführt (174ff.). Honorius habe seine passive Rolle aber auch nach 408 beibehalten; mit Olympius beginnt daher die Reihe derer, die versuchten, Stilichos Platz einzunehmen, was allerdings erst Constantius III. gelang, der seine Position durch den Augustusrang abzusichern wusste (197ff.). Stilichos Stellung hingegen sei, so McEvoy, stets prekär gewesen, weil es ihm nicht gelungen sei, sie dynastisch abzusichern: Aus den Ehen seiner beiden Töchter Maria und Thermantia mit Honorius ging kein männlicher Erbe hervor (185).
Die Herrschaft Valentinians III. ließ sich vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Erfahrungen mit Kinderkaisern organisieren, und sie wurde von Konstantinopel aus gezielt mit militärischer Gewalt erzwungen; auch in Valentinians Fall, verweist die Verfasserin wieder auf das Bemühen, eine "Partnerschaft" zwischen dem weitgehend passiven Kaiser und einem aktiven Gegenüber zu etablieren. Allerdings musste Aetius sich dabei zunächst gegen mehrere Konkurrenten durchsetzen (246ff.) und konkurrierte mit den Ansprüchen des Ostkaisers Theodosius II. auf eine "paternal role" (312) gegenüber dem jungen Throninhaber. Dass Aetius dies gelang, obwohl er zunächst den Usurpator Johannes unterstützt und damit auf die falsche Karte gesetzt hatte, führt McEvoy plausibel auf seine besonderen militärischen Ressourcen zurück: die von Aetius jederzeit aktivierbaren Kontakte zu den Hunnen, die jenseits der Verfügungsgewalt der römischen Administration lagen (244ff.; 312). Die spannungsreiche "Partnerschaft" zwischen Valentinian III. und Aetius (268ff.) hielt jedoch nur wenige Jahre, wenngleich der Heermeister wesentlich energischer als noch Stilicho die dynastische Anbindung an die kaiserliche Familie suchte (vgl. 290ff.). Letztlich scheiterte das Zusammenwirken an einem kurzen Moment, in dem Valentinian III. - bemerkenswerterweise nahezu ohne weitere Unterstützung - Selbständigkeit zu gewinnen versuchte und Aetius eigenhändig ermordete - was er wenige Monate später selbst mit dem Leben bezahlte.
An Gratians und Valentinians III. Bemühungen, ein eigenes Profil zu gewinnen, zeigt sich McEvoy zufolge das entscheidende strukturelle Problem der Herrschaft der Kinderkaiser: Sie wurden irgendwann erwachsen, wodurch sich das Machtgefüge am Hof zwangsläufig verschob, denn die einflussreichen Hintermänner konnten dann nicht mehr das Alter als Grund für die Beschränkung der Throninhaber auf rein zeremonielle Kontexte anführen. So blieb - aus einer strukturellen Perspektive - mitunter kein anderer Weg als die Beseitigung der Kaiser.
McEvoys Buch bietet eine Fülle von Anregungen, das spätrömische Kaisertum besser zu verstehen. Die Autorin präsentiert die 'Kinderkaiser' als eine mögliche, wenngleich nicht zwingende Option, den Transformationen spätantiker Herrschaft und ihrer Kontexte zu begegnen und diese dabei ihrerseits neu zu gestalten. Von besonderer Bedeutung sind dabei ihre Analysen der religiösen Rolle, die die 'Kinderkaiser' als ihr besonderes Proprium ausfüllten (während sie Administration und Kriegführung ihren "Partnern" überließen bzw. überlassen mussten). Sie zeigt sich u.a. in der neuen, religiös konnotierten Bedeutung, die diese Herrscher dem alten Reichszentrum Rom durch häufige Aufenthalte zuwiesen (auch zu dem Zweck, in den stadtrömischen Eliten Verbündete zu gewinnen), oder auch in der intensiven Zusammenarbeit zwischen Valentinian III. und dem Bischof von Rom. Letztere wurde in der Forschung zumeist als Ausdruck der Schwäche des Kaisertums interpretiert; McEvoy jedoch vermag diskussionswürdige Argumente dafür zu präsentieren, auch hier tendenziell eher eine gezielte Kooperation bzw. "Partnerschaft" zu sehen (274ff.). Zusätzlich gewonnen hätte das Buch sicherlich, wenn auch die 'Kinderkaiser' im Osten, insbesondere aus vergleichender Perspektive, Berücksichtigung gefunden hätten.
Anmerkung:
[1] W. Hartke: Römische Kinderkaiser. Eine Strukturanalyse römischen Denkens und Daseins, Berlin 1951 (2. Aufl. Darmstadt 1972).
Mischa Meier