Günther Pallaver (Hg.): Umstrittene Denkmäler. Der Umgang mit der Vergangenheit, Bozen: Edition Raetia 2013, 247 S., ISBN 978-88-7283-424-4, EUR 19,90
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Der Denkmalstreit, wie in Europa die Auseinandersetzung um umstrittene Denkmäler genannt wird, wurde in den letzten Jahren ein höchst aktuelles Thema. [1] Vor allem in Grenzregionen, welche von mehreren Sprachgruppen bewohnt werden, sind Denkmäler, als Zeugen der Vergangenheit und Mitgestalter der kollektiven Identität, oft mit Kontroversen verbunden. Dafür ist Südtirol ein exzellentes Beispiel, denn hier ist die Erinnerungslandschaft oft entlang der Sprachgrenze zwischen deutsch-, ladinisch- und italienischsprachigen Bürgern gespalten. [2]
Südtirol, bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Teil des Landes Tirol und somit des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn, wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Italien annektiert. Mit dem Aufstieg des italienischen Faschismus und der organisierten Zuwanderung von ItalienerInnen in den 1920er Jahren folgte die Unterdrückung der deutschsprachigen Bewohner durch das Mussolini-Regime, das die SüdtirolerInnen als Fremdelement im Staate betrachtete. Ortsnamen und Familiennamen in Südtirol wurden nun "italienisiert"; aus Sterzing etwa wurde Vipiteno. Adolf Hitler und Benito Mussolini einigten sich schließlich 1939, das "Problem" Südtirol im Rahmen der sogenannten "Option" definitiv zu lösen: Die deutschsprachigen SüdtirolerInnen sollten ausgesiedelt werden. Als die Achse Berlin-Rom bröckelte, besetzte die Wehrmacht im Herbst 1943 das italienische Festland. Damals wurde Südtirol de facto an das Deutsche Reich angegliedert, was viele SüdtirolerInnen als nationale Befreiung empfanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Südtirol jedoch bei Italien; Rom versprach eine Selbstverwaltung für die Grenzprovinz. Es folgten jahrzehntelange Verhandlungen zwischen Österreich und Italien, die mit einer großzügigen Autonomielösung endeten. [3] Der Konflikt war entschärft, aber das Zusammenleben noch keineswegs selbstverständlich. Bis heute leben die beiden großen Sprachgruppen meist mehr nebeneinander als miteinander. Bei den alltäglichen kulturellen Auseinandersetzungen bilden Denkmäler eine Speerspitze im Identitätsstreit.
Im vorliegenden Sammelband versuchen acht AutorInnen in neun Beiträgen eine zum Erinnerungskonsensus führende Lösung des Denkmalstreits zu finden. Zu diesem Zweck vergleichen sie Beispiele aus anderen europäischen Staaten mit der Südtiroler Situation (7). Fallbeispiele aus Polen, Deutschland, Kärnten, Spanien oder Gebieten der ehemaligen Sowjetunion deuten mögliche Lösungen an. Dieser Vergleich zwischen Südtirol und anderen Regionen Europas ist wegweisend und war an der Zeit. Doch der Band ist wenig strukturiert, und die einzelnen Beiträge sind nicht immer gut aufeinander abgestimmt. Ein nach Regionen geordneter Aufbau wäre hilfreich gewesen, anstatt etwa Beiträge zu Italien über den ganzen Band zu verteilen. Jedenfalls liegt die Stärke des Buches in einer aktuellen Gegenüberstellung von Erinnerungskulturen rund um Denkmäler. Damit werden die Leser auf eine informative Reise durch Europas jüngste Vergangenheit mitgenommen.
In Südtirol wird der Erinnerungskonflikt besonders vom sogenannten "Siegesdenkmal" (Monumento alla Vittoria) verkörpert (15). Gebaut vom Architekten Marcello Piacentini, wurde das Denkmal 1928 während der Mussolini-Herrschaft eingeweiht. Im Zentrum der Provinzhauptstadt Bozen erinnert es an die italienischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs an der Dolomitenfront gefallen waren. Gleichzeitig glorifiziert das Siegesdenkmal den italienischen Sieg und die Annexion Südtirols. Nicht zufällig entstand es an der Stelle eines unvollendeten Denkmals für die Tiroler Kaiserjäger (116). Eine antike Siegesgöttin schießt einen Pfeil gegen den "germanischen" Feind im Norden ab - eine Warnung vor allem an Deutschland, die neue Grenze am Brenner nicht anzutasten. Besonders die Inschrift trägt noch heute eine aggressive Botschaft in Latein: "Hier an den Grenzen des Vaterlandes setze die (Feld-)Zeichen. Von hier aus bildeten wir die Übrigen durch Sprache, Gesetze und Künste." Mit den "Übrigen" war die "fremdstämmige" Tiroler Bevölkerung gemeint. Der Südtiroler Historiker Hans Heiss fasst die Bedeutung des Siegesdenkmals folgendermaßen zusammen: "Der Tod der 'für das Vaterland' Gefallenen rechtfertigte den Besitz über das neue Territorium, das als wichtige Prämie über den 'Verstümmelten Sieg' von 1918 hinwegtröstete" (117). Denkmäler wurden nun zu wirkmächtigen Objekten und Symbolen, die Sicherheit, Vertrautheit und moralisch-historischen Anspruch suggerieren sollten. In Südtirol verbreiteten sich so politisch motivierte Erzählungen, die die italienische Sprachgruppe mit dem neuen Raum verbinden sollten. Für viele Italiener in der Grenzregion repräsentiert das Siegesdenkmal die Verkörperung des homogenen Nationalstaates und den rechtlichen Anspruch auf die neue Grenze. Es ist ein wichtiger Teil ihrer Lokal- und Nationalgeschichte. Deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler sehen den Bau hingegen oft als ein faschistisches Überbleibsel der Teilung, Entrechtung und Geschichtsverdrehung.
Die Mythen beider Sprachgruppen könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Verbreitung solcher Mythen wurde durch die Trennung der Gesellschaft in Südtirol gefördert, wie der Historiker Giorgio Mezzalira schlussfolgert. In Südtirol sind nicht nur die Erinnerungen getrennt, sondern auch die Geschichten, von welchen diese stammen (140). Die Schwierigkeit liegt darin, ein ungeteiltes Gedächtnis oder zumindest Akzeptanz und Verständnis für andere Geschichtsnarrative zu schaffen. Südtirol ist nicht die einzige Region Europas, die mit einer fragmentierten Vergangenheit und Gegenwart umgehen muss.
Magdalena Dembinska untersucht das Beispiel der polnischen Stadt Gołdap. Zwei Weltkriege und Vertreibungen haben die Demographie Gołdaps, das in der Vergangenheit unter anderem von Juden, Deutschen und Polen bewohnt wurde, stark verändert (67). Im 21. Jahrhundert entschieden sich die Bewohner, die Stadtgeschichte durch Wiederherstellung der verschiedenen Denkmäler integrierend zu untersuchen (68). Dembinska betont vor allem die instrumentale Rolle des Vertrauens bei solchen Prozessen (100). Verschiedene Interpretationen der Geschichte können sich verändern und sich anpassen. Zusammen mit Vertrauensbildung kann dies dazu führen, dass sich politische und gesellschaftliche Mythen abschwächen (100). In diesem Prozess sind Initiativen "von unten" ausschlaggebend, Initiativen "von oben" alleine hatten in der Vergangenheit nicht die gewünschte Wirkung erreicht (94).
In Südtirol ist eine solche Auseinandersetzung allerdings schwerer möglich, da die drei Sprachgruppen gegenwärtig sind. Denkmäler sind in dieser europäischen Grenzregion weiterhin politisch stark aufgeladen. In Bozen ist etwa das Siegesdenkmal sowohl Mittelpunkt von Demonstrationen der italienischen Rechtsextremen als auch der Platz von Gegendemonstrationen rechtsextremer deutschsprachiger Südtiroler. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass sich die "ethnische Spaltung" Südtirols in den letzten Jahrzehnten verringert hat. Lokale Initiativen "von unten", die Dembinska als grundlegend für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Vergangenheit identifiziert, haben auch in Südtirol Fuß gefasst. Beispielsweise haben sich HistorikerInnen der beiden großen Sprachgruppen gemeinsam darum bemüht, eine zweisprachige Zeitschrift herauszugeben und ein gemeinsames Geschichtsbuch für die oberen Schulstufen zu entwerfen (141). Südtirol muss auch im italienischen Kontext gesehen werden. Italien selbst hat sich mit seiner faschistischen Vergangenheit nur teilweise kritisch auseinandergesetzt. Das Mausoleum für Mussolinis Heerführer, Rodolfo Graziani, in Affile ist das jüngste Beispiel dafür. Gerade für Südtirol stellt diese Situation ein gewisses Dilemma dar. Es hinterlässt den Eindruck, dass die lokalen Initiativen "von unten" in Südtirol "von oben" (politische Elite, Medien etc.) italienweit blockiert werden.
Der Sammelband Umstrittene Denkmäler macht deutlich, wie überaus komplex der Umgang mit der Vergangenheit in national fragmentierten Gesellschaften ist. Oft sind in solchen Gebieten ideologisierte und politisch motivierte Formen der Geschichte weit verbreitet. Solche Geschichten sind besonders stark verbunden mit Erinnerungsorten. Das Siegesdenkmal in Bozen zeugt von der Macht, die Vergangenheit mit sich bringt. Mezzalira betont die damit verbundenen Emotionen, auch ethnisch-nationalistischer Art, die leicht unkontrollierbar werden können. Auch wenn man solche Spannungen oft nicht beseitigen kann, gilt es dennoch, sie zu entschärfen. Dabei geht es nicht darum, ihre Zeugen - in diesem Fall Denkmäler - zu entfernen. Das Ziel besteht vielmehr darin, diese Symbole zu historisieren und sie dadurch von der Gegenwart in die Vergangenheit zu schieben. Eine solche Historisierung der Symbole würde das lange 20. Jahrhundert abschließen (160). Der Sammelband von Günther Pallaver leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Siehe dazu Sharon Macdonald: Difficult Heritage. Negotiating the Nazi Past in Nuremberg and Beyond, London / New York 2009; Günter Oesterle (Hg.): Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005; Burkhard Olschowsky u.a.: Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Erfahrungen der Vergangenheit und Perspektiven, München 2011; Andrea Di Michele / Gerald Steinacher (Hgg.): Faschismen im Gedächtnis / La memoria dei fascismi, Innsbruck 2004, 5-22; Robert Bevan: The Destruction of Memory. Architecture at War, London 2006.
[2] Siehe dazu Gerald Steinacher: "Fascist Legacies: The Controversy over Mussolini's Monuments in South Tyrol", in: European Yearbook of Minority Issues, Vol. 10 (2011), 647-666; Thomas Pardatscher: Das Siegesdenkmal in Bozen. Entstehung - Symbolik - Rezeption, Bozen 2002.
[3] Siehe dazu Rolf Steininger: Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit, Innsbruck 1997; Günther Pallaver / Leopold Steurer (Hgg.): Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Bozen 2011.
Gerald Steinacher / Brian Barmettler