Rezension über:

Peter Rauscher / Martin Scheutz (Hgg.): Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450-1815) (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 61), München: Oldenbourg 2013, 468 S., ISBN 978-3-486-71962-8, EUR 74,80
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Rezension von:
Christoph Mauntel
Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Mauntel: Rezension von: Peter Rauscher / Martin Scheutz (Hgg.): Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450-1815), München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/23516.html


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Peter Rauscher / Martin Scheutz (Hgg.): Die Stimme der ewigen Verlierer?

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Vom "Arabischen Frühling" 2010/11 über Proteste gegen die internationale Wirtschaftspolitik bis hin zu sozialen Unruhen in Spanien, Griechenland und der Türkei - Aufstände erscheinen in den letzten Jahren unzweifelhaft als ein Thema von aktueller Brisanz. In der historischen Forschung ist das Interesse hingegen eher gering, seit Revolten in den 1970er und 1980er Jahren intensiv erforscht wurden. Mit dem Hinweis auf diesen Zwiespalt eröffnen Peter Rauscher und Martin Scheutz den vorliegenden Band über frühneuzeitliche Revolten in den österreichischen Ländern. Dabei gebe es mit Blick auf die Rolle der Öffentlichkeit, auf Praktiken des Protestes und auf Methoden der Repression bis heute klare Parallelen zwischen Vormoderne und Gegenwart, so die Herausgeber: der (erneute) historische Blick auf Aufstände und Unruhen lohne sich also. Entsprechend liegt mit den hier versammelten 18 Beiträgen nun das Ergebnis der ersten Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung vom Mai 2011 vor, wobei der organisatorische Rahmen den geographischen Fokus auf die Gebiete der ehemaligen Habsburgermonarchie bedingt. Mit dem Blick auf Revolten soll zudem eine Leerstelle der Forschung zur frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie (17) geschlossen werden. Neben zwei einleitenden Aufsätzen ist der Band in drei Teile gegliedert, die sich aus regionaler, theoretischer und sozialer Perspektive dem Thema widmen.

In ihrer Einleitung (17-27) grenzen die Herausgeber den Gegenstand umsichtig ab und kommen auch auf eventuelle Probleme zu sprechen: Der breite zeitliche Zugriff von 1450 bis 1815 soll Vergleiche ermöglichen und den Blick auch auf das entstehende liberale Bürgertum lenken, der sozialen und administrativen Heterogenität der habsburgischen Gebiete soll durch einzelne regionale Untersuchungen Rechnung getragen werden. Zugleich sollen für die Frühe Neuzeit entscheidende Forschungskonzepte (Konfessionalisierung, Kommunalismus etc.) ebenso einbezogen werden, wie neuere methodische Ansätze (Medialität, spatial turn). Auf die Einleitung folgt ein "Kommentar" Karl Vocelkas (29-35), der die Beiträge des Bandes bereits resümierend zusammenfasst.

Das folgende (zweite) von vier inhaltlichen Großkapiteln lenkt dann den Blick auf die einzelnen Regionen des ehemaligen Habsburgerreichs: Oberösterreich (Martin Paul Schennach, 39-65), Ostösterreich (Martin Scheutz, 67-118), Böhmen und Mähren (Jaroslav Čechura, 119-133), Lausitz und Schlesien (Matthias Weber, 135-149), Ungarn (Géza Pálffy, 151-175), Dalmatien, Kroation und Slawonien (Nataša Štefanec, 177-200) sowie Niederösterreich (Thomas Stockinger, 201-222, abweichend vom sonstigen Band mit Fokus auf das Jahr 1848,). Die Beiträge sind jeweils ähnlich aufgebaut und thematisieren Ursachen, Trägerschichten, Verlauf und Repression der Aufstände. Dies ermöglicht jeweils einen detaillierten Blick auf die Regionen, der jedoch häufig zu ganz ähnlichen (und aufgrund existierender Forschungen erwartbaren) Ergebnissen führt: Meist richtete sich der Protest gegen als zu hoch empfundene Steuer- oder Arbeitslasten (oft kriegsbedingt), aber auch eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten führten zu Unruhen. Träger der Aufstände waren breite soziale Schichten, wobei die Anführer oft der städtischen oder ländlichen Elite entstammten. Hinsichtlich des Verlaufs war offener Widerstand nur die letzte Eskalationsstufe bei Konflikten: Zunächst versuchte die Bevölkerung auf dem Rechtsweg und durch Petitionen auf Gravamina aufmerksam zu machen. Die meisten größeren Aufstände wurden schließlich militärisch niedergeschlagen; während die Obrigkeit gegen die Rädelsführer mit exemplarischer Härte vorging, verhängte sie gegen die Gemeinde, die sich zum Aufstand verschworen hatte, zumeist Kollektivstrafen. Insgesamt betrachtet sind die einzelnen regionalen Analysen somit nicht frei von Redundanzen und Längen, die man aber wohl nur durch kollektive Autorschaft hätte verhindern können. Alternativ hätte eine übergreifende Tabelle über Aufstände, Ursachen und Verläufe, wie sie individuell den Beiträgen von Weber und Pálffy beigefügt ist, den vergleichenden Zugriff auf das Untersuchungsgebiet erleichtert.

Der Titel des dritten Abschnitts verspricht "große, alles erklärende Theorien und ihr[en] Bezug zu den Aufständen". Peter Blickle führt hier mit einem europaweiten Überblick überzeugend die Anwendbarkeit seines Konzepts des "Kommunalismus" vor (225-236), das die Stadt- und Landgemeinde als Ursprung vormoderner Protestbewegungen identifiziert. Die Beteiligten verschworen sich, um situativ gegen Missstände oder die Beschneidung traditioneller Partizipationsrechte vorzugehen. Peter Rauscher widmet sich in seinem Beitrag dem Konzept der "Staatsgewalt" (237-272), die sich in der Frühen Neuzeit aus der Konkurrenz der europäischen Monarchien heraus entwickelt habe. Als Ursache sieht er primär die Notwendigkeit, den kriegsbedingt hohen Ressourcenverbrauch zu organisieren. Steigende Steuerforderungen seien somit ein Hauptauslöser von Unruhen gewesen, etwa während des Türkenkriegs von 1591-1606. Die Rolle von Medien in Revolten bzw. die mediale Darstellung von Revolten thematisiert Andreas Würgler (273-296). Der Schriftgebrauch durch die Aufständischen habe dabei im Laufe der Frühen Neuzeit zugenommen, vor allem in Form von Petitionen und Zeitungen. In der Überlieferung überwiegen allerdings klar die Flugblätter der Obrigkeit, mit denen sie die Aufstände zu diskreditieren suchte. Am Beispiel der Hexenverfolgungen analysiert Wolfgang Behringer Panikreaktionen der Bevölkerung in Krisenzeiten (297-308). So habe etwa der Druck landwirtschaftlicher Krisen zu "Sündenbockreaktionen" (297) geführt, denen erst verstärkte Visitationen und neue Policeyordnungen ein Ende gemacht hätten.

Der letzte inhaltliche Teil nimmt schließlich die soziale Struktur der Aufständischen in den Blick. Jiří Dufka betont, dass fast alle Schichten der Landbevölkerung auf ihre Art an Unruhen beteiligt waren (311-327): Die lokale Elite (etwa Richter) repräsentierte häufig die Gemeinde gegenüber der Obrigkeit, Frauen beteiligten sich an Verspottungen und einfaches Dienstpersonal organisierte Protestzüge. Obwohl es in den habsburgischen Landen nur kleinere Städte gegeben habe, existierte jedoch durchaus auch eine bürgerliche Protestkultur, wie Andrea Pühringer ausführt (329-349). Ausgehend von dieser Feststellung deutet Pühringer Protest eher als Strukturelement denn als Ausnahmeerscheinung städtischer Politik. Einen zeitlichen Höhepunkt bildete dabei die Phase der Konfessionalisierung, die mit einer intensivierten Durchsetzung des Fürstenstaats einherging. Dessen asymmetrische Beziehung zu den Untertanen nimmt dann Arno Strohmeyer in den Blick (351-368). Als zentrale Ordnungsvorstellungen arbeitet er das Modell des "Hauses" heraus; hinzu treten die autoritative Stellung des Fürsten, Ideale wie Loyalität und Treue und aus adliger Sicht ein traditionelles Recht zum Widerstand. Derartige politische, soziale und ökonomische Leitbilder waren Ausdruck einer politischen Kultur, die auf Aushandlung und Konsensbildung fußte. Ähnlich stellt André Holenstein die Eidgenossenschaft als Ort einer eigenen Konfliktkultur dar (387-413), der mit seiner Organisation spezifische Instrumente und Verfahren zur Prävention und Lösung von Konflikten herausgebildet habe (z.B. die Tagsatzung) - auch wenn für die ländlichen Untertanen kaum eigene Formen der Partizipation existierten. Inspiriert vom spatial turn stellt Alexander Schunka die Bedeutung des Raumes in Aufständen heraus (369-385), sei es das Wirtshaus als lokaler Versammlungsort oder die Raumaneigung in Form von Umzügen und Prozessionen. Zwei weitere Beiträge widmen sich Stefan Fadinger, dem Anführer des oberösterreichischen Bauernkriegs von 1626: Elisabeth Gruber untersucht die Erinnerung an den Lokalhelden (415-430), Martin Fuchs seine Darstellung in historischen Romanen (431-454).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Band von Rauscher und Scheutz sowohl einen fundierten Überblick als auch detaillierte Einzelanalysen frühneuzeitlicher Unruhen und Aufstände im ehemaligen Habsburgerreich bietet. Diese geographische Beschränkung ist von der Organisation des Bandes her verständlich, inhaltlich jedoch bietet sich gerade dieses Thema für Regionen (und Epochen) übergreifende Vergleiche an. Viele der im vorliegenden Band formulierten Ergebnisse sind mit Blick auf andere europäische Länder verallgemeinerbar bzw. wurden bereits intensiv untersucht - diese Forschungen werden einzig im Beitrag von Peter Blickle einbezogen. Für die österreichischen Länder wäre zudem eine übergreifende Bibliographie nützlich gewesen, die den Zugriff für weitere Forschungen sicher vereinfacht hätte. Anregend sind vor allem die Analysen, die neue methodische Ansätze nutzen, um sich Unruhen und Protestkulturen aus einer frischen Perspektive zu widmen: Sie zeigen damit, dass der Blick auf ritualisierte Handlungsabläufe, die Bedeutung des Raums und die kollektive Erinnerung an Aufstände zweifellos weitere Forschungsbemühungen lohnt.

Christoph Mauntel