Evelyn Korsch: Bilder der Macht. Venezianische Repräsentationsstrategien beim Staatsbesuch Heinrichs III. (1574) (= Studi. Schriftenreihe des deutschen Studienzentrums in Venedig. Neue Folge; Bd. V), Berlin: Akademie Verlag 2013, X + 318 S., 28 Farb-, 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-004975-5, EUR 89,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Klaus Gantert: Elektronische Informationsressourcen für Historiker, Berlin: De Gruyter 2011
Volker Reinhardt: Die Borgia. Geschichte einer unheimlichen Familie, 2. Auflage, München: C.H.Beck 2011
Martin Fröhlich: Mysterium Venedig. Die Markusrepublik als politisches Argument in der Neuzeit, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010
Der oft beschriebene Niedergang der Republik Venedig im 16. Jahrhundert erreichte in den Jahren nach 1570 seinen Höhe- und Wendepunkt. Zwar hatte die Serenissima durch die Schlacht von Lepanto 1571 für kurze Zeit noch einmal ihren Führungsanspruch im östlichen Mittelmeer und ihren Selbstanspruch als Verfechterin des Christentums und vicarius dei betonen können. Der wenig später geschlossene Separatfrieden mit dem Osmanischen Reich ließ im übrigen Europa jedoch den Eindruck entstehen, Venedig habe seine Verbündeten im Kampf gegen die Türken verraten. Hinzu kam, dass politischer Geltungs- und Vertrauensverlust mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Republik einhergingen. Vor diesem Hintergrund war der als Staatsbesuch inszenierte Aufenthalt Heinrichs III., der sich nach seiner fluchtartigen Abreise aus Polen auf dem Weg gemacht hatte, um die französische Krone zu empfangen, für die Venezianer ein Glücksfall. Der Besuch des zukünftigen Königs von Frankreich, so die Leitthese von Evelyn Korschs 2009 an der Universität Zürich eingereichten Dissertationsschrift, sollte der Republik die Möglichkeit bieten, den entstandenen Imageschaden zu beheben und ein mit dem eigenen Selbstverständnis korrespondierendes und weithin positiv rezipierbares Selbstbild schaffen. Bei dem europäischen Publikum sollte kein Zweifel am Anspruch und Rang der Serenissima zurückbleiben.
Korschs Blick richtet sich in extenso auf den elftägigen Staatsbesuch des zukünftigen Königs, der von ihr als "aufwendiges [Multi]Medienspektakel" (195) gedeutet wird. Die Bewertung des zu diesem Anlass aufgeführten Programms als Gesamtkunstwerk bietet der Autorin vielfältige Ansatzpunkte, um die nonverbalen Kommunikationsformen und die dahinter stehende Strategie, mit deren Hilfe Venedig die Neudefinition seines Selbstbildes vorantrieb, auf einer überzeugenden und vielfältigen Quellenbasis zu analysieren. Immer wieder tritt dabei der subtile Bedeutungsgehalt einzelner Elemente hervor, den die Autorin - dies sei schon vorweggenommen - lege artis in ein Gesamtbild einfügt.
Die Basis der Analyse bilden neben den real existierenden Bildquellen (deren ausführliche Zusammenstellung, Deutung und Einordnung einen großen Teil der Arbeit ausmachen) auch Musik als Herrschaftszeichen, literarische Texte sowie - klassisch kulturgeschichtlich - ein kürzerer, gleichwohl aber sehr quellengesättigter Abschnitt zur Rolle von Geschenken im Kontext von symbolischer Kommunikation. Dem damit umrissenen Analyseteil vorangestellt ist eine kurze Kontextualisierung sowie ein Hinführungskapitel, in dem Korsch die für ihre Arbeit zentralen Aspekte des venezianischen Selbstverständnisses sowie die Symbolik der - weil für den Staatsbesuch strategisch instrumentalisierten - Topografie der Lagunenstadt einführt.
Nur knapp fällt der Hinweis auf die zugrunde gelegten Theoriemodelle aus. Korsch greift hier - für den Zuschnitt ihrer Arbeit nachvollziehbar - auf eine semiotische Herangehensweise zurück. Sie rückt die Analyse von Symbolen und symbolischen Handlungen in den Vordergrund, die dann als Kommunikationsmittel gedeutet werden, wobei alle Erscheinungsformen von Sprache - also auch Gesten, Zeichen und Festarchitektur eine Rolle spielen. Nur knapp fallen die wenigen Sätze zur Kultursoziologie Pierre Bourdieus aus, die als theoretischen Rahmen lediglich angerissen werden. Sie schwingt in der späteren Analyse allenfalls unterschwellig mit, wobei das Potential dieses Ansatzes für den untersuchten Bereich kaum ausgeschöpft wird.
Von den zahlreichen Einzelergebnisse, die - das wird schnell deutlich - tatsächlich als Bestandteile einer Neudefinition des venezianischen Selbstbildes erkannt werden können, seien schlaglichtartig nur einige Beispiele aus der vorliegenden Arbeit genannt. Überzeugend kann Korsch etwa eine von venezianischer Seite evozierte Anlehnung der für Heinrich III. vorbereiteten via triumphalis an die antiken römischen Triumphzüge nachweisen. Das mag zunächst kaum überraschen, entspricht doch gerade dieser Bezug der Genese des Einzugs und später des Trionfo als Festmedium. Im Falle Venedigs rückte aber die Rolle der antiken Topografie in den Vordergrund. Hier treten ebenso die Parallelen zur römischen via triumphalis für den Einzug Karls V. in Rom wie zum päpstlichen possesso vor Augen. Korsch zeigt dies überzeugend am ausdrücklichen Wunsch der Venezianer, den für die entrée des Königs zu entwerfenden Triumphbogen als Nachbau des Septimius-Severius-Bogens in Rom nachzubilden. Er war wesentlicher Bestandteil gleich beider römischen Triumphzüge. Hier wird deutlich: "Venedig konnte durch die symbolische Transformation der Zeremonialformen von ingresso und possesso sowohl die imperialen als auch die sakralen Implikationen für die eigene Herrschaftsikonografie nutzbar machen" (46). Verstärkt wurde der sakrale Charakter der entrée zusätzlich dadurch, dass sie der Route der Sensa folgte, jener mystischen Hochzeit zwischen Doge und Meer, mit der die Republik jährlich ihre Herrschaft über das Meer legitimierte.
Aus Sicht des Rezensenten besonders hervorzuheben ist der Abschnitt zu Musik und Repräsentation, weil dort das Potential für eine transdisziplinäre und mithin multidimensionale Untersuchung von Repräsentations- und Legitimationsstrategien deutlich zutage tritt. Nach einer kurzen Einführung, wie die Republik Musik als Zeichen der Harmonie und zur Inszenierung ihrer Einzigartigkeit inszenierte, analysiert Korsch nicht nur das akustische Programm, mit dessen Hilfe Venedig den Aufenthalt des Königs untermalte. Aus den Festbeschreibungen und einer Fülle anderer Quellen rekonstruiert sie die einzelnen "Aufführungen" und kann zeigen, wie sie sich mittels durchweg subtiler mythologischer Anspielungen passgenau in die Strategie der venezianischen Selbstüberhöhung einfügten. Eindrücklich gelingt ihr dies etwa bei der Analyse der Madrigale Ecco Vinegia bella (82-84) und der in der Sala del Maggior Consiglio im Dogenpalast aufgeführten Tragedia von Claudio Cornelio Frangipane (87-96). Die "Autoglorifizierung" (190) Venedigs im Kontext des Staatsbesuchs tritt in diesen Teilen besonders überzeugend hervor.
Im Abschnitt zu der Rezeption des Staatsbesuchs Heinrichs III. in Bildwerken hebt Korsch neben der Qualität der beteiligten Künstler auch die hohe Anzahl von Darstellungen und Stichen hervor. Die Menge an Material erklärt sie damit, dass der Besuch des Königs nicht nur der Selbstdarstellung der Republik als Einheit, sondern auch von den Angehörigen des venezianischen Adels genutzt wurde. Erst hier greift sie deutlicher auf den in der Einleitung herangezogenen Kapitalbegriff Bourdieus zurück. Es erscheint schlüssig, dass venezianische Adelsfamilien auf diese Weise das Ihnen eigene symbolische Kapital weit über das Ereignis und damit in die Zukunft sichern konnten.
Nicht auf einzelne Adelige, sondern auf die (Gesamt-)Republik als Gastgeberin bezogen war hingegen die topografisch durchdachte Anbringung der offiziellen Gedenktafel für den Besuch des Königs im Dogenpalast. In der Mitte zwischen der Scala die Giganti und der Scala d'Oro, also der internen via triumphalis des Dogenpalastes erfuhr sie eine "subtilen Bedeutungstransformation", an deren Ende die Suggestion einer "Krönung des französischen Monarchen durch venezianische Hand" stand (121-122). Korschs Analyse des offiziellen Staatsbilds, das nach dem Brand des Dogenpalastes seit 1593 die Sala delle Quatro Porte (dem Raum, den Besucher auf dem Weg zu allen Regierungsinstitutionen durchschreiten mussten!) schmückte, kommt zu einem ähnlichen und durchaus überzeugenden Befund. In einer tempelartigen Loggia kniet der König zum Gebet nieder und wird anschließend vom Patriarchen gesegnet. "Dieser Akt spiegelt die auf dem rechten Bogenfeld [der Loggia] gemalte Szenerie, wo Heinrich vor einem Bischof niederkniet, um die Krone Polens zu empfangen. Die bildliche Analogie suggeriert eine aktive Beteiligung Venedigs an der in Frankreich bevorstehenden Krönungszeremonie Heinrichs III. Im übertragenen Sinn erfüllt die Serenissima tatsächlich diese Funktion, denn sie bietet dem jungen Monarchen eine Bühne zur öffentlichen Selbstinszenierung." (144)
Die Analyse und Deutung, die Korsch vornimmt, überzeugt durchgängig wegen ihrer Tiefe und Detailgenauigkeit. Gleichwohl hätte eine tiefergehende theoretische Reflexion - etwa hinsichtlich des in der Einleitung eingeführten Habitusbegriffs oder der Genese und des jeweiligen Wertes von symbolischem Kapital einen nützlichen Ausgangspunkt für die Übertragung der Ergebnisse und des Herangehens auch auf andere Beispiele aus der frühneuzeitlichen Staatenwelt geben können. Gerade die angesichts der Quellenbasis aufscheinende Transdisziplinarität von Korschs Dissertation macht das Potential einer solchen Untersuchung deutlich und kann in dieser Hinsicht als anregendes Beispiel für ähnliche Untersuchungen dienen, so dass diese verdienstvolle Einzelstudie durch vergleichbare Arbeiten in einen breiteren kulturhistorischen Kontext gestellt werden kann. Der Mythos Venedig mag zwar angesichts seiner Argumente einzigartig sein, seine Verbreitung ließe sich aber durchaus mit den Legitimations- und Repräsentationsstrategien andere europäischer Potentaten vergleichen. Mit ihrer vielschichtigen Analyse kann Korsch überzeugend zeigen, wie die Serenissima und der venezianische Adel das Ereignis - wenngleich subtil - für ihre eigenen Bedürfnisse aufbereiteten. Gerade die Visualisierung erwies sich als "instrumentum regni, dessen Ziel die Prestigesteigerung Venedigs war" (191).
Sebastian Becker