"Das Kino hat keine Grenzen!"
Hommage an Souleymane Cissé.

Fokus Afrika - Schwerpunktland Mali
bei den 30. Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart 2013.
Podiumsdiskussion zur Situation des Kinos in Mali mit: Souleymane Cissé - Regisseur aus Mali
Jean-Marie Téno - Regisseur aus Kamerun
Dr. Ibrahim Fugaye Sissoko, Mali und Absolvent der Universität Göttingen
dem malischen Schauspieler Boucary Ombotimbe
Bernd Wolpert/EZEF Stuttgart

Von Assia Maria Harwazinski


Mali, eines der wirtschaftlich ärmsten (Platz 182 auf der Weltliste der Entwicklung), aber kulturell nichtsdestotrotz reichen Länder dieser Welt, war das diesjährige Schwerpunktland der 30. Französischen Filmtage. Aus diesem Anlass war der Regisseur Souleymane Cissé als Ehrengast geladen, der bereits 1988 auf diesem Festival des frankophonen Films seinen ethnographischen Spielfilm "Yeelen" (Das Licht, 1987) zeigte. Beeinflusst vom russischen Realismus, ging er seinen eigenen künstlerischen Weg unter Bedingungen, die nicht gerade einfach waren, ihn aber tief inspirierten. Dieses Mal war der Schwerpunkt dem Gesamtwerk Cissés gewidmet. Die Filme von Jean-Marie Téno wurden inzwischen alle bei diesem Filmfest gezeigt, das zudem bereits Filme des verstorbenen Sheikh Omar Sissoko im Programm hatte. Ein Film von Cissés Tochter, Soussaba Cissé, wurde dieses Jahr ebenfalls präsentiert: "Ngunu Ngunu Kan/Rumeurs de guerre/Geschichte vom Krieg" - ein Film über einen jungen Radiomoderator, der die Aussöhnung der malischen Gesellschaft angesichts der aktuellen politischen Konflikte anstrebt. Das Publikum hatte die Gelegenheit, Fragen an Cissé zu stellen, die aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wurden. Dieser Beitrag ist keine vollständige Wiedergabe der Publikumsdiskussion, Fragen und Antworten, sondern eine Zusammenfassung derselben.

Souleymane Cissé wurde 1940 in der Hauptstadt des Landes, Bamako, geboren Er wuchs im Senegal auf und kehrte 1960 in das unabhängig gewordene Mali zurück. Von früh an filmbegeistert, wird er in der Heimat als Filmvorführer und Fotograf ausgebildet. Er erhält ein Stipendium, das ihm ein Studium in Film- und Drehtechnik an der berühmten Moskauer Filmhochschule ermöglicht. 1970 reist er zurück nach Mali, wo er zunächst als Kameramann für das malische Informationsministerium arbeitet. 1972 produziert er seinen ersten, unabhängig produzierten Film "Cinq jours d'une vie".

Auf die Frage, wie es damals war, als junger Mann nach Moskau zu kommen und ob es Rassismus in der ehemaligen Sowjetunion gegeben habe, antwortete Cissé: "Es ist eine tief greifende Erfahrung gewesen, eine große Chance, gerade als Muslim. Wir wohnten unter uns, arbeiteten aber mit Allen zusammen, um die Technik zu lernen. Ein weiteres Stipendium ermöglichte ein Fotografie-Studium für zehn Monate. Ich konnte kein Russisch und war das erste Mal in Europa. Es war sehr schwierig, sehr einsam, ich weinte sogar, mit 31 Jahren, auch später, bis 37 Jahre. Ich wusste, dass Rassismus existierte, aber ich habe ihn persönlich nie erlebt. … Wir haben an Wettbewerben teilgenommen, zwar nicht gewonnen, aber sehr viel gelernt. Ich danke allen meinen früheren Lehrern."

Jean-Marie Téno antwortete auf die Frage, was ihn am stärksten an Cissé fasziniert habe: "Ich war 1983 in Ouagadougou (Filmfestival). Damals lernte ich alles über afrikanisches Kino, was es gab. Europäer hatten immer einen speziellen, stereotypen Blick auf Afrika und seine Menschen. Diese erste Generation unserer Filmemacher versuchte, mehr Komplexität in den Blick zu bringen, ein anderes Afrika zu zeigen, nicht nur Schwarz-Weiß, sondern mehr Facetten. Die Journalisten waren in der Regel immer alle Weiße. Meine Unterhaltung mit Souleymane Cissé führte dazu, dass dieser mich aufforderte, meine eigenen Filme zu machen, nicht nur Anderen zuzuschauen und darüber zu reden." Beide müssen lachen; eine kleine innerafrikanische Emanzipations-Anekdote.

Ibrahim Fugaye Sissoko: "Mein erster Film war "Fünf Tage eines Lebens" von Cissé, es war mein erstes Mal im Kino. Mein Vater war Lehrer, er sagte, ein Film oder ein Roman müsse die Gesellschaft reflektieren und zitierte damit einen französischen Schriftsteller. Das ist das Motto von Cissé in diesem Film: Ein junger Mann verlässt sein Dorf und fällt in die Kriminalität. Bei Cissé gibt es eine Steigerung in der Wanderung des jungen Mannes des ersten Films in "Baara" (Arbeit, 1978), es ist ein Gewerkschaftsfilm. In "Finiye" (Der Wind, 1983) sagte er die Demokratisierung Afrikas vorher, kündigte sie gewissermaßen an. "Yeelen" ist ein Film über ein uraltes Motiv, der Kampf zwischen Tradition und Modernität."

Jean-Marie Téno: "Yeelen" ist modern in der Botschaft; er zeigt den Generationenkonflikt."

Souleymane Cissé: "Meine Filme laufen gut in Afrika, "Waati" (Die Zeit, 1995) wird bis jetzt in Mali gezeigt. Es gibt neue Probleme seit gut zehn Jahren, in Südafrika und Algerien. Zu "Yeelen": Als ich das Drehbuch schrieb, zeigte ich es französischen Produzenten - ihre Antwort: "Das ist ein touristischer Film". Was die Produzenten aber umtreibt, ist seine Poesie. Das Zeigen von "Yeelen" in Cannes war ein Durchbruch, er erhielt große Fürsprache, besonders von Yves Montand, der Anderen auf ihre Frage, weshalb er diesen Film gesehen habe und so lobe, antwortete: "Geh' hin und schau ihn Dir an!". Dieser Film enthält sehr sensible Szenen, bei denen ich bis heute noch Gänsehaut bekomme. Es gab und gibt immer noch Weinen anlässlich dieses Films und einige Anekdoten darum herum."

Auf die Frage nach seiner Beeinflussung durch andere Regisseure und Filmschulen antwortete Cissé: "Wenn ich ein Thema habe, schreibe ich es nach meinen Ideen, auf meine Art und Weise. In Moskau hatte ich einen Lehrer aus Guinea, der wichtig war. Er war sehr talentiert. Auch einige Lehrer aus Kiew und Leningrad, aber vor allem diejenigen in Moskau. Ein Film, der mich sehr beeindruckt hat, war der russische Film "Potemkin". … Frankreich und Hollywood haben mich sicherlich unbewusst geprägt, da ich deren Filme als Kind gesehen habe. Es gibt keinerlei Entkommen. Kino ist nichts, das man als Erbe vom Vater bekommt; es ist ein Gefühl und/oder ein Einfluss. Ich bin auch hier verpflichtet, ein wenig zu konsumieren, aber nicht zuviel."

Die Frage nach seinen drei Lieblingsfilmen und -regisseuren beantwortet Cissé nicht; diese Frage sei ihm immer wieder gestellt worden, aber er mag sie nicht. Sonst würde man weltweit verbreiten, Cissé habe dies und jenes gesagt, über diesen und jenen Regisseur und Film. Nein, nein… Jean-Marie Téno dagegen hat damit kein Problem. Für ihn ist "Baara" von Souleymane Cissé einer seiner drei wichtigsten Filme, dann gibt es noch einen weiteren von Ken Loach und insgesamt der verstorbene niederländische Fotograf und Dokumentarfilmer Johan van der Keuken mit seinem Werk..

Bernd Wolpert hält "Waati" (Die Zeit, 1995), eine Koproduktion von Mali, Elfenbeinküste, Südafrika, Burkina Faso, Frankreich, für einen der wenigen Filme, die die Idee des Panafrikanismus wieder spiegeln.

Nach Souleymane Cissé ist der Zustand des afrikanischen Kinos bis heute insgesamt schwieriger als die Situation des unabhängigen Kinos in Europa und den USA. Befragt nach seinem Verhältnis zur Regierung und zur offiziellen Politik seines Landes bis zur Unabhängigkeit und seitdem informierte Cissé knapp, dass seine Produktionen glücklicherweise nicht von Politikern abhingen. Im Fall seiner Produktion "Baara" habe er diesen Streifen einem entscheidenden Politiker einfach gezeigt, sei einfach hingegangen; dieser sah ihn, befand ihn für gut, woraufhin ihn Cissé am nächsten Tag offiziell zeigen konnte. Cissé dazu: "Wenn man zurückgewiesen wird oder eine Ablehnung erhält, ist das nicht weiter schlimm; das passiert Tausenden von Menschen in Mali. Man muss trotzdem weiter Filme machen."

Souleymane Cissé sagte abschließend noch: "Die Kultur spiegelt die Politik. Es gibt eine Autonomie der Kunst, die sich nicht in den Dienst der Politik stellen lässt." Er verweist damit auf das Problem der Monopolisierung im Filmbetrieb, ein Problem, das es in Afrika noch nicht vergleichbar gibt wie in westlichen Industrieländern, und in einem kleinen Land wie Mali erst recht nicht. Allerdings dauert hier die Produktion eines Films aus anderen Gründen zwischen drei und fünf Jahren, da es keine den westlichen Filmproduktionsgesellschaften vergleichbare Infrastruktur gibt. Unabhängigkeit hat eben ihren Preis, und sei es in der Kategorie der Zeit.