Sören Fischer: Das Landschaftsbild als gerahmter Ausblick in den venezianischen Villen des 16. Jahrhunderts: Sustris, Padovano, Veronese, Palladio und die illusionistische Landschaftsmalerei, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2014, 256 S., ISBN 978-3-86568-847-7, EUR 49,95
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In ihrer monumentalen Dissertation über Garten-, Landschafts- und Paradiesmotive im Innenraum schrieb Eva Börsch-Supan vor gut fünfzig Jahren: "In Venedig, wo Landschaftshintergründe seit dem frühen Tizian eine stimmungshafte Wirkung zu entfalten begannen, wird nach der Jahrhundertmitte [des 16. Jahrhunderts] in den Villen ein unvergleichlicher harmonischer Raum für eine Illusion idealer Landschaft geschaffen. Palladio ist geleitet von der Idee, die antike Villa wiederherzustellen." [1] Erstaunlich ist, dass sich seither noch keine spezifische Studie diesem für die Geschichte der Landschaftsdarstellung zentralen Thema gewidmet haben soll, um die Aussage "So folgen auch die Landschaften, [...], den Anweisungen Vitruvs, Topographien, Häfen, Vorgebirge, Küsten, Flüsse, Meerengen usw. darzustellen" [2], zu überprüfen und zu konkretisieren. Die unter dem Titel "Das Landschaftsbild als gerahmter Ausblick in den venezianischen Villen des 16. Jahrhunderts. Sustris, Padovano, Veronese, Palladio und die illusionistische Landschaftsmalerei" erschienene Dissertation von Sören Fischer hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu füllen.
Die auf einer soliden Exegese der antiken und zeitgenössischen Villenliteratur aufbauende Grundthese des Autors ist, dass die illusionistischen Landschaftsmalereien, wie sie in Villen des Venetos im Zeitraum von 1540 bis 1580 in hoher Zahl entstanden, nicht einfach die von Vitruv genannten Motive ins Bild setzten, sondern selbst qua ihrer illusionistischen Architekturrahmung Räume in Malerei rekonstruierten, wie sie aus antiken Quellen, wie den Villenbriefen Plinius des Jüngeren überliefert waren. Zwei Hauptmotive der Architekturillusion erkennt der Autor: die Imitation einer Ausblicksloggia, bzw. deren Erweiterung mit gemalten Landschaftsausblicken in der Villa dei Vescovi, Luvigliano und der Sala dei Cesari in der Villa Godi, Lugo di Vicenza, sowie die Auseinandersetzung mit dem von Vitruv beschriebenen Architekturmotiv des Standtriklinium der Villa Laurentina, das Palladio in seiner frühen Villa Godi, in der Villa Gazzotti, Bertesina und der Villa Barbaro in Maser in reale Architektur umgesetzt hat. Die scheinbare Raumerweiterung durch die malerische Rekonstruktion dieses spezifischen, antiken Speisesaals mit seinen in drei Richtungen sehenden Ausblicksfenstern wird an den Beispielen der Stanza del Fanciullo und der Sala del Triclinio der Villa dei Vescovi durchgespielt. Ein schöner Sonderfall der Ausblicksillusion ist, wenn in der Villa Barbaro ein Raum, die Stanza di Bacco qua Gegenüberstellung mit dem malerisch fingiertem Ausblick auf die zeitgenössische Villa zur Laube im Garten erklärt wird (119-25).
Man kann sich des Eindrucks nicht entledigen, dass es dem Autor insgeheim mehr an der durch Architekturillusion geschaffenen Täuschung gelegen ist, als an der Analyse der gemalten Landschaften selbst. Sie werden oberflächlich beschrieben, in arkadisch-idyllische, Hafen-, Fluss- und Ruinenlandschaften etc. kategorisiert und dann allzu schnell als "assoziativ" abgetan (59f.), aber nicht im Einzelnen formal und ikonologisch interpretiert. Schließlich handelt es sich doch um kategorial und inhaltlich durchaus Anderes, wenn die eigene, die zeitgenössische Villa in einer arkadischen Landschaft dargestellt wird, als wenn im gemalten Ausblick an einem lieblichen Flusslauf, der keineswegs mit den Entwässerungskanälen der venezianischen Urbarmachungsprogramme auf der Terra ferma zu verwechseln ist (65f.), Hirten ihr Vieh zur Tränke führen und Fischer angeln, oder man gar - wie in der Villa Chiericati, Longa di Schiavon - auf niederländisch inspirierte Winterlandschaften mit Schlittschuhläufern blickt.
Eine stärkere Reflektion auf die vom Illusionismus quasi selbst aufgeworfene Frage, was ist ein Bild - ist nur der fingierte Ausblick auf die Landschaft das Bild, oder wäre die häufig fälschlich als Rahmen bezeichnete, durch Malerei fingierte Architektur integrales oder gar konstituierendes Element der bildnerischen Illusion? -, hätte der Arbeit in einer Zeit, in der über Kunstgeschichte als einer umfassenden Bildwissenschaft diskutiert wird, nur gut getan. Der Autor tut sich selbst und seiner Argumentation keinen Gefallen damit, dass er einerseits das gemalte Landschaftsbild zum Ausblick, andererseits den Fensterblick zum Bild erklären will. Der Verweis auf die Arbeiten von Gerd Blum (37-40) [3] und damit auf die häufig zitierte und fälschlich als eine "neue Definition des Bildes" bezeichnete Textstelle aus Leon Battista Albertis "Della Pittura", in der der zu konstruierende Bildraum des Gemäldes mit einem Blick aus einem Fenster verglichen wird, in dem man sich die "Historia", die gemalt werden soll, vorzustellen hat [4], kann den gemalten Landschaftsausblick des 16. Jahrhunderts, der erst durch die illusionistische Architektur zum Fenster erklärt wird, nur partiell begründen: Der Vergleich, der die Anleitung zur perspektivischen Konstruktion des Bildraumes einläutet, zielt keineswegs auf ein reines Abbild der Realität, wie es in der Landschaftsmalerei noch für Jahrhunderte der absolute Ausnahmefall bleiben sollte. Zentrale Kategorie hochwertiger Malerei ist auch für Alberti die Komposition, "compositio" des Bildes.
Um das Phänomen der gemalten Landschaftsillusion in der venezianischen Villa des 16. Jahrhunderts in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, wäre es weiterführend nötig, stärker auf spezifisch venezianische Bedingungen zu rekurrieren. Wenn Girolamo Godi, der Eigentümer und Auftraggeber der Villa Godi in der Stanza di Rodi einen Ausblick auf eine durch die Darstellung des Kolosses als Rhodos identifizierbare Hafendarstellung malen lässt, mag das in erster Linie als exemplum virtutis und "lumen libertatis" zu deuten sein (151-56). Indem der veroneser Landadlige damit aber qua Gegenübersetzung von gemalter Landschaft und realer Umgebung zum wohl einzigen Mal in der venezianischen Kunstgeschichte die Stadt und Republik Venedig - oder die venezianische Terra ferma (?) - zu einem "altera Rodi" erklärt, hätte es - jenseits des Reimes Rodi-Godi - weiterer Überlegung zu seinen, wahrscheinlich sehr persönlichen Motiven für diesen Vergleich bedurft. Und dies gerade weil diese durch das vergilsche Motto "PROCUL ESTE PROFANI" (144, 157) als nur Eingeweihten zugänglich erklärt wurden, was sich mit Sicherheit nicht nur auf die Familienangehörigen bezog. Methodologisch hätte dies den Rahmen der Arbeit nicht gesprengt, verweist Fischer doch auch darauf, dass Alvise Cornaro als nicht der venezianischen Adelsklasse Zugehöriger im Oktagon des Odeo Cornaro in Padua versuchte, qua Malerei die Abkunft seiner Familie von dem römischen Geschlecht der Cornelier zu untermauern und damit seinen Anspruch auf Nobiltà zu stärken (79-86).
Über das Aussehen selbst der engeren Umgebung der palladianischen Villa, über die bauzeitliche Gestaltung des die Villa notwendig ergänzenden Gartens, wissen wir bekanntlich nur sehr wenig. Sicher aber ist, dass sie nicht bloße Natur, nicht einfach die von Gott gemalte Landschaft gewesen ist, sondern eine in hohem Maße gestaltete und transformierte Kulturlandschaft. Diese nach der venezianischen Kolonialisierung der Terra ferma durch Entwässerung und (damals) modernste Anbaumethoden geschaffene Kulturlandschaft als "monotone Reis- und Maisfelder" zu imaginieren (57, 63, 127), hieße das Produkt jener als "Santa Agricoltura" überhöhten Kultivierungspolitik mit dem Aussehen der heutigen, durch industrialisierte Landwirtschaft und Zersiedelung weitgehend zerstörten venezianischen Villenlandschaft zu verwechseln.
Der stolze Besitzer einer Villa, die Zentrum seines landwirtschaftlichen Anwesens war, mag eher den Vergleich der gemalten, arkadisch-idyllischen-antikischen Landschaftsillusion mit der durch sein tatkräftiges Schaffen kreierten neuen Kulturlandschaft gesucht und gezeigt haben wollen. Der Gedanke: Was der Antike als zweckfreie Naturschönheit zugefallen ist, wird durch die "Santa Agricoltura" wiedererschaffen, wird wohl der Ideologie der venezianischen Villenkultur eher entsprechen als die Idee eines Ersatzes des nicht genießbaren, realen Ausblickes durch ein gemaltes Arkadien. Dagegen spricht keineswegs, dass bei der Imaginierung der antiken Landschaft jede Abbildung von Arbeit ausgeblendet wird - bei Fischer kommt hier Bentmann/Müllers ideologiekritische Interpretation der "Die Villa als Herrschaftsarchitektur" zu alten, neuen Ehren (63, 73, 108 etc.). Sind doch auch in der zeitgenössischen und der darin rezipierten, antiken Villenliteratur mit ihrer Verherrlichung des Landlebens, das Zuflucht vor der Geschäftigkeit der Stadt ist, die abhängigen Landarbeiter nicht die eigentlichen Protagonisten des Villenlebens. Ob dabei das Gefühl der Melancholie über die verlorene Mühelosigkeit oder der Stolz über die eigene kultivatorische Leistung überwogen haben mag, dürfte im Charakter des jeweiligen Auftraggebers oder Betrachters gelegen haben.
Man hätte sich zu diesem faszinierenden Thema - aber das liegt außerhalb der Natur einer Arbeit der Art, wie sie hier besprochen wird - einen reich bebilderten Band gewünscht, der die Landschaftsdarstellungen - gerade in einem Fall wie der Villa Godi - eben doch in Beziehung zum Gesamtzusammenhang der allegorischen und figuralen Villendekorationen zu deuten versucht und dabei in stärkerem Maße auch auf nicht-künstlerisch-kulturelle Kontexte rekurriert.
Anmerkungen:
[1] Eva Börsch-Supan: Garten-, Landschafts- und Paradiesmotive im Innenraum. Eine ikonographische Untersuchung, Berlin 1967, 263.
[2] Ebd.
[3] Gerd Blum: Naturtheater und Fensterbild. Architektonisch inszenierte Aussichten der frühen Neuzeit, in: Das Auge der Architektur. Zur Frage der Bildlichkeit in der Baukunst, München 2011, 177-219; ders.: Fenestra prospectiva. Das Fenster als symbolische Form bei Leon Battista Alberti und im Herzogspalast von Urbino, in: Leon Battista Alberti. Humanist, Architekt, Kunsttheoretiker, Münster 2008, 77-122; sowie die Habilitationsschrift von Blum, die dem Rezensenten noch nicht vorlag.
[4] Leon Battista Alberti: Das Standbild, die Malkunst, Grundlagen der Malerei, hgg., eingeleitet, übers. und komm. von Oskar Bätschmann / Christoph Schäublin unter Mitarbeit von Kristine Patz, Darmstadt 2000, 224f.
Heiner Krellig