Andrea Rudorff: Frauen in den Außenlagern des Konzentrationslagers Groß-Rosen (= Geschichte der Konzentrationslager 1933-1945; Bd. 15), Berlin: Metropol 2014, 439 S., ISBN 978-3-86331-162-9, EUR 24,00
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Die historische Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern erlebt seit der Jahrtausendwende einen enormen Aufschwung. Ein Ausdruck dafür ist das enzyklopädische Sammelwerk Der Ort des Terrors. [1] Der im Jahr 2007 erschienene Band 6 der Reihe widmete sich unter anderem dem Konzentrationslager Groß-Rosen, und zahlreiche Einträge zu den zugehörigen Außenlagern hatte seinerzeit Andrea Rudorff verfasst. Dies war der Ausgangspunkt für ihr Dissertationsvorhaben, das diejenigen Außenlager des KZ Groß-Rosen zum Gegenstand hatte, in denen die SS weibliche Häftlinge gefangen hielt. Die von Wolfgang Benz und Claus Füllberg-Stolberg betreute Arbeit liegt nun in einer leicht überarbeiteten und hier zu besprechenden Fassung vor.
Groß-Rosen hatte seit August 1940 als Außenlager des KZ Sachsenhausen bestanden und war im Mai 1941 zum eigenständigen Konzentrationslager erklärt worden: Der Krieg hatte zu einem Funktionswandel des KZ-Systems geführt, und die SS-Führung nutzte die KZ - neben der Terrorisierung vermeintlicher oder tatsächlicher Regimegegner sowie der Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge - für eigene Interessen nun auch als Instrument der Bekämpfung des Widerstands in den besetzten Staaten. In Osteuropa dienten sie zudem der Durchsetzung der nationalsozialistischen Besatzungs- und Bevölkerungspolitik. Aus machtpolitischem Kalkül wandelte Heinrich Himmler das KZ-System in der zweiten Kriegshälfte in ein Arbeitskräftereservoir für die Kriegswirtschaft um und nutzte es zugleich mit Auschwitz und Majdanek als Instrument der Judenvernichtung. Durch den Einsatz der Gefangenen in der Rüstungsindustrie kam es seit 1942/43 zur Errichtung zahlreicher Außenlager bei den KZ-Hauptlagern. Erst im letzten Kriegsjahr wurden dort auch massenhaft jüdische Häftlinge, darunter viele Frauen, zum Arbeitseinsatz gezwungen. Der enorme Anstieg der Zahl der Häftlinge spiegelt sich auch in der Entwicklung des KZ Groß-Rosen wider: 1940/41 sperrte die SS dort rund 1400 Menschen ein, 1942 fast 4000, 1943 rund 5000 und 1944 dann etwa 52.000. Insgesamt waren 120.000 Gefangene, überwiegend polnischer und sowjetischer Nationalität, in Groß-Rosen und seinen rund einhundert Außenlagern (hier lag der Prozentsatz jüdischer Häftlinge bei 50 Prozent) inhaftiert. Mindestens 40.000 Menschen überlebten das Lager nicht. Vor diesem Hintergrund untersucht Rudorff jene seit März 1944 errichteten Außenlager, in denen die SS Frauen gefangen hielt und zur Arbeit zwang. Die größten nationalen Gruppen bildeten die rund 12.000 ungarischen sowie die etwa 11.000 polnischen Jüdinnen (78f.). Insgesamt bestanden 45 derartige Lager, die sich geografisch über Niederschlesien, das Sudetengebiet, die Lausitz und Ostbrandenburg erstreckten.
Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert. Zunächst werden die Vorgeschichte sowie die Entstehungsbedingungen des Frauenaußenlagersystems beschrieben, dann die Deportationswege, auf denen die weiblichen Häftlinge nach Groß-Rosen verschleppt wurden. Im Zentrum der Untersuchung stehen dann die Organisationsstrukturen der Außenlager mit weiblichen KZ-Insassen, die Arbeits- und Existenzbedingungen, die Häftlingsgesellschaft sowie das Wachpersonal. Untersucht werden zudem die Kontakte der weiblichen Häftlinge zur "Außenwelt", das heißt zur örtlichen Zivilbevölkerung, zu anderen Häftlingsgruppen sowie zu solidarischen Gruppen außerhalb der Lagerwelt. Rudorff schließt mit einem Kapitel über die Auflösung der Frauenaußenlager sowie die Strafverfolgung der ehemaligen Groß-Rosener Aufseherinnen in Polen, der Tschechoslowakei und den beiden deutschen Staaten. Die im Anhang befindliche alphabetische Liste der Frauenaußenlager sowie eine geografische Übersicht und nicht zuletzt ein Personen-, Orts- und Firmenregister ergänzen den Text in hilfreicher Weise.
Die Verfasserin kann zeigen, dass in den untersuchten Außenlagern die lange Zeit intendierte und umgesetzte Vernichtung der jüdischen Häftlinge zumindest temporär ausgesetzt war. Die Frauenaußenlager stellten zeitweilig vielmehr regelrechte "Überlebensorte" dar (386). Die Mortalität in den Frauenaußenlagern lag durchschnittlich knapp unter einem Prozent, deutlich geringer also als im Hauptlager, in vergleichbaren Außenlagern mit männlichen Häftlingen beziehungsweise in Außenlagern, in denen die SS Männer und Frauen inhaftierte. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als es sich ja um jüdische Gefangene handelte, die in der rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten an unterster Stelle standen. Für die geringe Sterblichkeitsrate macht Rudorff in erster Linie den späten Zeitpunkt der Errichtung der Frauenaußenlager verantwortlich. In der Tat sollten die hier untersuchten Außenlager innerhalb des im letzten Kriegsjahr stark differenzierten KZ-Systems als Stätten des Arbeitseinsatzes fungieren und eben nicht - wie Birkenau oder Majdanek - als Orte der Massenvernichtung oder der massenhaften Verelendung, wie dies von den in vielen KZ-Stammlagern eingerichteten Sterbezonen belegt ist. Zudem ist die Art des Arbeitseinsatzes zu nennen. Vorwiegend arbeiteten die weiblichen Häftlinge des KZ Groß-Rosen in Betrieben der Textil- und Rüstungsindustrie und nicht (zumindest nicht längere Zeit) auf Großbaustellen, auf denen sich die Arbeits- und Existenzbedingungen schnell als tödlich erwiesen. Für die geringe Sterblichkeitsrate, so Rudorff weiter, spielte auch eine wichtige Rolle, dass das Wachpersonal nicht aus altgedienten und gewalterprobten KZ-Aufsehern bestand, sondern in großer Zahl aus rekrutierten Mitarbeiterinnen der Betriebe, die KZ-Gefangene beschäftigten, sowie aus frontuntauglichen Soldaten der Wehrmacht. Auch die Funktionshäftlinge zeigten eine geringere Gewaltbereitschaft, wohl auch deshalb, weil sie in der Regel erst mit der Errichtung des jeweiligen Außenlagers rekrutiert wurden und insofern ebenfalls keine lagerspezifischen Erfahrungen, etwa der Gewaltausübung, mitbrachten. Waren auch spezifische "weibliche Überlebensfähigkeiten" (393) mit ausschlaggebend für die geringe Mortalität in den Frauenaußenlagern? Diese seit vielen Jahren gestellte Frage beantwortet die Verfasserin nicht. Sie benennt zwar einige Argumente, die für jene These sprechen, verweist aber schließlich darauf, dass Untersuchungen mit entsprechender Fragestellung zu Männeraußenlagern fehlten, ohne die eine abschließende Antwort nicht möglich sei (394). Eindeutig hingegen sind ihre Ergebnisse hinsichtlich der letzten Phase der Lagergeschichte. Nun stiegen auch in den Frauenaußenlagern die Todesraten sprunghaft an, als nämlich im Januar 1945 die Räumung des Lagerkomplexes begann. Die "Überlebensorte" lösten sich auf im chaotischen Terror der Todesmärsche, deren lebensbedrohende Realität keinen Unterschied mehr kannte zwischen weiblichen und männlichen Häftlingen.
Rudorffs Studie entspricht in Aufbau und Durchführung ganz dem aktuellen Forschungsstand und der Methodendiskussion, fragt neben den grundsätzlichen, strukturellen Zusammenhängen etwa auch nach den Handlungsspielräumen der beteiligten Akteursgruppen, das heißt nach den Optionen der Gefangenen ebenso wie nach den Verhaltensweisen der Aufseherinnen, des Betriebspersonals und der örtlichen Bevölkerung. Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass sich die Untersuchung auf reichhaltiges Archivmaterial stützt und Quellen unterschiedlichster Provenienz, darunter in polnischer und tschechischer Sprache, heranzieht. Es handelt sich um eine rundum gelungene Arbeit, die einen weiteren Mosaikstein zum Wissen über den nationalsozialistischen Lagerkosmos bereitstellt.
Anmerkung:
[1] Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hgg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 9 Bde., München 2005-2009.
Karin Orth