Ryan Szpiech: Conversion and Narrative. Reading and Religious Authority in Medieval Polemic (= The Middle Ages Series), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2013, XIV + 311 S., ISBN 978-0-8122-4471-7, GBP 39,00
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Ein von Glaubenszweifeln geplagter Jude betritt die Synagoge und betet zu Gott, er möge das Leid des Volkes Israel lindern. Erschöpft vom Gebet, schläft er ein. Im Traum erklärt ihm ein Mann, den Juden fehle ein gerechter Lehrer, der sein Volk aus dem Exil führen könne. Als dem Juden wenige Jahre später derselbe Mann im Traum erscheint und ihn für das zukünftige Schicksal seines Volkes verantwortlich macht, beschließt er, zum Christentum zu konvertieren. Mit dieser in der Ich-Perspektive erzählten Geschichte beginnt das auf Hebräisch verfasste und nur in katalanischer Übersetzung überlieferte Werk "Lehrer der Gerechtigkeit" ("Moreh Ẓedek"/"Mostrador de justicia") des katalanischen Konvertiten Abner von Burgos (ca. 1265/70-ca. 1347), der sich nach seiner um das Jahr 1320 erfolgten Konversion Alfonso von Valladolid nannte.
Den oben beschriebenen Bericht nimmt Ryan Szpiech, Associate Professor für Romanische Sprachen an der University of Michigan, zum Ausgangspunkt für seine Studie über spätmittelalterliche Konversionserzählungen. Während die ältere Forschung solche Berichte für Tatsachenerzählungen hielt, auf deren Grundlage sich die Umstände von Konversionen wie der von Abner/Alfonso detailliert nachzeichnen ließen, blendet Szpiech die Frage nach dem Tatsachengehalt dieser Erzählungen komplett aus und betrachtet sie stattdessen als Narrative, die er mit den Methoden der Literaturwissenschaft analysiert und interpretiert: "Stories about conversion make most sense when viewed as stories [Hervorhebung Szpiech] rather than as embellished but factual descriptions of historical events" (217).
Es geht Szpiech somit nicht um die Frage, ob sich etwa der Glaubenswechsel Abners/Alfonsos genauso zugetragen hat, wie es im "Lehrer" geschildert wird. Vielmehr interessieren ihn die Gründe dafür, weshalb gerade die Autoren polemischer Werke im späten Mittelalter so häufig auf das Medium der Konversionserzählung zurückgriffen (3f.). Zur Beantwortung dieser Frage unterzieht Szpiech eine Auswahl solcher Erzählungen, die zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert vorwiegend auf der iberischen Halbinsel entstanden sind, einer detaillierten, textnahen Analyse. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Texten, die die Konversion zum Christentum als Gegenstand haben. Daneben zieht Szpiech aber auch Berichte über Konversionen zum Judentum (Kapitel 3) und Islam (Kapitel 6) vergleichend heran.
Im ersten Kapitel stellt Szpiech die beiden wohl bekanntesten Konversionserzählungen des Christentums vor: die in mehreren Briefen sowie in der Apostelgeschichte beschriebene Konversion des Saulus/Paulus von Tarsus sowie die im achten Buch der "Confessiones" geschilderte Bekehrung des Augustinus. Anhand der Berichte der beiden Konvertiten Juan Andrés und Pablo de Santa MarÍa, die im 15. Jahrhundert vom Islam bzw. vom Judentum zum Christentum übertraten, zeigt Szpiech, wie sich mittelalterliche Autoren bei ihren Konversionserzählungen an die Vorbilder Paulus' und Augustinus' anlehnten und wie sie dabei paulinische und augustinische Motive veränderten und an ihre eigenen Erzählungen anpassten.
Im darauffolgenden Teil macht Szpiech deutlich, dass christliche Autoren ab dem 12. Jahrhundert damit begannen, von den klassischen Vorbildern Paulus und Augustinus abzuweichen bzw. diese zu ergänzen. Ursache hierfür war, dass um diese Zeit die aristotelische Logik (ratio) Einzug in die europäische Gelehrtenwelt hielt. In der Folge war es nicht mehr ausreichend, wenn sich Autoren alleine auf christliche Traditionen beriefen, um ihren Texten Geltung (auctoritas) zu verschaffen (65). Konvertiten wie Hermann von Köln und Petrus Alfonsi ergänzten daher die herkömmlichen Autoritäten Paulus und Augustinus um eigene Erzählungen, die auf vermeintlich selbst erlebten Erfahrungen beruhten, um die Glaubwürdigkeit ihrer Texte zu erhöhen und so selbst zu anerkannten "Autoritäten" zum Thema Glaubenswechsel zu werden.
Nach dem bereits erwähnten Exkurs zu jüdischen Konversionserzählungen (Kapitel 3) befasst sich Szpiech im vierten Kapitel mit der Bedeutung fremdsprachlicher Texte, die ab dem 13. Jahrhundert verstärkt in den Fokus der Autoritäts-Debatte rückten. Wurden nicht-christliche Texte in den Jahrhunderten zuvor meist rundweg abgelehnt, so lernten christliche Polemiker wie Ramon MartÍ ab dem 13. Jahrhundert Hebräisch oder Arabisch, um nicht-christliche "Autoritäten" wie Talmud und Koran heranziehen und mit deren Hilfe die vermeintlichen Irrtümer der Juden und Muslime beweisen zu können. Noch einen Schritt weiter ging der mallorquinische Gelehrte Ramon Llull, der Arabisch lernte, um sich direkt an die Muslime zu wenden.
Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung mit dem im fünften Kapitel ausführlich behandelten Abner von Burgos/Alfonso von Valladolid. Dieser verfolgte das Ziel, seine ehemaligen Glaubensgenossen zum Übertritt zum Christentum zu bewegen, weswegen er sich in seinen ausschließlich auf Hebräisch verfassten Werken direkt an sie wandte. Dabei präsentierte er sich seiner Leserschaft nicht als Gegner, sondern als Abkömmling des jüdischen Volkes, der aus eigener Erfahrung zu wissen vorgab, dass der einzige Weg zur Rettung der Juden in ihrer Konversion zum Christentum liege. Abner/Alfonso verband also den Aspekt der linguistischen Kompetenz mit dem der (vermeintlich) persönlichen Augenzeugenschaft, um Autorität zu generieren.
Im Anschluss an einen weiteren Exkurs zu Konversionserzählungen im Islam (Kapitel 6) kommt Szpiech zu seinem Fazit und erläutert, dass die Ursache für das häufige Vorkommen von Konversionserzählungen im polemischen Schrifttum des Spätmittelalters in den strukturellen Ähnlichkeiten beider Genres zu sehen ist. So repräsentierten die in den Berichten auf mikrokosmischer Ebene beschriebenen Konversionen Einzelner allegorisch die Beziehung zwischen den drei abrahamitischen Weltreligionen auf makrokosmischer Ebene. Dies erklärt auch, warum solche Konversionserzählungen in erster Linie im christlichen Kontext von zentraler Bedeutung waren. Schließlich ging das Christentum aus dem Judentum hervor, weswegen sich gerade Berichte über die Konversion eines Juden zum Christentum bestens dazu eigneten, die Erfüllung des Judentums durch das Christentum zu repräsentieren und dramatisch in Szene zu setzen.
Insgesamt ist es Ryan Szpiech gelungen, neue Wege in der Erforschung mittelalterlicher Konversionsberichte aufzuzeigen. Seine Arbeit macht deutlich, welchen Mehrwert ein tatsächlich interdisziplinäres Herangehen, das historische Quellen mit den Methoden der Literaturwissenschaft auswertet, haben kann. Daneben sind die enorme Sachkenntnis, die analytische Schärfe und insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten des Autors hervorzuheben. Letztere erlauben es Szpiech nämlich nicht nur, seine Arbeit auf höchstem sprachlichem Niveau zu verfassen, sondern darüber hinaus auch katalanische, lateinische, hebräische und arabische Quellen im Original zu verwenden. Somit bleibt abschließend festzuhalten, dass die Arbeit von Ryan Szpiech in jeder Hinsicht als vorbildlich zu bezeichnen ist und besonders für all diejenigen von großem Nutzen sein wird, die sich mit den Themen Konversion, Polemik oder mittelalterlicher Narrativität befassen.
Christian Scholl