Jörg Reimann: Rom und der Kirchenstaat 1450 bis 1650. Wirtschaft, Politik, Kultur und Bevölkerung (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 72), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2013, 451 S., ISBN 978-3-8300-6846-4, EUR 98,80
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Benedikt Mauer (Hg.): Barocke Herrschaft am Rhein um 1700. Kurfürst Johann Wilhelm II. und seine Zeit, Düsseldorf: Droste 2009
Jeroen Duindam: Dynasties. A Global History of Power, 1300-1800, Cambridge: Cambridge University Press 2016
Mark Hengerer: Kaiser Ferdinand III. (1608-1657). Eine Biographie, Wien: Böhlau 2012
Wissenschaftliche Literatur kann unterschiedliche Ziele verfolgen: Sie kann eigene Forschungsergebnisse vermitteln, pointiert Position in laufenden Forschungsdiskussionen beziehen oder auch die Ergebnisse von Spezialforschung so bündeln und aufbereiten, dass sie Nichtspezialistinnen und Nichtspezialisten zugänglich wird. Eine solche Vermittlungstätigkeit ist dann besonders verdienstvoll, wenn sie Themenfelder erschließt, die vielen sonst schon aus sprachlichen Gründen verschlossen bleiben würden. Daher nimmt man den vorliegenden Band mit gespannter Erwartung zur Hand, denn es gibt zwar eine ganze Reihe von deutschsprachigen Spezialstudien zu Papsttum und Kirchenstaat in der Frühen Neuzeit, kaum aber Überblicksdarstellungen neueren Datums, sodass man in vielen Bereichen immer noch auf das monumentale, jedoch in die Jahre gekommene Werk von Ludwig von Pastor angewiesen ist.
Wirft man zunächst einen Blick in das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnisses, in dem viele wichtige, auch aktuelle italienische Spezialstudien genannt werden, wächst die Spannung. Das Inhaltverzeichnis dagegen befremdet. Nach einer knappen Einleitung werden die "Ökonomische Ebene", die "Politische Ebene", die "Kulturelle Ebene" (die nur einen sehr traditionellen Kulturbegriff abdeckt) und die "Demographische Ebene" abgehandelt. Letztere schließt einige über die bloße Demographie hinausgehende Aspekte einer Sozialgeschichte ein, die aber, wie angedeutet, keines eigenen Kapitels gewürdigt wird. Begründet wird der Aufbau nicht. Die einzelnen Kapitel zerfallen in zahlreiche Abschnitte, deren Reihenfolge häufig rätselhaft erscheint. So beginnt das Ökonomiekapitel mit "Buchdruck", wechselt zu "Landwirtschaft und Ernährung" (mit mehreren Untereinheiten), bevor "Markt, Handel, Handwerk und Gewerbe", "Fischfang" und "Wild", sodann "Gastwirtschaft und Hotels", "Bergbau und Mineralien" und "Heiliges Jahr" folgen. Ähnlich sprunghaft geht es weiter.
Dieser Eindruck einer mangelnden Stringenz und Ordnung wird bestätigt und verstärkt sich womöglich noch bei der Durchsicht des Darstellungsteils. Methodische Überlegungen oder auch nur einen roten Faden der Argumentation sucht man vergebens. Stattdessen werden zahlreiche, mehr oder wenig beliebig erscheinende Informationen aneinandergereiht, nicht aber zu einer echten Gesamtdarstellung miteinander verknüpft. Fehlende Absätze, geringe Schriftgröße und stilistische Mängel (beispielsweise die häufigen, völlig unmotivierten Tempuswechsel) erschweren die Lektüre zusätzlich.
Gravierender noch als die immer wieder auftretenden sachlichen Fehler sind die problematischen Wertungen. Nur ein Beispiel: Auf Seite 288 konstatiert Reimann befremdet, dass "[d]ie von den Colonna konstruierte Genealogie [...] ganz und gar an den Haaren herbei gezogen und voller Widersprüche" sei. Er bemerkt zwar, dass "diese bis ins Göttliche reichende Abstammung nur den Führungsanspruch der Colonna begründen" sollte, aber das ist ihm keine weitergehende Reflexion wert. Die Strukturen der römischen Adelsgesellschaft kann man mit derartig oberflächlichen Befunden nicht erschließen, und es wird deutlich, wie fern der Verfasser aktuellen historischen Fragestellungen zur Adelsforschung steht.
Vergleichbare Defizite sind nahezu auf jeder Seite zu konstatieren. Dieses Beispiel mag aber genügen, um zu zeigen, warum der Rezensent zu dem Befund gekommen ist, dass der vorliegende Band für die Fachwissenschaft kaum einen Wert besitzt. Auch in der universitären Lehre ist er nicht zu verwenden - höchstens, um zu zeigen, wie eine historische Darstellung nicht aussehen sollte.
Matthias Schnettger