Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Martina Heßler, Hamburg


Michael Hagner: Zur Sache des Buches, Göttingen 2015.
Der Protagonist in Elias Canettis Buch Die Blendung führt gelegentlich seine Bücher aus, um ihnen die Welt zu zeigen. Die Skurrilität dieses Bibliophilen tritt in einer digitalen Welt umso deutlicher hervor, denn heute können wir die digitale Welt des Wissens zu uns in das Wohnzimmer holen. Nicht zufällig werden gedruckte Bücher immer wieder als obsolet erklärt. Michael Hagner widmet sich der Bedeutung und dem Status des (geisteswissenschaftlichen) Buches im digitalen Zeitalter. Er legt ein gleichermaßen leidenschaftliches wie ausgewogenes, ein sowohl historisch argumentierendes wie in die Zukunft denkendes Plädoyer für Bücher vor, ohne dabei der Bibliophilie oder einer kulturkritischen Verlustgeschichte zu verfallen, die vielmehr Thema seiner Analysen sind. Im Zentrum steht die Open Access Bewegung, die Hagner differenziert und unaufgeregt demystifiziert, wiederum ohne die Potentiale zu leugnen. Es ist ein nachdenkliches Buch, das den nur scheinbaren Anachronismus Buch verteidigt. Es lässt keinen Zweifel an der fruchtbaren und notwendigen Komplementarität von "klassischem" Buch und digitalen Publikationsmodi. Hagner endet im letzten Kapitel mit der so simplen wie wichtigen Frage "Wozu Bücher?". Die Antwort gibt er nicht nur in diesem abschließenden Kapitel. Sein Essay ist eine wichtige Intervention im Hinblick auf diese Frage.

Paul Erickson / Judy L. Klein / Lorraine Daston / Rebecca Lemov / Thomas Sturm / Michael D. Gordin: How Reason Almost Lost Its Mind. The Strange Career of Cold War Rationality, Chicago 2013.
Der Philosoph Günther Anders beschrieb Mitte der 1950er Jahre, wie General McArthur während des Koreakrieges ein Computer zur Seite gestellt wurde, um Entscheidungen zu treffen. Dieser sei mit Daten gefüttert worden, um eine objektive Verlust- und Gewinnrechnung zu erstellen, womit man der menschlichen Subjektivität zu entgehen trachtete. Was Günther Anders so anekdotisch wie sarkastisch beschrieb, ist das Thema des Buches How Reason almost Lost Its Mind. Die sechs Autor/innen befassen sich mit Entscheidungsprozessen zur Zeit des Kalten Krieges. Denn die Frage, wie rational entschieden werden könne, war in einer unsicheren, bedrohlichen Zeit der Nuklearwaffen, in der Entscheidungen fatale Konsequenzen für die gesamte Menschheit haben konnten, von enormer Bedeutung. Dabei dominierte, wie die Autor/innen zeigen, bis in die 1980er Jahre eine Form der Rationalität, die nicht an Vernunftbestimmungen früherer Jahrhunderte anknüpfte, sondern auf logische Analyse, Formalisierung, Regelhaftigkeit, Berechnung und Algorithmen setzte. Das Buch stellt einen wichtigen Beitrag für die Zeitgeschichte, die Geschichte des Kalten Krieges und die Wissenschafts- und Technikgeschichte dar. Es zu lesen, lohnt sich über den Kreis der Spezialist/innen hinaus.

Arthur Conan Doyle: "Heute dreimal ins Polarmeer gefallen". Tagebuch einer arktischen Reise, Hamburg 2015.
Im Jahr 1880 heuerte ein junger Medizinstudent als Arzt auf dem Walfänger Hope an. Sechs Monate verbrachte er auf dieser Reise in das Polarmeer. Es handelte sich um Arthur Conan Doyle, der später vor allem mit seinen Detektivgeschichten und den beiden Protagonisten Sherlock Holmes und James Watson bekannt wurde. Doyle verfertigte ein Tagebuch, das nun transkribiert, ediert und in Deutsche übersetzt vorliegt. Die Tagebucheinträge beschreiben den Alltag auf dem Walfänger, das Leben im Eis, isoliert von der Welt, die Langeweile und Eintönigkeit, die teils brutale Jagd auf Robben und Bären, die Konkurrenz zu anderen Walfängern sowie das scheinbar endlos lange Warten auf die Möglichkeit, Wale zu fangen. Doyle schildert das Leben auf dem Schiff humorvoll, ironisch, begeistert wie distanziert. Das "Tagebuch einer arktischen Reise" enthält Zeichnungen sowie weitere Texte, wie einen Essay zu Doyles Werk und - das darf natürlich nicht fehlen - eine Sherlock Holmes Geschichte, in der sich der Kapitän der Hope verärgert wiederzuerkennen glaubte. Insgesamt: eine kurzweiliges Buch, das Einblicke in den Alltag der Walfänger des späten 19. Jahrhunderts erlaubt.

TAMBORA 1815
Wolfgang Behringer: Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte, München 2015.
Sabine Kaufmann: 1816. Das Jahr ohne Sommer, Karlsruhe 2013.
William und Nicholas Klingaman: The Year Without Summer: 1816, New York 2013.
Gillen D'Arcy Wood: Tambora - The Eruption That Changed the Word, Princeton 2014.

Jahrestage lenken den Blick nicht nur auf Ereignisse, die bereits vielfach erforscht sind, sondern auch auf solche, die dann zuweilen die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen schon lange zugestanden hätte. Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr 1815 zählt zu dieser Art von Ereignissen. Seit 2013 sind ein historischer Roman (Sabine Kaufmann 2013) sowie drei Monographien erschienen. Ausgangspunkt ist jeweils der überaus heftige Ausbruch des Vulkans, dessen Einfluss auf das Wetter insbesondere im Jahr 1816 global zu spüren war. Das Buch von Klingaman/Klingaman (2013) konzentriert sich daher ganz auf die globalen Auswirkungen in diesem "Jahr ohne Sommer", insbesondere in den USA. In D'Arcy Woods Buch (2014) ist von der Tambora-Zeit, 1815-1818, die Rede, die Zeitspanne, für die die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen beschrieben werden, wobei man in diesem Buch am meisten über meteorologische, ökologische und klimatische Folgen des Vulkanausbruchs erfährt. Auch Wolfgang Behringer schildert die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Folgen in den Jahren 1815-1820, der "Tambora-Krise". Er liefert eine Globalgeschichte, die ihren Fluchtpunkt im Vulkanausbruch findet und die weltweit zu beobachtenden Krisen (Wetterveränderungen, Missernten, Hunger, Proteste und politische Unruhen, Migration) vor dem Hintergrund des Naturereignisses neu zu interpretiert sucht. Er stellt damit die, wie er schreibt, "gängigen Meistererzählungen" in Frage, in denen diese Zeit ohne Blick auf den Vulkanausbruch erklärt wurden. Ähnlich wie einst Arno Borst interpretiert er diese Auslassung geschichtspolitisch, insofern sie in den bestehenden Erzählungen keinen Sinn gemacht hätte. Auch wenn man viel Bekanntes im Buch liest, ist es inspirierend und spannend zu lesen. Schließlich erinnern alle zu diesem "Jubiläum" erschienen Bücher sehr eindrücklich daran, dass Klima, dass "Natur" geschichtsmächtige Faktoren sind.