Rezension über:

Deborah Kamen: Status in Classical Athens, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2013, XV + 144 S., ISBN 978-0-691-13813-8, GBP 24,95
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Rezension von:
Jan Meister
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Jan Meister: Rezension von: Deborah Kamen: Status in Classical Athens, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/23725.html


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Deborah Kamen: Status in Classical Athens

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Antike Gesellschaften verfügen über eine Vielzahl rechtlicher und sozialer Ungleichheiten, die zu beschreiben und in ein einheitliches System zu bringen moderne Betrachter vor etliche Herausforderungen stellt. Deborah Kamen hat einen solchen Versuch unternommen und auf 115 dichten Seiten ein "spectrum of statuses" für das klassische Athen zwischen 451 und 323 nachgezeichnet. Konzeptionell stellt sich Kamen programmatisch in die Nachfolge von Moses Finley, nicht nur hinsichtlich der Verwendung des Begriffs "status", sondern auch mit dem Ansatz, antike Gesellschaften als ein kontinuierliches Spektrum von Statusformen zu beschreiben.

Dieses Spektrum an Statusformen gibt auch den Aufbau des Buches vor: In zehn Kapiteln arbeitet sich Kamen von "chattel claves" bis zu "full citizens: Male" hoch. Jedes Kapitel bietet einen kompakten Einblick in die Quellenlage und aktuelle Forschungsdebatten zur jeweiligen Personengruppe. Kamens primärer Fokus liegt auf rechtlichen Privilegien und Diskriminierungen, doch betont sie auch immer wieder die soziale Seite von Status, einerseits im Sinne von Prestige, andererseits aber auch im Sinne der tatsächlich gegeben Handlungsmöglichkeiten. So unterscheidet sie von einfachen "chattel slaves" die "privileged chattel slaves", die außerhalb des eigentlichen oikos ihres Herrn weitgehend selbständige Geschäfte führen konnten und dementsprechend nicht nur ökonomisch unabhängiger waren, sondern auch eine erhöhte Chance auf Freilassung oder Freikauf hatten. Bei freien Nicht-Bürgern differenziert sie zwischen "freedmen with conditional freedom", den "normalen" Metöken und "priviledged metics", also jenen Individuen, denen Sonderrechte, beispielsweise hinsichtlich der Möglichkeit Land zu besitzen, eingeräumt wurden. Eine schwierige Zwischengruppe bilden die nothoi, also "Bastarde" beziehungsweise Personen, bei denen nur ein Elternteil das Bürgerrecht hatte und die folglich nicht als Bürger galten, aber, wie Kamen betont, aufgrund ihrer familiären Anbindung dennoch einen höheren (oder zumindest anderen) "social status" einnahmen als die meist als ortsfremd wahrgenommenen Metöken. In zwei eigenen Kapiteln behandelt Kamen dann diejenigen Bürger, die als atimoi ihr Bürgerrecht vorübergehend oder dauerhaft verloren hatten, und jene Personen, die als "naturalized citizens" neu ins Bürgerrecht aufgenommen worden waren und, obschon nominell gleich, dennoch einen geringeren sozialen Status hatten, was sich beispielsweise in der Bezeichnung "gemachte Bürger" (dêmopoiêtos) äussert. Am oberen Ende des Spektrums stehen dann die Vollbürger, wobei Kamen hier anders als in den anderen Statusgruppen die Geschlechterdifferenz als so ausgeprägt ansieht, dass "full citizens: female" und "full citizens: male" jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt werden.

Kamen bietet einen ausgezeichneten Überblick zu den einzelnen Statusgruppen, der jeweiligen Quellenlage und Forschungsdiskussionen sowie eine umfangreiche Bibliographie. Insbesondere die Kapitel zu Sklaven und Freigelassenen, wo Kamen sich stark auf eigene Forschung stützen kann, lesen sich mit großem Gewinn. Als Kompendium dürfte das Buch, nicht zuletzt wegen seiner stringenten Gliederung, von großem Nutzen sein.

Doch man wird Kamens Anspruch nicht gerecht, wenn man das Buch auf ein reines Überblickswerk reduziert. Denn ihr eigentliches Ziel ist "to reveal a social and legal reality otherwise masked by Athenian civic ideology" (7). Unter "civic ideology" versteht Kamen die Vorstellung, Athen sei in drei sauber getrennte Status-Gruppen (Sklaven, Metöken, Bürger) unterteilt gewesen - ein Bild, das sowohl in antiken Selbstbeschreibungen wie in der modernen Forschung begegnet. Dass es in der Praxis diverse Zwischenstufen und erhebliche Mobilität gab, konterkariert diese "Ideologie" ebenso wie der Umstand, dass athenische Bürger keineswegs alle gleich waren und dass gerade die ökonomische Lage vieler Vollbürger wesentlich schlechter war als die reicher Metöken oder privilegierter Sklaven. Andererseits, so Kamens Ausführungen in ihrem abschliessenden Kapitel "status in ideology and practice", lassen die diversen Zwischenstufen soziale Mobilität zu, ohne die "Ideologie" von drei stabilen und klar abgegrenzten Statusgruppen direkt in Frage zu stellen. Damit werden Anreize geschaffen, die diverse Nichtbürger verschiedener Statusgruppen zu einem Engagement für die Polis motivieren, ohne aber den ideologischen Anspruch bürgerlicher Exklusivität und gesellschaftlicher Stabilität aufgeben zu müssen. In der Sache wird man Kamen hier gerne zustimmen, nicht zuletzt, weil sie die etwas naiv anmutende Dichotomie zwischen "Realität" und "Ideologie" eben gerade unterläuft. Dennoch hätte sich dieses wichtige Thema wohl noch vertiefen lassen, wenn Kamen, statt "Realität" und "Ideologie" als Gegensätze zu betrachten, die "civic ideology" stärker als soziale Wirklichkeit sui generis in den Blick genommen hätte.

Kamens Bild eines "spectrum of statuses" kann vieles zeigen und schärft den Blick für die Komplexität und Vielfalt von Ungleichheit. Freilich entsteht dabei unweigerlich - nicht zuletzt aufgrund der Gliederung des Buches - das Bild einer einheitlichen Hierarchie von Statusgruppen. Ob jedoch männliche Metöken und weibliche Vollbürgerinnen tatsächlich in ein kontinuierliches Spektrum einzuordnen sind, erscheint fraglich, handelt es sich doch um völlig unterschiedliche Kriterien, über die Ungleichheit hergestellt wird, die aber alle unter dem reichlich vagen Begriff "Status" subsummiert werden können. Ein stärkerer Fokus auf die Frage, ob Status primär über den oikos oder über die polis konstituiert wird und wie beide Integrationskreise aufeinander zu beziehen sind, hätte hier weitere Differenzierungen ermöglicht. Die seltsame Stellung der nothoi, die ähnlich wie die Bürgerinnen in Kamens Spektrum etwas disparat bleiben, ließe sich beispielsweise gut damit erklären, dass es sich dabei um Personen handelt, die in der Regel zwar in den oikos eines attischen Bürgers, nicht aber in den Bürgerverband der polis integriert waren. Kamen sieht diese Probleme durchaus und weist mehrfach auf die Heterogenität von Statusgruppen und mögliche Überschneidungen hin, doch sind dies letztlich Phänomene, die mit der Metapher eines kontinuierlichen Spektrums nur bedingt zu erfassen sind. Der Nützlichkeit von Kamens Buch als kompakte Informationsquelle zu einzelnen Statusgruppen tut dies jedoch keinen Abbruch.

Jan Meister