Rita George-Tvrtković: A Christian Pilgrim in Medieval Iraq. Riccoldo da Montecroce's Encounter with Islam (= Medieval Voyaging; Vol. 1), Turnhout: Brepols 2013, XVII + 248 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-53237-0, EUR 80,00
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Ane Bysted / Carsten Selch Jensen / Kurt Villads Jensen u.a.: Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100 - 1522, Turnhout: Brepols 2012
Antón M. Pazos (ed.): Pilgrims and Politics. Rediscovering the Power of the Pilgrimage, Aldershot: Ashgate 2012
Gerhard Fouquet (Hg.): Die Reise eines niederadeligen Anonymus ins Heilige Land im Jahre 1494, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007
Der Dominikaner Riccoldo da Montecroce (ca. 1243-1320) gehörte zur ersten Generation von Missionaren, die dem Auftrag ihres Ordens folgend gezielt nach Asien reisten, um Muslime, Juden und auch die 'häretischen' Ostchristen von der Konversion zum römisch-lateinischen Glauben zu überzeugen. Riccoldo besuchte nicht nur das Heilige Land, sondern auch Kleinasien und Persien. Erst nach zwölf Jahren kehrte er wieder in seine Heimatstadt Florenz zurück. Allein zehn Jahre hielt er sich seinen Angaben zufolge in Bagdad auf, wo er sein Arabisch perfektionierte und intensiv den Koran studierte. Seine Erfahrungen verarbeitete Riccoldo in mehreren Werken, die in vieler Hinsicht ungewöhnlich sind und seit einiger Zeit wieder verstärkt von der Forschung wahrgenommen werden.[1] Sie gewähren nicht nur tiefe Einblicke in den Bereich mittelalterlicher Kulturbegegnung und Differenzwahrnehmung, sondern auch in das Verhältnis von Augenzeugenschaft und autoritativem Wissen sowie in die an das intendierte Publikum angepassten Schreibstrategien. Damit wird nicht zuletzt der Wandel von Weltdeutungen im 13. Jahrhundert sichtbar, der durch von Riccoldo als einschneidend erfahrene geopolitische Änderungen wie die Expansion der Mongolen und das Ende der Kreuzfahrerreiche bedingt ist.
Rita George-Tvrtković konzentriert sich in der Druckfassung ihrer 2007 abgeschlossenen Dissertation insbesondere auf Riccoldos Reisebericht (Liber peregrinationis) und einige in Briefform verfasste Schriften (Epistolae ad ecclesiam triumphantem), in denen er himmlische Adressaten (u.a. Gott, Maria) angesichts des Verlustes von Akko 1291 um Erklärungen dafür bittet, warum Gott die Vernichtung und Vertreibung von Christen durch die Muslime zulassen konnte. Stärker noch als die später verfassten Abhandlungen (Contra legem Sarracenorum und Ad nationes orientales) zeichnen sich der Reisebericht und die Briefe durch ambivalente Aussagen zum Islam aus. Einerseits verurteilt er den Islam als diabolische Religion und den Koran als blasphemisches Buch. Andererseits zeigt er sich über einzelne Aspekte des islamischen Glaubens (z.B. Frömmigkeit, Almosengabe und Barmherzigkeit) positiv erstaunt, äußert sich wiederholt begeistert über die Eleganz der arabischen Sprache und die Errungenschaften der muslimischen Kultur.
George-Tvrtković analysiert Riccoldos Texte aus theologischer Perspektive und vor dem Hintergrund religionstheologisch pluralistischer Forschungen. Das erste Kapitel ordnet Riccoldos Vita und Reise in den Kontext der Missionspolitik des Dominikanerordens und des Florentiner Umfeldes ein. Kapitel zwei widmet sich der Überlieferung und dem Inhalt des Liber wie den Epistolae und kontextualisiert die Werke im Hinblick auf die Geschichte christlich-jüdisch-muslimischer Beziehungen sowie auf die Genres Reisebericht und Brief. Kapitel drei bis fünf bilden den eigentlichen Kern der Arbeit. Sie bieten eine gehaltvolle Analyse der Aussagen des Dominikaners zur Praxis muslimischer Religionsausübung und Verhaltensweisen, zu den im Koran dargelegten islamischen Glaubensvorstellungen und den dadurch angestoßenen Reflektionen Riccoldos über die christliche Heilslehre. Im sechsten und letzten Kapitel untersucht George-Tvrtković Riccoldos methodologische Vorgehensweise. Dabei stehen zum einen seine häufigen Bezugnahmen auf das persönliche Erleben (per experientiam, experientia teste) im Fokus, zum anderen seine wiederholte Betonung des Umstandes, dass seine Erkenntnisse auf dem Studium der islamischen Texte in ihrer originalen Sprache und der Auseinandersetzung mit islamischen Gelehrten beruhen. Beides diente Riccoldo als Mittel zur Authentifizierung und ist integraler Bestandteil für seine Theologisierung des Islams. Der Anhang bietet erstmalig vollständige englische Übersetzungen des Liber und der Epistolae. [2]
Der Autorin gelingt es, die Besonderheiten von Riccoldos Islambild gegenüber Darstellungen anderer mittelalterlicher christlicher Autoren herauszuarbeiten sowie theologisch signifikante Aspekte seiner Islamtheologie einschließlich der widersprüchlichen Aussagen näher zu beleuchten. Sie weist nach, dass Teile seiner Beschreibung auf originären Beobachtungen beruhen und eine beträchtliche Erweiterung des christlichen 'Wissens' über den Islam darstellten. Ob man soweit gehen möchte, in Riccoldo einen Vorläufer der heutigen Praxis eines religionsgeschichtlichen Pluralismus zu sehen (121), sei dahingestellt. George-Tvrtković ist sich des Anachronismus bewusst (xiv, 113), zeigt aber überzeugend die ähnlichen Fragestellungen und parallelen Strategien, mit denen ein Repräsentant des christlichen Glaubens in der Begegnung mit anderen Religionen konfrontiert wird. Riccoldos positive Stellungnahmen gehen dabei teils über rhetorische Stilfiguren, das Fremde zur Kritik des Eigenen zu nutzen, hinaus. Auf der anderen Seite erkannte er den Islam letztlich nicht an. Das Christentum im Mittelalter musste infolge des alleinigen Anspruches auf die Glaubenswahrheit jedwede andere Religion ablehnen. Seine immer wieder eingeflochtenen polemischen Äußerungen unterscheiden sich hierin nicht von denen anderer christlicher Autoren.
Der intensive Kulturkontakt löste offenbar bei Riccoldo gleichwohl starke widerstreitende Gefühle aus. Die Begegnung mit den Muslimen gerade auch in Situationen des Alltags konnte nicht ausschließlich mit den Paradigmen eines religiösen und kulturellen Antagonismus umschrieben werden. Die Ambivalenz ging nach seinen Angaben so weit, dass er den Epistolae zufolge den als abscheulich verteufelten und gleichzeitig von außergewöhnlicher Schönheit und Gelehrtheit gepriesenen Koran offen auf den Altar einer christlichen Kirche auslegte, um Gott nach Antworten auf Muhammeds Lehren anzuflehen (86-87). Sollte dies so stattgefunden haben, wäre es ein recht ungewöhnliches Vorgehen für einen Priester des 13. Jahrhunderts. Darüber auch noch zu schreiben und sich so potentiell kritischen Fragen seiner zeitgenössischen Leser auszusetzen, ist noch bemerkenswerter und für unsere Vorstellung über die christlich-muslimischen Beziehungen im Mittelalter ein Glücksfall.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Thomas E. Burman: How an Italian Friar Read his Arabic Qur'an, in: Dante Studies 125 (2007), 89-105; Juliane Schiel: Mongolensturm und Fall Konstantinopels. Diachrone Erzählungen im Vergleich (Europa im Mittelalter 19), Berlin 2011; Dies., Der "Liber Peregrinationis" des Ricoldus von Monte Croce. Versuch einer mittelalterlichen Orienttopographie, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), 5-17; Dorothea Weltecke: Die Macht des Islam und die Niederlage der Kreuzfahrer. Zum Verständnis der Briefe an die himmlische Kurie des Riccoldo da Monte di Croce OP, in: Saeculum 58 (2007), 265-295; Iris Shagrir: The fall of Acre as a spiritual crisis: the letters of Riccoldo of Monte Croce, in: Revue belge de philologie et d'histoire 90,4 (2012), 1107-1120. Die deutschsprachige Forschung wird von George-Tvrtković nicht rezipiert.
[2] Maßgebliche Editionen der lateinischen Texte mit französischer Übersetzung sind Riccold de Monte Croce, Pérégrination en Terre Sainte et au Proche Orient. Texte latin et traduction. Lettres sur la chute de Saint-Jean d'Acre, édité et traduit par René Kappler (Textes et Traductions des Classiques Français du Moyen Âge 4), Paris 1997; Lettres de Ricoldo de Monte-Croce, hg. von Reinhold Röhricht, in: Archives de l'Orient Latin 2 (1884), 258-296.
Stefan Schröder