Adelheid von Saldern: Amerikanismus. Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert (= Transatlantische Historische Studien; Bd. 49), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, 428 S., ISBN 978-3-515-10470-8, EUR 44,00
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Die Geschichte der europäisch-amerikanischen Beziehungen ist auch eine Geschichte der gegenseitigen Verwunderung und der Missverständnisse, was momentan Donald Trumps für Europäer befremdlich erfolgreiche Auftritte im US-Vorwahlkampf, die Diskussionen um TTIP und die Spannungen infolge der NSA Abhöraffäre unterstreichen. Vor diesem Hintergrund erscheint Adelheid von Salderns vorliegendes, in der Reihe Transatlantische Historische Studien des Franz Steiner Verlages erschienenes Buch zum Amerikanismus aktueller denn je. Die Sozial- und Kulturhistorikerin zeichnet anhand einer detaillierten Analyse der Debatten in den "sogenannten Quality Magazines", den "gehobene[n] Publikationsorgane[n]" der "akademisch gebildeten, nationspolitisch maßgeblichen weißen Mittelschichten und Eliten" (24), ein umfassendes Bild des US-amerikanischen Selbstfindungsprozesses und Europadiskurses zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei zeigt von Saldern nicht nur, dass sich bereits in den 1920er-Jahren Amerikanismus und Antiamerikanismus wechselseitig bedingten, sondern dass beide jeweils auch beiderseits des Atlantiks zu finden waren. Hierin liegt auch ein immer noch anhaltender Widerspruch begründet: Zu Beginn der kulturellen Moderne suchten amerikanische Intellektuelle nach einer eigenen kulturellen Identität der USA, die mindestens mit der Europas gleichwertig sein, diese wenn möglich überflügeln sollte, und dennoch mit jener eng verknüpft bleiben sollte. Die Folge dieses entstehenden "kulturellen Nationalismus" (13), dem titelgebenden Amerikanismus, und seiner Verankerung in einer gemeinsamen westlichen Geschichte ist eine bis heute anhaltende wechselseitige Betonung entweder der Differenzen oder der Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Europa.
Ausgehend von einer ausführlichen Einleitung, in der nicht nur die Fragestellung und der Forschungsstand, sondern auch der Entstehungsprozess der Forschungsarbeit ausführlich dargelegt werden (13-41), stellt die Autorin im ersten Kapitel, das bereits allein aus medienhistorischer Sicht lesenswert ist, ihre Quellen - Qualitätsmagazine wie Harper's Magazine, The Forum, The Nation und The New Republic - sowie deren Leserschaft, eingehend vor. Ermöglicht wurden Qualitätsmagazine durch die "Revolution der Magazine" (46) des beginnenden 20. Jahrhunderts, wie von Saldern schreibt. Bereits 1903 sollen in den USA mehr Zeitschriften existiert haben als in ganz Europa, nämlich 21.000. Magazine bieten sich als Untersuchungsgegenstand geradezu an: Sie vermittelten "zwischen Experten- und Laienwissen", vergrößerten den "sozialen Wissensstand" wie John Dewey ihn forderte, fungierten nicht zuletzt als "mediale Kontakt- und Kommunikationszonen zwischen Europa und den USA" (51-52) und sahen "ihre Aufgabe darin, als Übersetzer anderer Kulturen zu fungieren." (25) Kapitel 2 rundet mit seinem Blick auf die Rezeption des in Europa stärker werdenden Antiamerikanismus sowie amerikanische Selbstkritik den ersten Teil des Buches ab.
Im zweiten Teil des Buches (Kapitel 3 und 4) setzt sich die Autorin speziell mit der Sichtweise der weißen (Kultur-)Elite auf europäische Einwanderer, amerikanische Ureinwohner, Afro-Amerikaner und Frauen auseinander. Bei der Suche nach einer eigenen kulturellen Identität ging es "stets auch um Einfluss und Machterhalt der WASPs [White Anglo-Saxon Protestants]" (140-141). Das Nationsverständnis war demnach "durch die Wunschvorstellung geprägt, die Nation möglichst zu homogenisieren." (159) Einwanderung wurde als unerwünschtes Eindringen betrachtet und besonders (katholische) Süd- und Ostmitteleuropäer waren nicht erwünscht. Nach Vorstellung Präsident Wilsons sollte es keine Bindestrich-Amerikaner, wie Italian-Americans, geben. Die ersten englischen Siedler verkörperten für ihn "den Typ des Originalen" (141), somit gab es auch keine "English-Americans", sondern nur (weiße, angelsächsische) Amerikaner. Inklusionsfähig war nur, wer diesem Idealbild entsprach. Amerikanische Ureinwohner, Afroamerikaner und auch Feministinnen durften maximal durch ihre Andersartigkeit, die das Besondere der WASPs unterstrich, zur nationalen Identität beitragen (162-202). Im dritten Teil wendet von Saldern den Blick zunächst ebenfalls nochmals nach innen und beleuchtet den frontier-Mythos (Kapitel 5) sowie die Rolle der Kunst (Kapitel 6). Hier wird nochmals deutlich wie sehr die kulturelle Identität von den WASPs geprägt wurde, wenn man sich zum Beispiel mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei Jazz um Kunst handele und, falls ja, ob diese dann amerikanisch sei (301-305). Das siebte Kapitel fällt hier etwas heraus und widmet sich der Außenpolitik im Zeichen des Amerikanismus; besonders dem Umgang mit Europa, amerikanischer Expansionspolitik und dem "fremd erscheinenden" (320) Osten.
Von Salderns Werk besticht nicht nur durch den breiten Blick auf den "kulturellen Nationalismus", der hier nur ansatzweise wiedergegeben werden konnte, und durch die dezidiert amerikanische Perspektive auf die kulturellen, transatlantischen Beziehungen und Verknüpfungen, sondern auch durch die gekonnte Analyse der besonderen Situation der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach dem Wegfall der frontier 1890 und der Konsolidierung des sogenannten inland empire hatten die USA einen wichtigen Bezugspunkt verloren, das Fortschreiten der Zivilisation nach Westen im Sinne der manifest destiny. [1] Von Saldern verweist hier auf Frederick Jackson Turner, welcher der Auffassung war, "das Ende der Frontier-Ära [habe] auch die Demokratie ihrer wirksamsten Kräfte beraubt." (232) Für Turner war die amerikanische Siedlerkultur wichtiger für die amerikanische Demokratie als das britische Erbe. Der Blick richtete sich folglich ab 1890 nach außen und die USA wandten sich nicht nur der Expansionspolitik zu, sondern betraten mit dem Kriegseintritt 1917 auch die weltpolitische Bühne. Gleichzeitig richtete sich der Blick nach der kompletten Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents aber auch nach innen und auf die Frage nach der eigenen Identität. Auch wenn sich die USA bereits Ende des 18. Jahrhunderts von ihrem Mutterland getrennt hatten, sieht von Saldern "im kulturellen Nationalismus" zu Recht "ein postkoloniales Trauma [...], das dazu führte, die Loslösung von Europa in besonders starkem Maße voranzutreiben" (316).
Deutlich herausgearbeitet wird auch das Festhalten der US-Eliten an den alten (angelsächsischen) Werten und Traditionen, die aber gleichzeitig nun als etwas typisch amerikanisches proklamiert werden und die europäischen Werte im Sinne der manifest destiny transzendieren. Hieraus resultiert das für Europäer oft unverständliche Sendungs- und Selbstbewusstsein der Amerikaner, als "größte Macht, die die Welt je gesehen hat" (117). Der Anspruch eine weiße westliche Zivilisation unter amerikanischer Führung zu konstruieren basierte auf "einer 'Nostrifizierung' europäischer Alterität" und implizierte "einen evolutionsgeschichtlich begründeten amerikanischen Erfüllungs- und Führungsanspruch" (117), wie von Saldern anhand des sogenannten Western Civilization-Konzeptes zeigt.
Die umfassende und zugleich feine und detaillierte Ausarbeitung der aus der "Zeitgleichheit" der "USA als postkolonialem Objekt" und "der USA als Empire-Akteur" (380) resultierenden Spannungen macht das vorliegende Werk uneingeschränkt empfehlenswert. Mit ihrer Analyse der Rolle der kulturellen Elite beim amerikanischen nation building liefert Adelheid von Saldern eine gelungene, deutschsprachige Erweiterung zu Jackson Lears 2009 erschienenem Rebirth of a Nation: The Making of Modern America, 1877-1920, der eine Übersetzung ins Englische zu wünschen wäre.
Anmerkung:
[1] Vgl. Michael Hochgeschwender: Die USA - ein Imperium im Widerspruch, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2006), H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2006/id=4526.
John Andreas Fuchs