Walter Kuhfuß: Eine Kulturgeschichte des Französischlernens in der frühen Neuzeit. Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule in Deutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 741 S., 27 Abb., ISBN 978-3-8471-0132-1, EUR 79,99
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In der frühen Neuzeit bildete sich das Interesse an dem Erlernen der französischen Sprache heraus. Die Kulturgeschichte des Französischunterrichts, die Walter Kuhfuß in seiner quellengesättigten und detailreichen, zudem überaus lesenswerten, da instruktiven Studie entwirft, spannt den Bogen von 1500 bis zum Wiener Kongress von 1815. Neben Latein ist die französische Sprache mit ihrer fünfhundertjährigen Lehr- und Lerntradition ein wissenschaftlicher Gegenstand, der über ein weitaus größeres Gebiet als den pädagogischen Bereich Aufschluss zu geben vermag. Kulturelle und politisch-historische Zusammenhänge gilt es ebenso zu berücksichtigen wie genuin didaktische Fragen nach Vermittlungsmethoden oder der Entwicklung des Grammatikverständnisses. Aus methodischer Sicht trägt der Autor dieser Vielfalt auch Rechnung, indem er seine Studie explizit in den Kontext des deutsch-französischen Kulturtransfers stellt.
Die Ursprünge des Französischunterrichts reichen bis ins Mittelalter zurück. Allerdings war zu dieser Zeit das Latein die universelle Verkehrssprache, sodass kaum ein Bedürfnis danach bestand, eine moderne Fremdsprache wie das Französische zu erlernen. Im christlichen Ausbildungskanon war für moderne Fremdsprachen kein Platz, denn diese waren relativ bedeutungslos. Für diese Epoche muss man von Vorformen des Sprachunterrichts sprechen. Weder Lehrbücher noch ein Grammatikbewusstsein waren in irgendeiner Weise ausgeprägt. Wenn eine Sprache gelernt wurde, so zumeist in Grenzgebieten oder zweisprachigen Umgebungen, wie an der westlichen germanisch-romanischen Sprachgrenze. Ein anderer Fall trat ein, wenn junge Deutsche in Italien oder Frankreich an den Universitäten studieren wollten und zwar in einer Epoche als in Deutschland noch keine Universitäten gegründet worden waren, also vor 1350. Neben dem Latein war die Landessprache von Vorteil und somit bestand ein Grund des Erwerbs einer modernen Fremdsprache.
Am Anfang stand der Privatunterricht und einer der ersten prominenten Französischlerner war der sächsische Kurfürst Friedrich III. (1463-1525), auch der Weise genannt. Im Vordergrund standen zu dieser Zeit die rezeptiven Fähigkeiten, das heißt, dass Texte gelesen und verstanden werden sollten. Das Sprechen oder grammatische Kenntnisse spielten keine primäre Rolle. Im Jahr 1602 wurde der Französischunterricht erstmals als öffentliche Unterrichtsveranstaltung in Kassel angeboten. Der Französischlehrer Catharinus Dulcis war calvinistischer Glaubensflüchtling und wurde 1605 der erste Professor für Französisch und Italienisch an der Universität Marburg. Um 1600 lässt sich somit eine beginnende Integration des Französischunterrichts in das offizielle Schulwesen in Deutschland beobachten.
Der Aufbau der Studie ist chronologisch und reflektiert in sieben umfangreichen Kapiteln die Entwicklung der französischen Sprache als Lehr- und Lerngegenstand bis zur festen Etablierung im humanistischen Unterrichtskanon des 19. Jahrhunderts. Als sich der Französischunterricht um 1500 zu entwickeln begann, war das Latein mit seiner Vorbildwirkung maßgebend. Ein wichtiger Motor für den Erwerb des Französischen waren die Reisen junger Adliger. Erste Grammatiken und Lehrwerke entstanden in dieser Zeit. Auch beginnt man die Vermittlungsmethoden zu reflektieren, denn seit 1570 wurde der Fremdsprachenerwerb zunehmend an den Schulen institutionalisiert. Kuhfuß hat in diesem spannenden Kapitel die europäischen Entwicklungen und die wegweisenden Werke und Autoren im Blick.
Ein Kapitel widmet sich den Typen des Französischunterrichts: den Ritterakademien für den Adel, dem bürgerlich-kaufmännischen Unterricht, dem akademischen Fremdsprachenerwerb und dem Französischunterricht für Mädchen. Die unterschiedlichen Zielsetzungen werden untersucht und in einen größeren Zusammenhang gestellt, nämlich in den langwierigen Prozess der Modernisierung von Staat und Gesellschaft in Deutschland, der den epochalen Wandel vom Lateinischen zu den modernen Fremdsprachen meint. Eine Zäsur bildete die Epoche des Dreißigjährigen Krieges, denn es war die Geburtsstunde der Sprachdidaktik durch Johann Comenius. Er hat nicht nur eine allgemeine Theorie des Lehrens und Lernens verfasst, sondern auch eine spezielle Theorie des Sprachenlehrens und -lernens entworfen. Comenius propagierte das Lernen am Beispiel und sah die Vermittlung weniger Regeln, aber vieler Übungen vor. Erst ab dem 17. Jahrhundert kann man von ersten didaktischen Ansätzen eines modernen Fremdsprachenunterrichts sprechen.
Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) zeigt sich die kulturelle Hegemonie Frankreichs insbesondere in dem Aufschwung des Französischunterrichts. Der Stellenwert der französischen Sprache änderte sich grundlegend und erhält eine Distinktionswirkung im Hinblick auf die höfische Kultur. Dieser Epoche bis zum Wiener Kongress sind auch drei besonders umfängliche Kapitel gewidmet. Kuhfuß weitet wiederum den Blick über den Unterricht hinaus und untersucht den Gebrauch der französischen Sprache in Deutschland, die verschiedenen Orte der Vermittlung wie auch die Vermittlungsmethoden selbst und die "Bestseller" unter den Grammatiken sowie die Lebens- und Existenzbedingungen der Französischlehrer. Diese Vielschichtigkeit und der flüssige Schreibstil sind es in erster Linie, die das Buch zu einer erhellenden Lektüre machen. Man kann dem Autor lediglich vorwerfen, dass er an einigen Stellen in anachronistischer Manier zu unreflektiert aktuelle Didaktik-konzepte auf frühere Epochen überträgt, wenn er z.B. von einer "Generation 50 plus" oder von einem "Seniorenprogramm" für die Mitte des 18. Jahrhunderts spricht (454).
Wann wird eine Fremdsprache zum Schulfach? Welche Bedingungen sind notwendig, damit die heranwachsenden Generationen eine bestimmte Fremdsprache erlernen? Was sagt der Fremdsprachenerwerb eigentlich über die kulturellen Beziehungen zwischen zwei Ländern aus? Diese Leitfragen der Studie finden ihre Antwort vor allem in der Untersuchung der didaktisch-methodischen Gestaltung des Französischunterrichts: von der anfänglichen Ausrichtung am Lateinunterricht hin zur Diversifizierung der Lehr- und Lerntechniken im 18. Jahrhundert. In der Spätphase der Aufklärung bilden sich philanthropisch-ganzheitliche Ansätze heraus neben den klar rationalen Unterrichtskonzepten. Die Studie endet an dem zeitgeschichtlichen Punkt, an dem der Sprachlehrer vom examinierten Philologen ersetzt wird und der Privatunterricht vom Klassenunterricht in der höheren preußischen Schule.
Annett Volmer