Ad Stijnman: Engraving and Etching 1400-2000. A History of the Development of Manual Intaglio Printmaking Processes, MS 't Goy-Houten: Hes & De Graaf Publishers B.V. 2012, XIII + 658 S., ISBN 978-0-7553-1623-6, EUR 150,00
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Es muss der Universität Amsterdam eine Ehre und ein Vergnügen gewesen sein, Ad Stijnman mit Engraving and Etching 1400-2000 zu promovieren. Mit der Publikation dieses monumentalen Handbuchs zur Geschichte der künstlerischen Tiefdrucktechnik kann die Öffentlichkeit nun dieses Vergnügen teilen. Der praktische Nutzen des Werkes wird immens sein. Das Format des Buches ist so großzügig wie einladend: Der Text ist lesefreundlich in der Adobe Minion gesetzt und läuft annähernd im Format A4 zweispaltig auf 404 Seiten, denen sich verschiedene Anhänge auf weiteren gut 250 Seiten anschließen.
Der Untertitel verrät, worum es in diesem Werk geht: "A History of the development of manual intaglio printmaking processes", nicht mehr, aber auch nicht weniger. [1] Stijnman möchte die historische Aufmerksamkeit auf die technische Seite der grafischen Tiefdruckverfahren legen, und das gelingt ihm ausgezeichnet. Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass jegliche Untersuchung druckgrafischer Produkte sowie ihrer Geschichte und Kultur vom Wissen über die technischen und materiellen Aspekte abhängig ist (20). Die Einleitung (1-22) erläutert dies näher und richtet in einer kurzen historischen Skizze die Aufmerksamkeit stets auf den Ort der künstlerischen Idee innerhalb der technischen Rahmenbedingungen.
Kapitel 1 widmet sich den Vorläufern, frühen Entwicklungen und der Verbreitung des Tiefdrucks ("Antecedents, Early Developments and Dissemination", 23-74). Es stellt in ihren historischen Anfängen diejenigen Elemente der Tiefdrucktechnik vor, die in den weiteren Kapiteln ausführlicher besprochen werden: Materialien, Werkzeuge und Techniken, oder etwas genauer Papier, Metall, Farbe, Stichel und Verfahren wie die Radierung, was auch ihre Chemie einschließt. Die Darstellung macht zuweilen Exkurse wie den in die Archäologie des Stichels, der schon früh für andere Techniken genutzt wurde (27-30). Die globale Verbreitung der Tiefdrucktechniken wird mit Karten visualisiert.
Kapitel 2 befasst sich mit dem Berufsbild und Handwerk des Druckens ("The Trade of Intaglio Printing") und stellt die zentralen Personen der Branche vor, nämlich Stecher und Drucker. Neben einem Überblick über die wirtschaftlichen Zentren geht Stijnman auch auf die Werkstattorganisation, Gilden und die Ausbildung ein. Nüchtern geschilderte aktuelle Entwicklungen wie die Streichung und Schließung zahlreicher Kurse, Ateliers und Studiengänge seit den 1990er-Jahren wirken vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Geschichte der Tiefdruckgrafik noch deprimierender. Stijnman lenkt die Aufmerksamkeit abschließend auf relevante Zulieferer, die in den Werkstätten benötigten Materialien und die Druckerpressen. Er diskutiert dabei auch anhand von Bildbeispielen den Realitätsgehalt von Werkstattdarstellungen. Das breit angelegte, facettenreiche Kapitel liefert den sozial- und kulturhistorischen Kontext für die beiden folgenden, die mit 40% Seitenanteil und beinahe 2000 Fußnoten den Schwerpunkt des Buches bilden.
Kapitel 3 stellt eine Nahsicht auf die praktischen grafischen Prozesse von der Zeichnung bis zur Vollendung der Druckform dar ("Producing the Matrix", 131-256). Den einzelnen Schritten werden eigene Abschnitte gewidmet: der Druckplatte, der Übertragung der Zeichnung auf die Druckform, den mechanischen, chemischen und reprografischen Verfahren. Bis ins Detail werden Eigenschaften verschiedener Stoffe diskutiert, u.a. zahlreiche Metalle, aber auch Glas oder Kunststoff (132-140). Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Passagen zur Übertragung von Bildern auf die Kupferplatte bei der Herstellung von Reproduktionsgrafiken (154-162) sind ein Muster an Anschaulichkeit. Im Abschnitt zum Stählen von Kupferplatten werden die Varianten des Überzuges mit Stahl und mit Chrom erläutert: Chrom ist härter und lässt sich sauberer abwischen, was für farbige Grafiken bessere Ergebnisse ergibt, wohingegen bei der Stahloberfläche ein leichter Rest-Plattenton bleibt, was im Schwarzweißdruck für einen lebendigeren Eindruck sorgt (138). Das Buch ist voll von solchen Beobachtungen, die für die praktische Ausbildung ebenso nützlich sind wie für die kunsthistorische Forschung.
Kapitel 4 setzt die Beschreibung der Verfahren fort, indem es auf den eigentlichen Druck eingeht ("Printing the Matrix", 257-401): Abschnitte zu Papier und anderen Bildträgern, zur Farbe und ihrer chemischen Zusammensetzung, zur Druckerpresse, verschiedenen Druckverfahren und ihren Arbeitsschritten, zur Herstellung von Auflagen und Serien sowie - ein Highlight des Buches - zum Farbdruck finden sich hier. Auch in diesem Kapitel begegnen einem gründliche Differenzierungen, beispielsweise im Abschnitt zum Blankwischen der Druckplatte (313f.). Stijnman stellt hier unterschiedliche Textilien vor, die zu verschiedenen Zeiten für diese Aufgabe verwendet wurden, und diskutiert die Varianten des Blankwischens der kalten oder erwärmten Platte, des trockenen oder feuchten Wischens - sämtlich mit historischen Beispielen.
Der Nutzwert des Buches endet nicht mit dem letzten Kapitel. In fünf Anhängen liefert Stijnman ein hilfreiches Nachschlage-Kompendium, bestehend aus einer allgemeinen Chronologie (405ff.), einer ebenfalls chronologisch angelegten Liste früher Kupferstecher bis 1500 (409-412), einem mehrsprachigen Glossar typischer Begriffe aus Inschriften und Bildlegenden (413-418), einer historischen, kommentierten Bibliografie praktischer Handbücher zum Tiefdruck (419-597) sowie verschiedenen Registern, welche diese reichhaltigen bibliografischen Informationen erschließen: Manuskripte, Publikationsorte, ein chronologischer Index sowie das allgemeine Literaturverzeichnis, Namens- und Begriffsregister. Allein die Bibliografie mit ihren Indices - Ursprung und Kern von Stijnmans Projekt - ist die Anschaffung des Bandes wert. Das Leitsystem ist komplex (2), führt aber zum Ziel. Wer beispielsweise etwas zur Rolle des Papiers im Tiefdruckverfahren erfahren möchte, kann zu den Anfängen in Kapitel 1 nachschlagen, erfährt etwas zu den Zulieferern in Kapitel 2 und wird über die technischen Eigenschaften von Papieren in Kapitel 4 aufgeklärt. Entsprechendes gilt für andere Gegenstände wie Tinte, Kupfer oder die Druckerpresse, für die das Buch eine nichtlineare Lektüre ermöglicht. Da dieses Buch keine Geschichte der Tiefdruckgrafik ist, sondern ihrer Technik, kommen Künstler in erster Linie dann vor, wenn sie für die Erläuterung eines Materials oder eines Verfahrens ein Beispiel abgeben können. Auf diese Weise entstehen aufschlussreiche Verknüpfungen quer durch die Zeiten.
Kein Buch ist frei von Schwächen - Roger Gaskell hat in seiner Rezension auf einige terminologische Ungenauigkeiten im Englischen hingewiesen, etwa Stijnmans Verwendung von "roller press" (z.B. 39) statt des üblichen "rolling press" für die Walzenpresse. [2] Wer sucht, der findet - diese und andere Kleinigkeiten können in einer zweiten Auflage korrigiert werden. Sie sind allerdings selten und dürfen nicht den Blick auf das Ganze verstellen: Das enzyklopädisch angelegte Buch kann beanspruchen, für sein Thema das neue Referenzwerk zu sein. Es ist in freundlichem Ton geschrieben und benutzerfreundlich aufgemacht. Die geballte Information wird mit über 300 Abbildungen veranschaulicht, sodass der Bezug zu den Kunstwerken nie verloren geht. Unzählige Details aus dem Buch verschaffen während der Lektüre immer wieder angenehme Momente des Staunens. In seiner erschöpfenden Gesamtheit schließt das Buch sein Thema nicht ab, sondern eröffnet im Stile eines bibliografischen Atlanten neue Zugänge. Viel mehr kann man von einem zwischen Buchdeckel gebrachten halben Lebenswerk an Forschung und Praxis kaum erwarten. Ad Stijnmans anregendes Standardwerk ist ein ganz großer Wurf.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die Rezension von Anthony Griffiths in: The Burlington Magazine 155 (2013), 177.
[2] Roger Gaskell in: The Library 14 (2013), 467-471, hier 471.
Grischka Petri