Ruth Heftrig / Olaf Peters / Ulrich Rehm (Hgg.): Alois J. Schardt. Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, "Drittem Reich" und Exil in Amerika (= Schriften zur modernen Kunsthistoriographie; Bd. 4), Berlin: Akademie Verlag 2013, V + 164 S., ISBN 978-3-05-005559-6, EUR 79,80
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Im vergangenen Jahr gab der 80. Jahrestag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten Anlass für eine Vielzahl von Veranstaltungen, sich ausdrücklich dem Kulturbetrieb in der NS-Diktatur zu widmen, einem interdisziplinären Forschungsfeld, das auch VertreterInnen der Kunstgeschichte seit längerem beschäftigt. [1] Ein jüngstes Beispiel für das Interesse an der Geschichte der Kunstgeschichte und ihrer Institutionen während der NS-Zeit, auf die der Fokus in den letzten Jahren ausgedehnt wurde, liegt mit dem von Ruth Heftrig, Olaf Peters und Ulrich Rehm herausgegebenen Band "Alois J. Schardt. Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, 'Drittem Reich' und Exil in Amerika" vor. [2] Neben den Beiträgen einer gleichnamigen, vom Kunsthistorischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Stiftung Moritzburg im Jahr 2009 veranstalteten Tagung enthält er bislang unveröffentlichte Schriften Schardts, die in Studien zur zunächst erfolgreichen, während der nationalsozialistischen Ära letztlich gescheiterten Karriere des Kunsthistorikers und Museumsmanns zwar als Referenz dienten, aber nur einem kleinen Expertenkreis zugänglich waren. [3]
Die von Schardt zwischen 1921 und circa 1940 in Berlin, Halle und Los Angeles verfassten Texte, deren Entstehungszusammenhänge Peters und Christian Fuhrmeister in einem einleitenden Kapitel skizzieren, bilden keinen gesonderten Teil in dem Band. In chronologischer Folge sind sie zwischen die Tagungsbeiträge geschaltet, wobei ihre manuskriptartige Typografie sogleich auf ihren Quellencharakter schließen lässt. Auf den ersten Beitrag von Heinrich Dilly, der Ansätze zu einer Kollektivbiografie der während der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland tätigen Kunsthistoriker liefert, um Schardts Handlungsräume und die Rahmenbedingungen erfassen zu helfen, folgen beispielsweise Olaf Peters Analyse des frühesten Textes, "Verstandeskultur - Kunstbetrachtung - Gefühlskultur", sowie dessen edierte Version. Wie der Titel des für die Zeitschrift Genius vorgesehenen Artikels signalisiert, ebnet laut Schardt die Erfahrung von Kunst einer von Materialismus und Positivismus geprägten Gesellschaft den Weg zu einer "völkischen Gefühlsgemeinschaft" (44). Der diskursive Kontext der sich hier abzeichnenden kulturkritischen Haltung gegenüber den Modernisierungsprozessen, die seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten und unter anderem von der popularisierten Lebensphilosophie Friedrich Nietzsches und Wilhelm Diltheys geprägt waren, ist hinlänglich bekannt. Peters akribisches und vergleichendes Quellenstudium gibt jedoch Aufschluss über die Anleihen, die Schardt konkret bei Schriften von Expressionismusexegeten wie Paul Fechter und Siegfried Kracauer machte.
Von der Indienstnahme des Expressionismus für die Herausbildung einer "Volksgemeinschaft", die durch Peters Analyse des Manuskripts von 1921 deutlich an Kontur gewinnt, auf Schardt als Vorläufer der NS-Ideologie zu schließen, mag verkürzt sein. [4] Sein Deutungsansatz gegenüber expressionistischer Kunst aus der frühen Phase der Weimarer Republik aber lässt seine späteren Versuche, dieser zur Akzeptanz im NS-Staat zu verhelfen, kaum als erzwungene Anpassung an die neuen Machtverhältnisse lesen. Allenfalls der Jargon seiner gleichfalls in dem Band abgedruckten Denkschrift "Wesensmerkmale der deutschen bildenden Kunst" von 1933, wie er sich etwa in der geradezu obsessiven Wiederholung von Adjektiven wie "nordisch", "germanisch", "arteigen", "überfremdet", "artfremd" oder der Verwendung des Führerbegriffs offenbart, könnte als "rhetorische Mimikry" ausgelegt werden, mit der Schardt sich den NS-Entscheidungsträgern andienen wollte. [5] Diese Einschätzung legt auch Rehms Analyse des 1941 während des Exils in Kalifornien erschienenen Buchs "Die Kunst des Mittelalters in Deutschland" nahe, mit der ein Arbeitsfeld Schardts ins Blickfeld rückt, das im Unterschied zu seiner Deutung der Moderne bisher kaum Beachtung fand. Rehm kommt zu dem Schluss, dass Schardts Entwurf der Kunstgeschichte weiterhin Grundauffassungen beinhaltete, die mit denen des nationalsozialistischen Regimes kompatibel waren. Rhetorisch verfuhr er indes nun umgekehrt, indem er die Verwendung politischer Kampfbegriffe vermied.
Etliche Kollegen Schardts beherrschten die rhetorische Mimikry meisterhaft, nicht zuletzt Ludwig Justi, sein ehemaliger Vorgesetzter und Direktor der Berliner Nationalgalerie, dessen kurzzeitiger Nachfolger Schardt am 1. Juli 1933 wurde. Der knapp ein halbes Jahr dauernden, bereits mehrfach diskutierten Episode von Schardts kommissarischer Leitung der Nationalgalerie widmet sich Jörn Grabowski. Er gewinnt dem Thema eine neue Facette ab, da sein Einblick in die Akten des Zentralarchivs ein anschauliches Gesamtbild von dem gleichermaßen arbeitsreichen wie prosaischen Museumsalltag vermittelt. Taktieren war auch hier die Devise Schardts, insbesondere weil Rust ihn wegen seiner öffentlich vorgetragenen Expressionismusapologie wenige Tage nach seiner Berufung mit einem Redeverbot belegt hatte. Wie Grabowski berichtet, nahm er keine Einladungen zu Vorträgen an und enthielt sich der Veröffentlichung jeglicher Stellungnahmen. Der Druck, den die NS-Verwaltungsapparate und ihre Vertreter auf Museumsmitarbeiter ausübten, wird hier unabhängig von deren politischer Positionierung eindrücklich spürbar.
Schardts Brückenschlag zwischen musealer und universitärer Kunstgeschichte nimmt Ruth Heftrig in den Blick. Mittels der Auswertung der Personal- und Vorlesungsverzeichnisse der Universität Halle-Wittenberg verfolgt sie Schardts dortige Lehrtätigkeit zwischen Sommer 1931 und dem Entzug seines Lehrauftrags im Sommer 1937. Dabei wählt sie einen vergleichenden Ansatz und stellt Alexander Dorner in Hannover und Max Sauerlandt in Hamburg daneben, die wie Schardt zu den "Museumsmodernisten" der zwanziger Jahre zählten und in der Lehre tätig waren. Alle drei bereicherten ohne Zweifel die kunsthistorischen Curricula, da dort das Studium der Moderne bislang kaum vorgesehen war. Ebenso deutlich aber ist Heftrigs Fazit, dass es in den Anfangsjahren des "Dritten Reichs", als die NS-Kulturpolitik eher von widersprüchlichen Leitlinien und der Rivalität der Funktionäre als von einem einheitlichen Konzept geprägt war, nicht ausgeschlossen war "Botschafter" der Moderne UND des Nationalsozialismus zu sein (74). Mit Schardts "Kurze[r] Übersicht über die künstlerische Lage und Entwicklung zwischen 1900 und 1940" aus dem kalifornischen Exil, mit deren Edition der Band schließt, liegt ein besonders anschauliches zeitgenössisches Zeugnis dieser von Heftrig angesprochenen, anfänglich konfusen Gestaltung des Kunst- und Museumsbetriebs unter der NS-Diktatur vor.
Mit weiteren, hier aus Platzgründen nicht vorgestellten Beiträgen von Franziska Uhlig, Katja Schneider und Andreas Hüneke zu methodischen Streitfragen der Kunstliteratur der Zeit, zur Umgestaltung des Museums in der Moritzburg in Halle und der sich auch im US-Exil bewährenden Freundschaft zwischen Schardt und Lyonel Feininger gewährt der Band einen umfassenden, über die politisch höchst problematischen Bedingungen der NS-Zeit hinaus zielenden Überblick über Schardts intellektuelle und museumspraktische Arbeit. An seinem Beispiel wird einmal mehr erkennbar, dass sich Vertreter der Kunstgeschichte und des NS-Systems in einem steten Aushandlungsprozess befanden, der keine Freiräume für unpolitische wissenschaftliche Arbeit ließ, ja dass Kunsthistoriker sich der Versatzstücke völkischer, nationalsozialistischer Ideologie aktiv bedienten und diese so auch verbreiteten. Die enge Verzahnung von Forschungs- und Quellenliteratur, die den Band auszeichnet, hat entscheidende Vorzüge: Sie lädt die Leser dazu ein, die Dokumente selbst kritisch zu lesen und zugleich die Argumente der Autoren, deren Beiträge sich auf sie stützen, unmittelbar nachzuvollziehen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. den Forschungsüberblick von Christian Welzbacher: Kunstschutz, Kunstraub, Restitution. Neue Forschungen zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus, in: H-Soz-u-Kult 13.12.2012, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2012-12-001 sowie die Publikationen der Forschungsstelle "Entartete Kunst" am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.
[2] Stellvertretend für Veröffentlichungen, die eine disziplingeschichtliche Perspektive einnehmen, seien genannt: Nikola Doll / Christian Fuhrmeister / Michael H. Sprenger (Hgg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zu einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005; Ruth Heftrig / Olaf Peters / Barbara Schellewald (Hgg.): Kunstgeschichte im 'Dritten Reich'. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008.
[3] Vgl. Andreas Hüneke: Alois Schardt und die Neuordnung der Nationalgalerie nach völkischen Gesichtspunkten 1933, in: "Der Deutschen Kunst...". Nationalgalerie und nationale Identität 1876-1998, hgg. v. Claudia Rückert / Sven Kuhrau, Amsterdam u.a. 1998, 82-96; Olaf Peters: Museumspolitik im Dritten Reich. Das Beispiel der Nationalgalerie, in: Le Maraviglie dell'Arte. Kunsthistorische Miszellen für Anne Liese Gielen-Leyendecker zum 90. Geburtstag, hgg. v. Anne-Marie Bonnet / Roland Kanz u.a., Köln 2004, 123-142.
[4] Vgl. Hüneke 1998 (wie Anm. 3), 87f.
[5] Vgl. Kurt Winkler: Ludwig Justis Konzept des Gegenwartsmuseums zwischen Avantgarde und nationaler Repräsentation, in: "Der Deutschen Kunst...". Nationalgalerie und nationale Identität 1876-1998 (wie Anm. 3), 61-81, 76.
Andrea Meyer