Karin Schmidt-Kohberg: "Manche Weibspersonen haben offtmals viel subtilere Ingenia als die Manspersonen". Weibliche Gelehrsamkeit am Beispiel frühneuzeitlicher Frauenzimmerlexika und Kataloge, Königstein: Ulrike Helmer Verlag 2014, 416 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-8974-1358-0, EUR 34,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Fabian Krämer: Ein Zentaur in London. Lektüre und Beobachtung in der frühneuzeitlichen Naturforschung, Affalterbach: Didymos-Verlag 2014
Wenchao Li / Simona Noreik (Hgg.): G. W. Leibniz und der Gelehrtenhabitus. Anonymität, Pseudonymität, Camouflage, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
Rafael Arnold / Michael Busch / Hans-Uwe Lammel (Hgg.): Der Rostocker Gelehrte Oluf Gerhard Tychsen (1734-1815) und seine internationalen Netzwerke, Hannover: Wehrhahn Verlag 2019
Sean A. Adams (ed.): Scholastic Culture in the Hellenistic and Roman Eras. Greek, Latin, Jewish, Berlin: De Gruyter 2019
Julian zur Lage: Geschichtsschreibung aus der Bibliothek. Sesshafte Gelehrte und globale Wissenszirkulation (ca. 1750-1815), Wiesbaden: Harrassowitz 2022
Die vorliegende Trierer Dissertation (2012) greift die in der Frühen Neuzeit geführte Diskussion über das Wesen der Frau auf. In ganz unterschiedlichen Texten und Schriften wurde damals, ausgehend von der Frage nach der Natur der Frau und ihrer moralischen und geistigen Fähigkeiten, erörtert, ob Frauen Gelehrsamkeit zugeschrieben werden könne. Schließlich waren sie von den höheren Institutionen des Bildungserwerbs, in denen üblicherweise die grundlegenden Fähigkeiten und Kenntnisse für Gelehrsamkeit erworben wurden, ausgeschlossen. Als Quellengrundlage ihrer Untersuchung hat Karin Schmidt-Kohberg sogenannte Frauenzimmerlexika (Verzeichnisse von Literatinnen eingeschlossen) und zeitgenössische Kataloge berühmter Frauen gewählt. Insgesamt hat sie fünfzehn Frauenzimmerlexika, das sind nach ihren eigenen Angaben alle im Alten Reich erschienenen deutschsprachigen Werke dieses Titels (Anm. 12), sowie sechs Kataloge berühmter Frauen, die dezidiert auch gelehrte Frauen thematisieren, untersucht; weitere Kataloge, in denen Frauen nicht angeführt wurden, blieben unberücksichtigt. Der Untersuchungszeitraum reicht von 1631 bis 1832, der Schwerpunkt liegt eindeutig im 18. Jahrhundert. Anders als die ebenfalls zeittypischen Erziehungsratgeber und Lehrprogramme haben die beiden Quellengattungen den Vorteil, nicht nur theoretisch weibliche Bildungskonzepte zu entwerfen, sondern mit Hilfe weiblicher Lebensentwürfe auch eine Vorbildfunktion für Leserinnen (und Leser) zu übernehmen.
Das Thema wird sehr systematisch erarbeitet. Zunächst werden die Autoren der Frauenzimmerlexika und der Literatinnenverzeichnisse sowie der Kataloge vorgestellt. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass fast alle Autoren ein Universitätsstudium abgeschlossen hatten und als Ärzte, Professoren, Bibliothekare oder Buchhändler tätig waren. Alle veröffentlichten zahlreiche Schriften. Einige von ihnen lebten von dieser schriftstellerischen Tätigkeit. Das folgende Kapitel charakterisiert die untersuchten Verzeichnisse und fragt nach deren Quellenbasis und Rezeption. Im Zentrum der Arbeit steht das dritte Kapitel, das der "Analyse der Frauenzimmerlexika und Kataloge" gewidmet ist. Darin werden u.a. die in den Verzeichnissen genannten geistigen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Frauen herausgearbeitet, ein Sozialprofil der Frauen erstellt sowie nach dem Wissenserwerb und dem sozialen Ort der gelehrten Tätigkeit gefragt. Ein Resümee fasst die Ergebnisse zusammen.
Da die untersuchten Werke, wie Karin Schmidt-Kohberg nachweist, zum Teil rezensiert bzw. wiederholt aufgelegt und vielfach als Ausgangspunkt späterer biographischer Werke dienten, sind sie vergleichsweise breit rezipiert worden. Mithin leisten die Frauenzimmerlexika und Kataloge einen wichtigen Beitrag zum frühneuzeitlichen Diskurs über weibliche Gelehrsamkeit, auch wenn sie mehrheitlich eine "vergnügliche" Lektüre darstellen. Der Schreibstil hat gewiss viel mit Fragen der Rezeption und des Verkaufs der Werke zu tun. Die überwiegende Mehrzahl der Autoren war protestantischer Konfession, lediglich drei waren Katholiken. Dass unter den Autoren keine Frau war, erstaunt wenig. Bemerkenswert ist, dass zwei Autoren, ein Protestant (Christian August Wichmann) und ein Katholik (Peter Paul Finauer), auch jüdische Frauen in ihre Werke aufgenommen haben. In den Biographien selbst lässt sich eine schwindende Bedeutung von Konfession beobachten, um 1800 spielte sie fast keine Rolle mehr. Anders als man vielleicht erwartet hätte, ergeben die Frauenzimmerlexika und Kataloge kein spezifisches Profil weiblicher Gelehrsamkeit. Sie orientieren sich vielmehr an den klassischen Unterrichtsfächern des 17. und 18. Jahrhunderts, ergänzt um offensichtlich eher weibliche Themen wie künstlerische und musische Fertigkeiten. Überdies wird besonders hervorgehoben, wenn die Frauen übersinnliche Fähigkeiten besaßen und wenn sie Herrschaft ausübten. In den Biographien der Frauenzimmerlexika und Katalogen standen theologische und religiöse, gefolgt von philosophischen Kenntnissen im Vordergrund. Dies hing ursächlich mit den Schwerpunkten zusammen, zu denen Frauen publizierten, handelte es sich dabei doch mehrheitlich um Erbauungsliteratur oder um moralphilosophische Werke. Auffällig ist, wie wenige Frauen Kenntnisse in den Naturwissenschaften hatten (nur 90 von 2000 Frauen). Wenn sie auf diesem Sektor Kenntnisse besaßen, dann in der allgemeinen Naturlehre, in Chemie und Physik, in Zoologie und Botanik. Auf einen Vergleich mit männlicher Gelehrsamkeit, erhoben auf der Basis ausgewerteter Gelehrtenverzeichnisse, wurde mangels vorliegender Forschungsliteratur verzichtet.
Mit der Auswertung und Einordnung aller im Alten Reich publizierten deutschsprachigen Frauenzimmerlexika und der relevanten Kataloge leistet der vorliegende Band einen wichtigen Forschungsbeitrag zum Profil weiblicher Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Ein wenig bedauerlich ist, dass die - teils ausführlichen - Belege als Endnoten wiedergegeben wurden. Dies erschwert die Rezeption unnötigerweise.
Sabine Holtz