Éric Bussière / François Dubasque / Robert Frank et al.: Georges Pompidou et les États-Unis. une « relation spéciale » 1969 - 1974 (= Collection Georges Pompidou - Études; No. 5), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013, 238 S., ISBN 978-90-5201-337-4, EUR 42,80
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Wenn es ein Land in Europa gebe, mit dem die USA eine "relation spéciale" verbinde, sei dies in jedem Fall Frankreich, so versicherte der amerikanische Sicherheitsberater Henry Kissinger seinem Gegenüber, dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou im Dezember 1971. Mit dieser überraschenden Aussage leitet einer der Herausgeber, der französische Zeithistoriker Robert Frank, die Beiträge des Sammelbandes ein. Überraschend deshalb, weil derartige Beschreibungen bilateraler Beziehungen doch bis dato der special relationship zu Großbritannien vorbehalten waren. Und die franko-amerikanischen Beziehungen waren seit der eigensinnigen Außenpolitik Charles de Gaulles und dem Austritt Frankreichs aus der militärischen Integration der NATO äußerst gespannt.
De Gaulles Nachfolger Pompidou, der seine Amtszeit unter das Signum von Wandel und Kontinuität stellte, hatte ein schwieriges Erbe zu übernehmen. Die Messlatte seiner Politik war durch de Gaulle gelegt worden, und auch die Autoren des Sammelbandes erliegen nicht selten der Versuchung, seine Politik stets mit der des Generals zu vergleichen, in dessen Schatten der einstige politische Ziehsohn de Gaulles posthum noch steht. Dabei gelang es ihm zu Beginn seiner Amtszeit durchaus, die franko-amerikanischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Im weiteren Verlauf fiel er aber zunehmend auf alte gaullistische Positionen zurück, so dass am Ende seiner fünf Jahre währenden Präsidentschaft das Verhältnis zwischen Frankreich und den USA als zerrüttet bezeichnet werden kann.
Der vorliegende Sammelband, der aus einer Tagung der Association Georges Pompidou hervorgegangen ist, beschäftigt sich mit den schwierigen franko-amerikanischen Beziehungen in dieser recht kurzen, aber doch zentralen Phase internationaler Politik. In elf Beiträgen vorwiegend französischer und zweier amerikanischer Historiker, abgerundet durch Zeitzeugenberichte wichtiger Berater Pompidous im Élysée-Palast, wird versucht, der Komplexität und Ambivalenz dieser bilateralen Beziehung gerecht zu werden. Hatte Georges Pompidou eine "vision de l'Amérique"?, fragt der Pompidou-Biograph Éric Roussel und muss feststellen, dass dieser bis zu seinem Amtsantritt die USA nicht kannte, weder von Staatsbesuchen noch aus privaten Reisen oder einem besonderen Interesse an diesem Land. Dennoch waren die persönlichen Beziehungen zwischen dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und Pompidou sehr gut (Robert Frank/Nicolas Vaicbourdt), die Übereinstimmungen in Staatsverständnis, innen- und außenpolitischen Vorstellungen oder den Bedenken hinsichtlich der Ostpolitik Willy Brandts sehr groß. So gab es eine Reihe von Schnittmengen und Felder, auf denen sich, wie bei den Geheimverhandlungen zu militärisch-nuklearen Fragen, besondere Kooperationen entwickelten.
Alle Autoren des Bandes sind sich einig, dass es zunächst eine eklatante Verbesserung der Beziehungen gab. Zwar betonte Pompidou ganz in der Kontinuität de Gaulles die Unabhängigkeit französischer Außenpolitik. Aber zum einen akzeptierten Nixon und Kissinger diese Rolle Frankreichs als "franc-tireur" des Bündnisses (34), zum anderen war Pompidou erkennbar pragmatischer als der General und sein Denken von einer globalen Konzeption durchdrungen, die den internationalen Realitäten Rechnung trug. Das Sicherheitsversprechen der USA war für ihn unverzichtbar für Europa. Seine Amtszeit fiel zudem in eine Periode globalen Wandels, der auch die französische Außenpolitik Rechnung tragen musste. Nicht nur die Détente der Großmächte oder die neue Ostpolitik der Bundesrepublik galt es zu berücksichtigen. Die Welt wurde multipolarer mit neuen Akteuren wie Europa, Japan, China und der Dritten Welt. Zudem wurde das Ende der "Trente Glorieuses", des anhaltenden Nachkriegsbooms, in Frankreich wie in der gesamten westlichen Welt offensichtlich.
Dies waren Herausforderungen für eine an sich schon komplexe, ambivalente Beziehung (18), aus denen sich auch zahlreiche franko-amerikanische Konfliktherde ergaben, die aber allesamt mehr oder weniger beherrschbar waren. Vietnam und Südostasien waren keine vorrangigen Interessengebiete französischer Außenpolitik mehr (Pierre Journoud), in Afrika ging es Pompidou um die Rolle Frankreichs als Motor der Entwicklungshilfe, aus der sich keine fundamentalen Interessenkonflikte ergaben. In der Nahost-Politik differierten die französischen und amerikanischen Konzeptionen von jeher, die unterschiedlichen Reaktionen auf den Jom-Kippur-Krieg 1973 waren daher voraussehbar. Auch der von den USA verantwortete Zerfall des Internationalen Währungssystems sorgte für Unstimmigkeiten, war aber ebenfalls nicht der zentrale Impuls für die eklatante Verschlechterung des Verhältnisses, die recht abrupt im Sommer 1973 einsetzte. Marc Trachtenberg hält das von Kissinger ausgerufene Year of Europe für ausschlaggebend. Aus seiner Sicht in guter Absicht formuliert, trug es zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und Europa bei und, zusammen mit der Ölkrise 1973/74, zu einer regelrechten Zerrüttung in den franko-amerikanischen Beziehungen. Lagen dem tatsächlich derart fundamentale Unterschiede zugrunde oder handelte es sich einfach nur um franko-amerikanische Missverständnisse (Pierre Mélandri), die nicht zuletzt daraus resultierten, dass Pompidou, gezeichnet von seiner krebsähnlichen Erkrankung, seinem neuen Außenminister Michel Jobert zu viel Spielraum ließ? Wie wir mittlerweile wissen, gab Pompidou bis zum Ende seiner Amtszeit nicht die Zügel aus der Hand. Vielmehr war es wohl die Sorge Pompidous vor einem Kondominium der Großmächte, das im Juni 1973 durch das sowjetisch-amerikanische Abkommen zur Verhinderung eines Atomkrieges für ihn offenkundig wurde, die zur Verhärtung seiner Haltung gegenüber den USA beitrug. Er befürchtete eine "satellisation" (24) Europas, der er Selbstbehauptung als beste Strategie entgegensetzte, auch wenn er dafür die nukleare special relationship opfern musste. Auch den US-Vorschlag eines Direktoriums aus USA, Frankreich, Großbritannien und eventuell Deutschland schlug er aus. Eine vertane Chance in den amerikanisch-europäischen Beziehungen, wie Marc Trachtenberg meint. [1] Hier allerdings würde ein Blick auf die Forschungsliteratur zur europäischen Wahrnehmung der US-Europapolitik die Perspektive weiten und diese Annahme relativieren [2], tat Kissinger doch wenig dafür, die Sorgen der Europäer vor ihrer beabsichtigten weltpolitischen Marginalisierung zu zerstreuen.
Die Beiträge des Sammelbandes sind aus den französischen, teils amerikanischen Archivquellen heraus gearbeitet. Dennoch bieten sie nicht immer den erhofften frischen Blick auf die franko-amerikanischen Verhältnisse, da zum Teil seit langem etablierte Forschungsergebnisse erneut vorgetragen werden und nicht-französischsprachige Forschungsliteratur kaum Berücksichtigung findet. Wünschenswert wäre daher weiterhin eine Internationalisierung der Pompidou-Forschungen, um die Erkenntnisse in einen breiteren fachwissenschaftlichen Diskurs über die 70er Jahre einfließen lassen zu können.
Anmerkungen:
[1] Ausführlicher auch im Internet unter URL: http://www.sscnet.ucla.edu/polisci/faculty/trachtenberg/ffus/FrenchFactor.pdf
[2] Zum Year of Europe vgl. z. B. die Beiträge von Daniel Möckli, Alastair Noble und Fabian Hilfrich, in: Matthias Schulz / Thomas Schwartz (eds.): The Strained Alliance. U.S.-European Relations from Nixon to Carter, New York 2010, S. 195-220, 221-235, 237-256, oder Claudia Hiepel, Pascaline Winand, Ine Meegens, in: Jan van der Harst (ed.): Beyond the Customs Union: The European Community's Quest for Deepening, Widening and Completion, 1969-1975, Brüssel 2007, 277-296, 297-315, 317-338.
Claudia Hiepel