Jürgen Schmidt: August Bebel - Kaiser der Arbeiter. Biografie, Zürich: Rotpunktverlag 2013, 285 S., ISBN 978-3-85869-538-3, EUR 27,00
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Helmut Bley: Bebel und die Strategie der Kriegsverhütung 1904-1913. Eine Studie über Bebels Geheimkontakte mit der britischen Regierung und Edition der Dokumente, 2., erw. Aufl. m. akt. Nachwort, Hannover: Offizin 2014, 299 S., ISBN 978-3-945447-01-7, EUR 19,80
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Am 13. August 1913 starb August Bebel während eines Ferienaufenthalts im Kurhaus Passugg bei Chur. Vier Tage später wurde er in Zürich - nicht in der deutschen Hauptstadt Berlin, seiner wichtigsten Wirkungsstätte - unter großer Anteilnahme aus dem In- und Ausland beerdigt. Aus Anlass des 100. Todestags ist 2013 eine kompakte, gut lesbare Biografie des Historikers Jürgen Schmidt erschienen, die in acht Kapiteln Bebels Leben erzählt. Die Darstellung, die nicht auf eigenen Quellenstudien basiert, rekurriert dabei immer wieder auf den aktuellen Forschungsstand zur deutschen Sozialdemokratie im Kaiserreich. So wird letztere u.a. als Partei, die maßgebliche Impulse aus dem politischen Vereinswesen zog, als "soziale Bewegung, die im deutschen Kaiserreich nach Partizipation, Emanzipation und Anerkennung strebte" (8) und als männlich dominierte Sozialformation gekennzeichnet.
Bebel wird von Schmidt als ein "zoon politikon" (7) charakterisiert, dessen Weg in die Politik, sein Werdegang zum Berufspolitiker, die Biografie strukturiert. Dabei werden insbesondere in den ersten Kapiteln die historischen und biografischen Prozesse, die materiellen wie geistigen Voraussetzungen deutlich, die Bebels Karriere vom Waisenkind "am Rand der Unterschicht" (17) zum Handwerker und Unternehmer und schließlich zur sozialdemokratischen Führungspersönlichkeit ermöglichten.
Einen Schwerpunkt legt Schmidt auf Genderaspekte. So werden das "emanzipierte Ehepaar" Bebel (123) und der Familienmensch August, allgemein die Verknüpfung von Politik, Berufstätigkeit und Privatleben ausführlich thematisiert, Bebels "männlicher Feminismus" (231) diskutiert und sein Bestseller "Die Frau und der Sozialismus" (erstmals 1879) gewürdigt. Wer sich in der Literatur von und über Bebel etwas auskennt, erfährt allerdings wenig Neues. Auch huldigt der Autor etwas zu sehr dem Zeitgeist, wenn er resümiert: "Bebels gesamtes Arbeitsleben (war) von den Begriffen des Opfers, des Kampfes und der Hingabe für die Sache seiner Partei und ihrer Ideen geprägt. Es ist gut, wenn politisch engagierte Menschen nicht mehr diesem als männlich geltenden Aufopferungswahn verfallen. Aber für Bebel war sein Leben ein Leben für die Politik" (244).
"Eine Biografie Bebels ist [...] immer auch eine Einführung in die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert" (8f.), schreibt Schmidt und macht damit gleichzeitig auf ein strukturelles Problem nicht nur seiner Biographie aufmerksam: Neben dem übergroßen Bebel kommt kaum eine andere Person als Akteur oder Akteurin vor. Wäre es nicht an der Zeit, z.B. eine Geschichte des SPD-Parteivorstands als sozialer und politischer Formation zu schreiben? Als Einführung in die Biographie August Bebels, die die Entwicklungen und Widersprüche in seinem Leben und seiner politischen Praxis diskutiert und kontextualisiert, ist das Buch durchaus zu empfehlen.
Die Frage, wie sich Bebel bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs bezüglich der Bewilligung der Kriegskredite durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion verhalten hätte, wird von Schmidt zwar angesprochen (ohne dass er sich auf eine Hypothese festlegt), doch geht er bedauerlicherweise nicht auf das zweite zu besprechende Buch ein: eine erstmals 1975 publizierte Studie und kommentierte Quellenedition, die die Kontakte August Bebels mit dem britischen Honorarkonsul in Zürich, dem Schweizer Heinrich Angst, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zum Thema hat.
Ergänzt um ein aktuelles Vorwort des Autors Helmut Bley (ansonsten unverändert), ist das Buch 2014, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in zweiter Auflage erschienen. In seinem Vorwort betont Bley die innenpolitischen Verwerfungen und Machtkämpfe in Deutschland im Vorfeld des Ersten Weltkriegs, deren Bedeutung seines Erachtens in der neueren Literatur zum "Großen Krieg" nicht genügend oder gar nicht in den Blick genommen wird.
In den Jahren 1910 bis 1913 traf sich Bebel mehrfach mit Angst, um ihm - und auf diesem Wege indirekt dem britischen Foreign Office - seine Gedanken über die durch Deutschlands Aufrüstung drohende Kriegsgefahr mitzuteilen. Es war seine Absicht, die britische Regierung vor der Fehleinschätzung zu bewahren, dass die SPD einen deutschen Angriffskrieg verhindern könne; stattdessen sah er in einer forcierten Flottenrüstung Großbritanniens eine Möglichkeit der Kriegsvermeidung. Die Widersprüchlichkeit der Haltung Bebels (wie seiner Partei), die "tiefen inneren Konflikte zwischen aktuellen Lageanalysen und politischen Grundpositionen" (38), die Bley detailliert herausarbeitet, offenbarten sein Schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus in Bezug auf die Kriegsgefahr und seine Befürchtung, dass die deutsche Arbeiterbewegung im Konfliktfall der Aggressivität des preußisch-deutschen Systems nicht gewachsen sein würde. Eine auch heute noch mit Gewinn zu lesende Studie - es wäre zu wünschen, dass sie zu weiteren, transnational angelegten Untersuchungen über die Formen und Inhalte der politischen Kommunikation sozialistischer Parteien vor dem Ersten Weltkrieg anregt.
Ursula Reuter