Rezension über:

Ulrike Feist: Sonne, Mond und Venus. Visualisierungen astronomischen Wissens im frühneuzeitlichen Rom (= ACTUS et IMAGO. Berliner Schriften für Bildaktforschung und Verkörperungsphilosophie; Bd. X), Berlin: Akademie Verlag 2013, VIII + 262 S., 18 Farb-, 89 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-006365-2, EUR 79,80
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Rezension von:
Kathrin Müller
Kunstgeschichtliches Institut, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Kathrin Müller: Rezension von: Ulrike Feist: Sonne, Mond und Venus. Visualisierungen astronomischen Wissens im frühneuzeitlichen Rom, Berlin: Akademie Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/03/24358.html


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Ulrike Feist: Sonne, Mond und Venus

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Durch das Teleskop eröffnete sich der Astronomie seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts eine neue Sichtbarkeit der Himmelskörper, die bisherige Erkenntnisse in Frage stellte und überdies alles andere als leicht verständlich war. Nicht allein das Auftauchen unbekannter Objekte und Phänomene ließ die Astronomen zweifeln, auch der Blick auf die Mondoberfläche konnte schockieren. Gewissheiten entstanden erst auf verschiedenen Wegen der Absicherung und Prüfung.

Gesteigerte Bedeutung im Prozess der Wissensgenese sowie für die Vermittlung der Erkenntnisse kam visuellen Darstellungen zu - insbesondere den Zeichnungen, die den teleskopischen Befund in Punkt-, Linien- und Flächenfigurationen übersetzten, oder den Kupferstichen im gedruckten Traktat. Seitdem die Wissenschaftshistoriker Mary G. Winkler und Albert Van Helden in einem Aufsatz aus dem Jahr 1992 argumentierten, dass mit dem Teleskop die Notwendigkeit neuartiger visueller Darstellungsmodi in der Astronomie entstand, sind zahlreiche wissenschafts- wie kunsthistorische Studien zu diesem Thema erschienen. [1] Zuletzt erlangte Horst Bredekamps Monographie über Galileo Galilei besondere Aufmerksamkeit. [2] Dass sich das Exemplar des Sidereus Nuncius, auf dem Bredekamps Argumentation in Teilen basiert, jüngst als moderne Fälschung entpuppte, nimmt seiner These von einer Verknüpfung astronomischer Erkenntnisfähigkeit mit künstlerischer Begabung nichts von ihrer heuristischen Kraft.

Ulrike Feist knüpft mit ihrer Studie, die 2011 als Dissertation im Fach Kunstgeschichte / Bildwissenschaft an der Universität Augsburg angenommen wurde, explizit an Bredekamps Forschungen an. Ausgehend von der Erweiterung des Sehens durch das Teleskop interessieren sie die "Strategien der Verbildlichung und Evidenzerzeugung" (3) in der frühneuzeitlichen Astronomie. Sie wählt zwei Untersuchungsgegenstände, zum einen die Spiegelsonnenuhr, die Kardinal Bernardino Spada 1644 nach Plänen des Mathematikers Emmanuel Maignan in der Galleria Meridiana seines Palazzo in Rom einrichten ließ. Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit den visuellen Darstellungen der Venusflecken von Francesco Bianchini, der 1728 mit dem Traktat Hesperi et Phosphori. Nova Phaenomena sive Observationes circa Planetam Veneris die erste Abhandlung über dieses Phänomen veröffentlichte. Obgleich Feist die Disparität der Beispiele offen anspricht und auf die ungleichen Entstehungszeiten, Kontexte und Medien hinweist, bietet sie kein überzeugendes Modell für eine analytische Verknüpfung der beiden Untersuchungsfelder. Infolgedessen stehen die beiden Teile der Arbeit wie zwei unabhängige monographische Abhandlungen nebeneinander.

Die imposante, doch in der Forschungsliteratur bisher kaum beachtete Spiegelsonnenuhr im Deckengewölbe der Galleria Meridiana diskutiert Feist als Ausweis der Wissenschaftspatronage sowie Instrument der Selbstrepräsentation Kardinal Bernardino Spadas. Die besondere Wertschätzung, die Spada der Sonnenuhr entgegenbrachte, kann die Autorin am Inschriftenprogramm der Galleria verdeutlichen. Wiederholt kommt darin die Faszination für die Spiegelkonstruktion zur Sprache, mit deren Hilfe das Sonnenlicht reflektiert und der Sonnenstand als Lichtpunkt und nicht, wie bei Sonnenuhren üblich, als Schattenwurf erkennbar wird. Während die Inschriften das Gewölbe als zweiten, die Sonne tatsächlich aufnehmenden Himmel preisen, ist an der Decke ein komplexes Liniengefüge zu sehen, das von wenigen Medaillons sowie einigen figürlichen Darstellungen der Tierkreiszeichen gesäumt wird.

In ihrer Beschreibung der Sonnenuhr liefert Feist eine sehr hilfreiche und gut nachvollziehbare Erläuterung der Liniensystematik. Damit wird jedoch noch nicht verständlich, was genau die "Visualisierungsstrategie" der Sonnenuhr ist, von der im Weiteren wiederholt die Rede sein wird. Dass die Fragen nach den Betrachtungsmöglichkeiten der Konstruktion im Deckengewölbe und nach den verschiedenen Ebenen bzw. Inhalten der Darstellung eine genauere Diskussion verlangen, wird etwa dort erkennbar, wo Feist auf Emmanuel Maignans Perspectiva horaria von 1648 zu sprechen kommt. Sie hebt hervor, dass der Entwerfer der Sonnenuhr sein Werk in diesem Traktat zwar ausführlich beschreibt, es aber im beigefügten Kupferstich nur in reduzierter Form abbildet. Im Stich fehlen zahlreiche Linien und auch die figürlichen Beigaben, die Maignan zufolge die Darstellung zu kompliziert machten. Diese fürsorgliche Haltung des Gelehrten gegenüber seinen Lesern lässt die Anschaulichkeit des Wissens, die Feist auch für Athanasius Kirchers 1623 in Avignon realisierte Spiegelsonnenuhr postuliert, problematisch erscheinen. Die Visualisierungsstrategie dieser Instrumente nahm, so hat es vielmehr den Anschein, ein gehöriges Maß an confusio in Kauf.

Die Erläuterungen zu Kirchers Sonnenuhr gehören bereits zu dem Kapitel, das den ersten Teil der Arbeit abschließt. Feist bietet hier eine interessante Zusammenstellung der Spiegelsonnenuhren von Kircher bis Maignan und berücksichtigt außerdem die sogenannten Meridiansäle im Vatikanpalast und im Palazzo Pitti in Florenz mit ihrem Zusammenspiel aus einfallendem Sonnenlicht, Freskendekoration und Meridianlinie. Es wird deutlich, dass Spadas Galleria Meridiana mit der Spiegelsonnenuhr ein besonders ambitioniertes Projekt war, das jedoch erstaunlicherweise schon in den Romführern des 18. Jahrhunderts keine Erwähnung mehr fand.

Der zweite, ungleich längere Teil der Arbeit bietet eine umfassende Abhandlung über die Erforschung der Venus durch Francesco Bianchini, in der auch ausführlich über Bianchinis Förderung durch den portugiesischen König Johann V., die Nomenklatur der Flecken auf der Venus oder den Fortgang der Venus-Erforschung berichtet wird. Besonders ergiebig sind die Kapitel zu Bianchinis visuellen Darstellungen der Venusflecken. Insgesamt vollzieht Feist unterschiedliche Stadien und Techniken der Darstellung nach - von den ersten Tusch- und Federzeichnungen im Februar 1726 bis zu den teilweise in Mezzotinto ausgeführten Kupferstichen im 1728 gedruckten Traktat Hesperi et Phosphori. Überzeugend kann die Autorin darlegen, dass Bianchinis Bemühen, die wahre Form der Venusflecken zu begreifen, untrennbar mit der Suche nach einer geeigneten Form der visuellen Darstellung einherging. Wenig zwingend erscheint es jedoch, Bianchini auf der Grundlage von einzelnen frühen Zeichnungen - anatomischen Studien sowie Skizzen von figürlichen Sternbildern und Festungsanalgen - "künstlerische Fähigkeiten" oder sogar "künstlerische Bravour" (173) zu attestieren. Das als weiterer Beleg angeführte Lob des künstlerischen Talents durch Bianchinis Biograph Alessandro Mazzoleni überstrahlt irritierende Details einzelner Bilder in Hesperi et Phosphori. So sehen etwa die Mondkrater wie wulstartige, auf der Fläche liegende Kringel aus, wodurch der bereits im 17. Jahrhundert erreichte Standard selenographischer Darstellung deutlich unterboten wird.

Die Autorin wird dem Funktionsspektrum der Venus-Darstellungen in besonderer Weise gerecht, indem sie ihre Verwendung nicht allein auf die Drucklegung hin betrachtet. Bianchini setzte Zeichnungen und Drucke demnach auch ein, um die Gunst Johanns V. zu erwerben - in einer Geschenksendung, die außerdem eine Armillarsphäre und einen Globus der Venus enthielt -, oder nutzte Zeichnungen als Instrument zur Beglaubigung seines teleskopischen Befundes. Feist kann hier auf Manuskriptseiten verweisen, auf denen Bianchini die Richtigkeit einer - zugegebenermaßen ziemlich diffus bleibenden - Zeichnung durch Unterschriften Dritter bestätigen oder diese sogar selbst zeichnen und ihre Darstellung signieren ließ. Darüberhinaus zeigt die Untersuchung der überlieferten Briefe, dass Bilder auch Gegenstand der Korrespondenz unter Gelehrten waren. Aus diesen Befunden lässt sich schließen, dass die Evidenz der Visualisierungen erst im Kontext verschiedener Praktiken entstand.

Ulrike Feist hat eine gut lesbare und auf umfangreichen Archivstudien gründende Studie vorgelegt, mit der das Feld der interdisziplinären Erforschung frühneuzeitlicher Astronomie um zwei sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen interessante Beispiele bereichert wird. Das schön gestaltete und mit reichlich Bildmaterial ausgestattete Buch liefert zahlreiche Anknüpfungspunkte für die weiterzuführende Debatte über Voraussetzungen, Formen und Funktionen astronomischer Visualisierungen.


Anmerkungen:

[1] Mary G. Winkler: Albert Van Helden: Representing the Heavens. Galileo and Visual Astronomy, in: Isis 83 (1992), 195-217.

[2] Horst Bredekamp: Galilei der Künstler. Der Mond, die Sonne, die Hand, Berlin 2007.

Kathrin Müller