Rezension über:

Manfred Berg: Geschichte der USA (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte; Bd. 42), München: Oldenbourg 2013, XIV + 233 S., ISBN 978-3-486-70482-2, EUR 24,80
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Rezension von:
Jens van Scherpenberg
München
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Empfohlene Zitierweise:
Jens van Scherpenberg: Rezension von: Manfred Berg: Geschichte der USA, München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/24068.html


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Manfred Berg: Geschichte der USA

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Eine Geschichte der USA auf 100 Seiten verfassen zu wollen, ergänzt durch knapp 70 Seiten zum Stand der historischen Forschung, ist ein sehr anspruchsvolles Unterfangen. Man ist als mit dem Gegenstand einigermaßen vertrauter Rezensent unweigerlich versucht, an zahlreichen Stellen anzumerken: Hier fehlt doch etwas! Das kann man doch nicht nur so beiläufig erwähnen! Aber das wären gegenüber dem Plan des Buches, wie er dem Autor von den Herausgebern der Oldenbourg-Reihe "Grundrisse der Geschichte" vorgegeben wurde, unangemessene Einwände. Zu fragen ist also vor allem: Erfüllt diese "Geschichte der USA" die Erwartungen des wissenschaftlich interessierten, aber mit dem Gegenstand der amerikanischen Geschichte nicht vertrauten Lesers? Dies ist uneingeschränkt zu bejahen. Manfred Berg gelingt es in bewundernswerter Klarheit und Prägnanz, nicht nur einen gelungenen Überblick über seinen Gegenstand zu bieten, sondern diesen anhand seiner Ausführungen zum Forschungsstand im zweiten Teil des Buches vielfach zu vertiefen, so dass sich offene Fragen aus dem darstellenden ersten Teil hier in den allermeisten Fällen beantwortet finden.

Dieser erste Teil, die Darstellung der Geschichte der USA, widmet annähernd je ein Drittel der Geschichte vom kolonialen Amerika bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs, der Geschichte vom Bürgerkrieg bis zum Zweiten Weltkrieg sowie der inneren und äußeren Entwicklung der USA als multikulturelle Gesellschaft und globale Supermacht. Diese Gliederung wird zunächst aufgenommen im zweiten Teil des Buches "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung". Daran schließt sich in diesem Teil jedoch ein außerordentlich verdienstvolles Kapitel (Kap. 5) an, das "ausgewählte Themenfelder und Teildisziplinen" behandelt, im Einzelnen: Außenpolitik, Einwanderung und Rassenbeziehungen, afroamerikanische Geschichte und Bürgerrechtsbewegung, Frauen und gender studies, Kultur- und Religionsgeschichte mit dem für die USA so wichtigen Punkt "Erinnerungskultur", Geschichte der nordamerikanischen Indianer, schließlich Frontier und Umwelt.

Gerade in diesem letzten Kapitel wird die starke Prägung weiter Bereiche der historischen Forschung durch wechselnde wissenschaftliche "Moden" zumal in den USA deutlich. "Die amerikanische Geschichtswissenschaft" - schreibt der Autor einleitend - "versteht sich [...] als Teil gesellschaftlicher Emanzipationsbewegungen und steht häufig in krassem Gegensatz zum öffentlichen Geschichtsdiskurs und seinem vornehmlich patriotischen Geschichtsbild" (XIII). Zugleich findet sich in diesem Kapitel vielfach das, was man im darstellenden Teil oft vermisst: eine historische Einordnung der oft nur sehr gerafft angesprochenen Ereignisse und Entwicklungen. Dennoch bleibt es vielleicht das größte Defizit des Buches, dass die Lebendigkeit der Geschichte der USA, ihr Fortwirken in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, auch ihre Instrumentalisierung in den heutigen stark polarisierten politischen Auseinandersetzungen, nicht sehr gut herausgearbeitet wird.

Zu akzeptieren ist, dass der Autor einleitend klarstellt, auf die Wirtschaftsgeschichte, aber auch die Rechts- und Verfassungsgeschichte der USA nur am Rande eingehen zu wollen. An diesem Rand aber kommt es - wohl zwangsläufig - zu Ungleichgewichten in der Darstellung. Ein für die Stellung der USA in der Weltwirtschaft so zentrales Ereignis wie die Aufkündigung des Bretton-Woods-Abkommens von 1944 über feste Wechselkurse durch Präsident Richard Nixon 1971 wird noch nicht einmal in einem Halbsatz erwähnt, die Wirtschaftspolitik unter Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren dafür auf mehr als einer halben Seite - hier jedoch auch mit unklarer Gewichtung: Die Zinssenkung der Fed nach dem Börsencrash von 1987 wird erwähnt, nicht jedoch die national wie international wesentlich bedeutendere starke vorherige Zinsanhebung unter Fed-Chairman Paul Volcker zur Bekämpfung der hohen Inflation im letzten Jahr der Präsidentschaft von Jimmy Carter.

In der polarisierten politischen Diskussion der letzten Jahre so zentrale Auseinandersetzungen wie die um die Rechte der Einzelstaaten gegenüber dem Bund sowie um die Frage, wie sehr der Supreme Court, als "activist court", die Verfassung durch seine Rechtsprechung fortentwickeln dürfe, statt ihre Artikel eng zu interpretieren, kommen nicht vor. Auf der anderen Seite wird ein ebenso zentraler Aspekt, die seit der frühen Kolonialgeschichte immer wiederkehrenden religiös-evangelikalen Erweckungsbewegungen und ihr wechselnder Einfluss auf die Politik, sehr gut herausgearbeitet.

Ferner gelingt es dem Autor im zweiten Teil seines Buches, vor allem in seinen Ausführungen zur "Erinnerungskultur" und zu "Geschichtswissenschaft und Geschichtspatriotismus", die große Bedeutung der Inszenierung amerikanischer Geschichte zu zeigen, wie sie etwa in den Museen der National Mall in Washington DC zu beobachten ist. Den zahlreichen patriotischen Mythen zur Geschichte der USA und ihrer Gründung, die das öffentliche Geschichtsbewusstsein innerhalb wie außerhalb Amerikas prägen, stellt er den aktuellen Stand der historischen Forschung entgegen, an dem diese Mythen sich oft genug blamieren. Warum diese Mythen dennoch bis heute politisch so wirkmächtig sind, auf diese Frage muss der Leser selbst seine Antwort finden. Bergs "Geschichte der USA" bietet ihm hierzu aber vielfaches Material - und eine umfangreiche, thematisch gegliederte Liste vertiefender Literatur.

Das Buch wird dem Auftrag der Herausgeber, einen wissenschaftlich qualifizierten Überblick über die Geschichte der USA für Studenten und Lehrer der Geschichte wie auch für Nicht-Historiker bereitzustellen, insgesamt in vorbildlicher Weise gerecht.

Jens van Scherpenberg