Walter Cupperi / Martin Hirsch / Annette Kranz u.a. (Hgg.): Wettstreit in Erz. Porträtmedaillien der deutschen Renaissance, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, 376 S., 605 Abb., ISBN 978-3-422-07223-7, EUR 44,00
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Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen eines Ausstellungsprojekts der Münzsammlungen und -kabinette in München, Wien und Dresden. An der inhaltlichen Konzeption des Projekts waren zudem Ulrich Pfisterer und Walter Cupperi vom Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München maßgeblich beteiligt. Das Buch ist in zwei große Abschnitte untergliedert: Essays und Katalog.
Den Essayteil eröffnet Ulrich Pfisterer mit seinen fundierten Aussagen über Repräsentation und Reproduktion in der Medaille als neues Bildmedium nördlich der Alpen. Insbesondere fragt er nach den sozialen Bezügen des Mediums: nach Stellung und Selbstverständnis der Besteller und Dargestellten ebenso wie nach jenen der produzierenden Künstler und Handwerker. Damit verbunden ist stets die Frage nach der Funktion bzw. nach der Verwendungsweise der Medaille. Für Pfisterer gilt als selbstverständlich: Antworten lassen sich nicht allein durch die Bestimmung und Deutung der Stücke selbst finden, sondern nur unter Zuhilfenahme der schriftlichen Überlieferung. Und er bezieht weitere Bildmedien mit ein (unter anderem Gemälde und Holzschnitte). Auf diese Weise gelingt es ihm hervorragend, den "Wettstreit in Erz" nachzuvollziehen und zu erklären.
Im nächsten Beitrag widmet sich Heinz Winter den Medaillen eines Herrschers, der wie kaum ein zweiter die überaus komplexen und vielfältigen Formen seiner eigenen Memoria konstituierte: Maximilian I. (1493-1519). Zu deren Absicherung mahnte er in seinem "Weißkunig" den herrscherlichen Gebrauch des Geldes an: "so wird das gelt, so ich auf die gedechtnus ausgib, nit verloren, aber das gelt, das erspart wird in meiner gedächtnus, das ist ain untertruckung meiner kunftigen gedächtnus". Hinzu trat das ausgesprochene Interesse Maximilians an Münzen. Die Annahme der bisherigen Forschung, dass auch die Gussmedaille von ihm gefördert wurde, kann Winter jedoch überzeugend widerlegen. Es ist kein Zufall, dass diese Thematik von dem Wiener Numismatiker behandelt wird, hat er doch kürzlich in einem umfangreichen Bestandskatalog die Schaumünzen und Medaillen von Maximilian I. bearbeitet.
Annette Kranz stützt ihren Beitrag über die gesellschaftliche Verortung der Porträtmedaille der deutschen Renaissance explizit auf das große Corpuswerk von Georg Habich, der als Nestor der deutschen Medaillenforschung gilt und der mit seinen zwischen 1929 und 1934 erschienenen vier Bänden "Die deutsche Schaumünze des XVI. Jahrhunderts" die Quellenbasis für die Erforschung der Frühzeit der deutschen Medaille schuf. Die Autorin leistet Beachtliches, indem sie die 3722 von Habich verzeichneten Objekte einer Analyse unterzieht. Sie fragt bei den Protagonisten nach "männlich / weiblich", "bekannt / unbekannt", "Fürstenhöfe / Bürgertum", nach Konfession, Region, Profession. Am Beispiel von Augsburg betrachtet dann Kranz die über 300 Medaillen, die sich auf Personen aus dieser Stadt beziehen. Es verwundert nicht, dass neben Gelehrten und Akademikern die Angehörigen der Familie der Kaufmannschaft mit einem Anteil von rund 60 Prozent am stärksten vertreten sind.
In seinem Essay beleuchtet Martin Hirsch die Beziehung von Medaille und Kleinplastik. Unbestritten lässt sich festhalten, dass die Medaillenkunst als Teil der bildenden Künste angesehen wurde. Dazu stellt Hirsch verschiedene Kunstwerke vor, die die Vielseitigkeit des künstlerischen Handwerks demonstrieren. So schuf Christoph Weiditz (um 1500-1559) eben nicht nur rund 150 Medaillen, sondern auch ein prunkvolles Dolchbesteck, das heute zu den bedeutendsten renaissancezeitlichen Waffen der Dresdner Rüstkammer gehört. Weiterhin werden die sogenannten Dosenköpfe vorgestellt - Hauptwerke der kleinformatigen Porträtkunst in Deutschland. Hierbei handelt es sich um Tondi, die in Dosen verwahrt wurden. Hirsch plädiert nun dafür, dass die in der Wiener Kunstkammer aufbewahrten Dosenköpfe von Kurfürst Friedrich III. (1486-1525) und seiner Mätresse Anna Dornle nicht auf den Bildhauer Hans Daucher (um 1485-1537/38) zurückgehen, sondern von einem Meister stammen, der um 1525 in Nürnberg mit Medaillen hervorgetreten ist.
Im Mittelpunkt des Interesses von Rainer Grund steht die Medaille als Medium im Kontext der Reformation. Waren zunächst vor allem Bildnismedaillen von Martin Luther und von anderen Wegbereitern der neuen Glaubenslehre hergestellt worden, erweiterte sich mit dem Entstehen einer Öffentlichkeit, die für politische Konflikte ebenso wie für religiös-konfessionelle Themen zu sensibilisieren war, das thematische Spektrum. Medaillen dienten nun dem Gedächtnis wichtiger Ereignisse, die der Nachwelt überliefert werden sollten (so etwa Stücke auf die Schlacht bei Mühlberg 1547 und auf die Religionskriege). Dazu trat bald schon die Funktionalisierung der Medaillen als Instrument der Propaganda: Sie wurden sogar als Mittel der Satire genutzt, um in der religiösen Auseinandersetzung den Papst und die katholische Kirche oder auch umgekehrt die Reformatoren zu verspotten. Darüber hinaus erlangten die erzgebirgischen Prägemedaillen mit ihren biblischen und allegorischen Darstellungen große Verbreitung.
Der folgende Beitrag von Hermann Maué stellt quasi eine Fortsetzung des Vorangegangenen dar. Es geht hier nicht um die für die Renaissance typischen Bildnismedaillen, sondern um Stücke, die sich auf Ereignisse (Grundsteinlegungen, Taufen) beziehen oder die als Preise bzw. Prämien fungierten. Außerdem behandelt der Autor reformatorische Spottmedaillen und Medaillen mit moralisierenden Inhalten. Dabei stehen die Arbeiten von Medailleuren im Mittelpunkt, die in Nürnberg oder im Erzgebirge tätig waren.
Walter Cupperi beschäftigt sich in seinem Essay mit der Verbreitung der Medaillen. Die von Meistern des 16. Jahrhunderts aus deutschen Städten produzierten Stücke fanden nicht nur im Alten Reich, sondern auch weit darüber hinaus in Europa ihre Abnehmer. Vielfach erfolgten von dort die Bestellungen. Manche Medailleure agierten sogar als reisende Künstler außerhalb des Alten Reiches. Die "deutsche" Medaille kannte nun einmal keine Grenzen.
Im Katalogteil werden die Medaillen nach Themen geordnet vorgestellt: "Medaille und Bildniskünste", "Medaillen und Münzen", "Anlässe und Funktionen", "Der Medailleur", "Hans Schwarz", "Medaillen im deutschsprachigen Raum", "Zur Ikonologie der Medaillenrückseiten" und schließlich "Wissensordnungen der Medaille". Hilfreich ist dabei jeweils eine kurze Einführung in das Thema. Im Anhang werden die bedeutendsten Medailleure der deutschen Renaissance biografisch vorgestellt.
Der Band setzt neue Maßstäbe bei der Erforschung der deutschen Renaissancemedaille. Die Stücke werden nicht nur als Einzelkunstwerke betrachtet, sondern erfahren ihre Verortung im Gesamtprozess der renaissancezeitlichen Kunstentwicklung. Besonders verdienstvoll: Der Funktion der Medaille wird breiter Raum eingeräumt, nämlich als Mittel im Gabentausch zur Herstellung und Stabilisierung sozialer Beziehungen zu dienen. Nicht zuletzt sei hervorgehoben, dass die Abbildungen einfach brillant sind.
Noch ein Ausblick: Anlässlich der Münchner Ausstellung veranstaltete das Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München im Februar 2014 ein Kolloquium zur Porträtmedaille der Renaissance ("Die andere Seite. Funktionen und Wissensformen der frühen Medaille"). Dazu wird ein Band erscheinen, herausgegeben vom Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums Wien im Rahmen der Numismatischen Zeitschrift. Dieser wird eine willkommene Ergänzung zum hier besprochenen Buch "Wettstreit in Erz" bilden.
Torsten Fried