Jan Dumolyn / Jelle Haermers / Hipólito R.O. Herrer et al. (eds.): The Voices of the People in Late Medieval Europe. Communication and Popular Politics (= SEUH. Studies in European Urban History (1100-1800); 33), Turnhout: Brepols 2014, VIII + 267 S., ISBN 978-2-503-54983-5, EUR 89,00
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An der Stimme des einfachen Volkes komme man nicht vorbei. Dieser schon von Alkuin von York benutzte Ausspruch bildet gewissermaßen den Ausgangspunkt des hier zu besprechenden Sammelbandes. Denn die breite Masse des Volkes hatte im gesamten Mittelalter Gewicht, trotz ihres weitestgehenden Ausschlusses von politischer Mitgestaltung. Dabei waren Formen der Organisation und Ordnung, besonders für die wohlhabenderen Handwerker und ihre Gilden, eine Möglichkeit zu politischer Teilhabe. Und so widmet sich der Band in seinen Beiträgen denn auch verschiedenen Formen dieser Teilhabe und einer möglichen Gefährdung der herrschenden Ordnung durch die als Waffe eingesetzte Vox populi.
Der Band publiziert die Resultate verschiedener Forschungsprojekte, die in Spanien sowie in Belgien durchgeführt wurden [1], und präsentiert sich als guter Einstieg in die internationale Forschung zum Thema der öffentlichen Wahrnehmung größerer Teile der Bevölkerung in den Städten Flanderns im Zeitraum von 1200 bis 1550. Nach einer übergreifenden Einführung durch die Herausgeber (1-12) präsentiert der Band insgesamt 15 Beiträge in drei Teilen, denen jeweils ein gemeinsames Thema innerhalb der Gesamtthematik zugrunde liegt. Damit wird ein Hauptziel verfolgt: dargestellt werden soll, wie die mittelalterliche Bevölkerung auch ohne direkte Partizipation an politischer Willensbildung, ohne wirtschaftliche Prosperität oder soziales Ansehen für sich selbst zu sprechen vermochte (5).
Der erste Teil ("The people and their voices in politics", 13-88) umfasst vier, der zweite Teil ("Political and symbolic languages", 89-181) sechs Aufsätze und der dritte Teil ("Dialogues of power", 183-267) bringt fünf Aufsätze zusammen.
Jan Dumolyn setzt sich in seinem Beitrag mit den Einflüssen auseinander, denen Gilden in den drei größten Städten Flanderns im 14. Jahrhundert - Gent, Brügge und Ypern - ausgesetzt waren (15-48). Dabei entwickelt er ein Konzept von "politischen Gilden" (29-32), die im sonstigen Europa kaum als solche fassbar sind. Anhand von Versammlungen und bewaffneten Aufläufen in den Städten zeigt Dumolyn, wie die damalige Mobilisierung größerer Bevölkerungsteile funktionieren konnte und kann typische Zeichen populistischer Politik nachweisen. Den Beginn politischer Machtausübung durch die städtischen Gilden in Flandern sieht Dumolyn dabei in den Jahren zwischen 1280 und 1302 (23), den Niedergang ihrer Macht im Zuge der starken Habsburgerherrschaft in den Jahren bis 1500 (48). Vergleiche mit Zünften und Gilden in Europa werden dabei gezogen (25-29). Hipólito Rafael Oliva Herrer und María Antonia Carmona Ruiz widmen sich in ihren Beiträgen der Erforschung der gegen den Adel gerichteten Aufstände im Kastilien der Jahre 1520-1522 (49-61 bzw. 63-71).
Im zweiten Teil des Bandes sticht der Beitrag von Jonas Braekevelt (149-165) hervor, der sich am Beispiel der Herzöge von Burgund aus dem Hause Valois mit der Möglichkeit einer Beeinflussung des offiziösen Schrifttums der herzoglichen Kanzlei durch den "popular discourse" beschäftigt. Das ist insofern bemerkenswert, als Braekevelt zur Auswertung des Quellenkorpus die Software "Hyperbase" eingesetzt hat, ein ursprünglich für die Analyse von Bibel-Passagen entwickeltes Programm von Étienne Brunet (155). Die Ergebnisse werden entsprechend durch mehrere Grafiken untermauert.
Der dritte Teil des Bandes kreist um die Verwendung der Sprache. So werden neben den Funktionen mündlicher Netzwerke in urbaner Umgebung und für städtische Führungsgruppen (205-213) auch Möglichkeiten der Sanktionierung des Missbrauchs von Sprache im Kontext von Gerichtsprozessen (233-246) sowie im politisch-öffentlichen Leben einer spätmittelalterlichen Stadt (247-267) thematisiert.
Ein gemeinsames Verzeichnis der genutzten Quellen und Literatur sowie weitere Register hätten zur tiefergehenden Erschließung des Bandes beitragen können. Daneben fällt auf, dass die Autorinnen und Autoren der Beiträge kaum deutschsprachige Literatur herangezogen haben, was aber zu verschmerzen ist. Das eingangs angeführte Ziel vermag der Band auf ganzer Linie zu erreichen und so ist zu wünschen, dass die geographische und chronologische Breite der hier versammelten Aufsätze als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen können. Damit ergänzen sie die in den vergangen Jahren erschienenen Einzelstudien und Überblicksdarstellungen [2] auf dem Weg hin zu einer "systematic history of 'the voices of the people in medieval Europe'" (11).
Anmerkungen:
[1] Siehe die entsprechende Anmerkung auf S. 1. Demnach ist der Band Ergebnis der Projekte "City and Society in the Low Countries (c. 1200-c. 1850). The 'condition urbaine': between resilience and vulnerability" in Belgien, sowie "Espacio público, opinión y comunicación política a fines de la Edad Media" und "¿El poder de la comunidad? : Lenguaje y prácticas politicas populares a fines de la Edad Media" in Spanien, an denen sich Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen europäischen Ländern beteiligten.
[2] Siehe für das Heilige Römische Reich beispielsweise Bernd-Ulrich Hergemöller: Uplop - Seditio: Innerstädtische Unruhen des 14. und 15. Jahrhunderts im engeren Reichsgebiet. Schematisierte vergleichende Konfliktanalyse (= Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters; Bd. 28), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2012 (Rezension in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/02/22577.html).
Florian Dirks