Heinz Duchhardt / Martin Espenhorst (Hgg.): Utrecht - Rastatt - Baden 1712-1714. Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Bd. 98), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 422 S., 18 Farbabb., 16 Diagramme, 5 Tab., ISBN 978-3-525-10125-4, EUR 69,99
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Die Aufsätze dieses Tagungsbandes gehen auf die internationale Konferenz zurück, die im September 2012 im aargauischen Baden anlässlich des seinerzeit bevorstehenden Jubiläums der Friedensschlüsse von Utrecht, Rastatt und Baden veranstaltet wurde. Die Publikation reiht sich damit in die Liste der Tagungssammelbände ein, die anlassbedingt im Zuge der Jubiläen der großen Friedenskongresse des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in den letzten Jahrzehnten entstanden sind: Münster und Osnabrück (1648 - 1998), Nijmegen (1678/79 - 1978/79), Rijswijk (1697 - 1997) und nun auch Utrecht, Rastatt und Baden (1713/14 - 2013/14). [1]
Wie im Vorwort der Herausgeber hervorgehoben, war es ausdrücklich nicht das Ziel der Konferenz, ereignisgeschichtliche Rekonstruktionen vorzunehmen, neuerlich die Protagonisten des Geschehens in Szene zu setzen und die materiellen Vertragsinhalte des Friedenswerks von 1713/14 noch einmal zu diskutieren. Vielmehr ging es ihnen explizit darum, "kommunikative Effekte im Friedensprozess" und "insbesondere die Translation und Verformung von friedensvertragsrelevanten Begründungsformeln und Inhalten in Medien und Wissenschaft" (10) untersuchen zu lassen.
Obwohl die zwanzig Aufsätze des Sammelbands nicht gruppiert sind, lassen sich doch mehrere Schwerpunkte ausmachen. Zum einen widmet sich eine Reihe von Studien Themen von eher genereller, zum Teil zeitlich übergreifender Natur. Hierzu zählen der einführende Aufsatz von Hillard von Thiessen über Diplomaten und Diplomatie im frühen 18. Jahrhundert, die Untersuchung von Christoph Kampmann zur Bedeutung des dynastischen Prinzips, ferner die Beiträge von Wolfgang E. J. Weber über politische Informationslenkung, von Heinhard Steiger über die rechtliche Einbeziehung der Untertanen in den Frieden sowie von Maximilian Lanzinner über Beglaubigungspraktiken im historischen Vergleich (allerdings schwerpunktmäßig zum Westfälischen Frieden und nicht zu den Friedensschlüssen von 1713/14).
Zweitens werden in vier Beiträgen spezielle Sprach- und Translationsphänomene untersucht: Guido Braun erläutert die zeitgenössische Rolle des Italienischen als Sprache der Diplomatie. Andrea Schmidt-Rösler thematisiert und quantifiziert Vertragssprachen im Spannungsfeld von theoretischem Diskurs und statistischer Wirklichkeit. Kay Peter Jankrift konzentriert sich auf Sprachwahl, Dolmetscher und Übersetzer. Und Martin Espenhorst rückt Translationsleistungen zum Friedenswerk von 1713/14 (bis zum Wiener Kongress 1815) in den Mittelpunkt.
Drittens kristallisiert sich eine Gruppe von Beiträgen heraus, die den Fokus verstärkt auf eine bestimmte Region bzw. Nation richtet: Rolf Stücheli, der die bis heute maßgebliche Monografie zum Frieden von Baden verfasst hat [2], widmet sich der Eidgenossenschaft. Andrew C. Thompson und Ljudmila Ivonina liefern Studien zu England. Matthias Schnettger wendet sich mindermächtigen italienischen Fürsten zu. Lucien Bély und Bernd Klesmann legen Untersuchungen zu Frankreich vor, und Olaf Asbach sowie Maria Baramova rücken das Osmanische Reich in den Blickpunkt.
Und schließlich ist viertens noch auf drei Beiträge hinzuweisen, die Detailfragen zum Friedenswerk von 1713/14 zum Gegenstand haben: Siegrid Westphal geht der berühmt-berüchtigten Rijswijker Religionsklausel nach, Heinz Duchhardt stellt die umfangreiche zeitgenössische Geschichte der Kongresse von Utrecht, Rastatt und Baden von Casimir Freschot vor, und Werner Telesko thematisiert Visualisierungen der Friedensschlüsse von 1713/14.
In inhaltlicher Hinsicht lassen sich deutliche Akzentsetzungen erkennen. Auffällig ist zum einen die inzwischen merklich vorangetriebene Rezeption derjenigen Forschungstendenzen, die in der jüngeren Geschichtsschreibung unter dem Begriff der "Kulturgeschichte des Politischen" subsumiert und in der deutschen Frühneuzeitforschung insbesondere von der Schule um Barbara Stollberg-Rilinger vorangetrieben werden.
Zum anderen ist zu vermerken, dass in mehreren Aufsätzen der Zäsurcharakter der Friedensordnung von 1713/14 betont wird. Dies gilt beispielsweise für die Studie von Christoph Kampmann, der vor allem eine Weiterentwicklung des traditionellen Mittels der Erbverzichtserklärung im Vertragswerk von Utrecht und eine Regelung dynastischer Fragen in nunmehr kollektiver Verantwortung konstatiert, und für die Untersuchung von Rolf Stücheli, der das Novum herausstellt, dass in Baden erstmals die neutrale Eidgenossenschaft als Gastgeberin eines großen europäischen Friedenskongresses fungierte.
Zum Dritten bleibt festzuhalten, dass sich die Einschätzung der Forschung in der Frage, ob und inwiefern die Utrechter Akteure Gestaltungsspielraum besaßen, um die substanziellen Entscheidungen in den zentralen Verhandlungsfragen tatsächlich mitgestalten zu können, im Prinzip nicht geändert hat. Matthias Schnettger bezeichnet Utrecht in Übereinstimmung mit der bisherigen Forschung ausdrücklich "als Paradebeispiel eines Friedenskongresses [...], auf dem selbst kaum relevante Entscheidungen getroffen, sondern im Wesentlichen die Beschlüsse 'abgenickt' wurden, welche längst an den Höfen der großen Mächte [...] verabschiedet worden waren." (95) Zudem habe sich hier bereits eine Tendenz bemerkbar gemacht, die dann für das 19. Jahrhundert kennzeichnend geworden sei: Die Mindermächtigen konnten ihre Interessen zwar artikulieren; die Entscheidungen hierüber fällten allerdings die Großmächte.
Der farbig bebilderte, mit einem Personenregister versehene, allerdings nicht ganz sauber redigierte Sammelband (vgl. zum Beispiel 258f., 334, 346) liefert insgesamt gesehen eine Reihe von erhellenden Beiträgen, die unser Verständnis frühneuzeitlicher Friedensstiftungen und -inszenierungen erweitern. Allerdings vermag auch diese Publikation nicht zu überdecken, dass gerade eine moderne Verhandlungsgeschichte des Utrechter Kongresses, die das den Ansprüchen der jüngeren Forschung nicht mehr genügende Standardwerk von Ottocar Weber [3] endlich ersetzen könnte, ein echtes Desiderat bleibt. Dies ist aber keineswegs als Vorwurf zu verstehen, denn die Zielsetzungen der Herausgeber waren, wie bereits erwähnt, grundsätzlich anders gelagert. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Ergebnisse dieses Sammelwerks in die übrigen noch zu erwartenden Publikationen zum 300. Jubiläum der Friedensschlüsse von 1713/14 einfügen werden.
Anmerkungen:
[1] Eine Auswahl: Heinz Duchhardt (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie - politische Zäsur - kulturelles Umfeld - Rezeptionsgeschichte, München 1998; J.A.H. Bots (Hg.): The Peace of Nijmegen 1676-1678/79. La paix de Nimègue, Amsterdam 1980; Heinz Duchhardt (Hg. in Verbindung mit Matthias Schnettger und Martin Vogt): Der Friede von Rijswijk 1697, Mainz 1998.
[2] Rolf Stücheli: Der Friede von Baden (Schweiz) 1714. Ein europäischer Diplomatenkongress und Friedensschluss des "Ancien Régime", Freiburg (Schweiz) 1997.
[3] Ottocar Weber: Der Friede von Utrecht. Verhandlungen zwischen England, Frankreich, dem Kaiser und den Generalstaaten 1710-1713, Gotha 1891.
Michael Rohrschneider