Iris Engemann: Die Slowakisierung Bratislavas. Universität, Theater und Kultusgemeinden 1918-1948 (= Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas; Bd. 22), Wiesbaden: Harrassowitz 2012, 288 S., ISBN 978-3-447-06640-2, EUR 52,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die im Rahmen des Forschungsprojektes "Out of Place - Ethnic Migration, Nation State Formation and Property Regimes in Poland, Czechoslovakia and Israel" entstandene Studie von Iris Engemann analysiert den Wandel Bratislavas von einer nicht-slowakischen zu einer slowakischen Stadt zwischen dem Ende der Österreich-Ungarischen Monarchie und der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948. Dabei werden sowohl stadthistorische Entwicklungen untersucht, wie beispielsweise die Veränderungen der demografischen Zusammensetzung Bratislavas, als auch die Veränderung in der Wahrnehmung der Stadt in nationalen Kategorien. Welche Institutionen Bratislavas galten wann und warum als slowakisch oder nicht-slowakisch, und wie wurde versucht, diese nationale Zuschreibung zu ändern und die Institutionen zu slowakisieren?
Die Wahl der drei untersuchten Institutionen mag auf den ersten Blick überraschen. Während Universität und Theater oftmals in Zusammenhang mit Nationalisierungsprozessen untersucht werden, sind die Kultusgemeinden erst in jüngster Zeit in den Fokus der diesbezüglichen Geschichtsschreibung geraten. Gerade durch deren Einbeziehung trägt die Autorin allerdings wesentlich Neues zum Verständnis der Nationalisierungsprozesse bei, da sie so zeigen kann, wie sich diese in Institutionen ausformen, die von den Zeitgenossen noch nicht als Instrumente der Nationalisierung gesehen wurden (bei Universität und Theater). Anhand von wenigen, gut ausgewählten Institutionen zeichnet Engemann so ein extrem komplexes, sich stets veränderndes Bild der Möglichkeiten, sich im Slowakisierungsprozess zu positionieren - oder positioniert zu werden.
Die Entscheidung, dabei nicht streng linear vorzugehen, sondern mit den Zeitabschnitten 1918-1928 und 1938-1948 Schlüsselperioden für die Slowakisierung Bratislavas auszuwählen, erweist sich als ausgesprochen fruchtbar für die Analyse. Das Vorhaben, dadurch den "Blick von der Spezifik institutionsinterner Prozesse auf parallele Konfliktlagen und Entwicklungen" (262) zu lenken, ist mehr als gelungen. Ohne einen Vergleich im herkömmlichen Sinne vorzulegen, wird der Blick des Lesers bzw. der Leserin auf Ähnlichkeiten und (oftmals frappierende) Unterschiede zwischen den einzelnen Institutionen gelenkt. Die Ergebnisse bieten damit gleichzeitig wertvolle Vergleichsgrundlagen für ähnliche Analysen anderer Städte. Insbesondere die fünf im Schlusswort aufgestellten Thesen zur Slowakisierung Bratislavas können als Ausgangspunkt und Referenz für verwandte Fragestellungen herangezogen werden.
Ein weiterer Ansatz, der die Studie über die Geschichtsschreibung Bratislavas oder der Slowakei hinaus spannend für andere Felder macht, ist die Verschaltung von Stadtgeschichte und Nationalisierungsprozessen. Hier wird deutlich, dass sich in der Stadt nicht einfach nur die entsprechenden Vorgänge im Gesamtstaat spiegeln, sondern dass die städtischen Akteure diesen Prozessen gegenüber mitunter sehr differierende Standpunkte einnahmen. Die Stadt Bratislava war somit nicht nur Schauplatz der Slowakisierung, sondern ihre Institutionen positionieren sich gegenüber staatlichen Institutionen auch durchaus unterschiedlich. Während die Slowakisierung Bratislavas in engem Zusammenhang mit nationalpolitischen Konzepten der gesamten Slowakei stand (weshalb aus dieser Sicht die Tschechoslowakisierung Bratislavas in der Zwischenkriegszeit genauso kritisiert wurde wie der ungarisch-deutsche Charakter der Stadt vor 1918), waren die Gegenkonzepte gezielt auf die Stadt und ihre lokalen Besonderheiten bezogen. Das Verhältnis von nationalisierendem Staat und oftmals pragmatischer Stadt war dabei nicht immer frei von Konflikten. Die Studie lenkt somit den Blick darauf, dass die Gleichsetzung von (Haupt-)Stadt und Staat zumeist vorschnell erfolgt. Aufschlussreich ist das Buch in diesem Zusammenhang insbesondere hinsichtlich der Stellung Bratislavas im Rahmen der verschiedenen Interpretationen und Wahrnehmungen des tschechisch-slowakischen Verhältnisses. Die Einbeziehung der Kriegs- und Nachkriegszeit erweist sich auch in Hinblick darauf als äußerst fruchtbar.
Die Autorin hat mit ihrer mikrohistorischen Studie zur Slowakisierung Bratislavas anhand dreier Institutionen eine gut lesbare, detailgenaue Analyse vorgelegt, die sich jedoch nicht in institutionengeschichtlichen Details verliert, sondern die übergeordnete Fragestellung als roten Faden stets im Blick hält. Der Text überzeugt durch klare Argumentation und Darstellung sowie durch übersichtliche Präsentation des umfangreichen Quellenmaterials, dem Archivstudien in der Slowakei, Tschechien und Ungarn zugrunde liegen.
Katharina Wessely