Rezension über:

Jean Bérenger: Habsbourg et Ottomans (1520-1918) (= Champion Essais; 42), Paris: Editions Honoré Champion 2015, 359 S., ISBN 978-2-7453-2874-8, EUR 49,00
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Rezension von:
Karl Vocelka
Institut für Geschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Karl Vocelka: Rezension von: Jean Bérenger: Habsbourg et Ottomans (1520-1918), Paris: Editions Honoré Champion 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 2 [15.02.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/02/27624.html


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Jean Bérenger: Habsbourg et Ottomans (1520-1918)

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Der Doyen der französischen Historiker und Historikerinnen, die sich mit der Geschichte der Habsburgermonarchie beschäftigen, Jean Bérenger, hat sich in der letzten Zeit - etwa mit seinem Buch über den Frieden von Karlowitz 1699 - stärker dem Thema der Auseinandersetzungen zwischen der Donaumonarchie und den Osmanen zugewandt. Das neue Werk von ihm bietet einen knappen, aber gut gemachten Überblick zur Geschichte der Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburger Monarchie in der Neuzeit. Neben der Ereignisgeschichte werden auch der Aufstieg der beiden Reiche, die Herrscher und die Truppen, ihre Stärke und Zusammensetzung charakterisiert. Ein Aspekt der Darstellung ist besonders hervorzuheben, mit dem Bérenger auf sein spezielles Forschungsgebiet der Finanzgeschichte - über das er dissertierte und dann 1975, sowie vor kurzem unter dem Titel Les Habsbourg et l'argent de la Renaissance aux Lumières (2014) weitere Studien zu den habsburgischen Finanzen veröffentlichte - zurückkommt.

Unter Weglassung der spätmittelalterlichen Vorgeschichte, der Einfälle von tatarischen Streifscharen in der Habsburgermonarchie, beginnt das Buch mit dem Regierungsantritt des Sultans Süleyman (der, offensichtlich französischer Tradition folgend, immer Soliman genannt wird), und dann die Ereignisse seiner Regierung: die Eroberung von Belgrad 1521, dann die folgenreiche Schlacht von Mohács 1526, die als Geburtsstunde der Habsburgermonarchie gelten kann, die Belagerung Wiens 1529, der der Autor allerdings nur eine halbe Seite (!) widmet, der Feldzug von 1532, die Einnahme von Buda 1541 durch die Osmanen bis zum letzten Krieg und Tod Süleymans in Szigetvár 1566 werden dargestellt. Großen Wert legt Bérenger dabei auf die Truppenzahlen, die allerdings schwer korrekt festzustellen sind, da die Abgaben der Quellen oft weit auseinanderklaffen. Neben den Kriegsereignissen wird auch die Diplomatie berücksichtigt, die zu Waffenstillständen (bei Bérenger Friede, paix, nicht Waffenstillstand, armistice, genannt) führten, die allerdings dem Kleinkrieg an der Grenze keinen Abbruch taten.

Nicht nur die österreichischen, sondern auch die spanischen Habsburger kämpften gegen die Osmanen an der maritimen Front - ausgeblendet ist dabei der Krieg, den Karl V. in Nordafrika führte - besonders die politisch und militärisch nicht verwertete Niederlage der Osmanen in der Seeschlacht von Lepanto 1571 wird dabei hervorgehoben.

Der lange Türkenkrieg Kaiser Rudolfs II. (1593-1608) stellte nach einer längeren Periode relativen Friedens wieder eine größere militärische Aktion dar, die auch mit dem Versuch der Erwerbung Siebenbürgens durch den Kaiser und den Aufstand der Ungarn unter Stephan Bocskai zusammenfiel. Die Friedensschlüsse von Zsitvatorok mit den Osmanen bzw. Wien mit Bocskai 1606 beendeten diese Kriege. Gerade an der Behandlung des Friedens von Zsitvatorok, der als Wendepunkt der Beziehungen der beiden Großmächte gilt, sieht man, dass neuere Forschungen (János Barta, Karl Nehring, Ernst Dieter Petritsch) hier nicht einbezogen wurden, was auch allgemein (z.B. im Literaturverzeichnis) in diesem Werk feststellbar ist.

Die lange Ruhepause vor dem Krieg von 1664, in der durch kluge Diplomatie ein desaströser Zweifrontenkrieg der Habsburgermonarchie in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vermieden werden konnte, endete allerdings durch einen Konflikt um Siebenbürgen, dem Sieg des Kaisers bei Mogersdorf-St. Gotthard und dem übereilten Friedensschluss, der zu inneren Schwierigkeiten in Ungarn (Magnatenverschwörung) Anlass gab. Dem Wendepunkt der Zweiten Belagerung Wiens 1683 und dem Gegenschlag mit der Eroberung Ungarns wird großer Raum gewidmet, wobei man die Beziehung zum habsburgisch-französischen Konflikt stärker herausarbeiten hätte können. Wie bei der Betrachtung der Finanzen wird die Entwicklung der Armee und vor allem die Rolle des großen Feldherrn, Prinz Eugen, mit den strukturellen Gegebenheiten verbunden: Dem finanziellen und politischen Niedergang des Osmanischen Reiches stellt Bérenger den Aufstieg Österreichs - vor allem die Modernisierung der Finanzen und der Armee - gegenüber. Die Kriege von 1716-1718 und der für Karl VI. misslungene Krieg 1737-1739, bei dem die aufschlussreiche Monografie Karl A. Roiders (1972) nicht verarbeitet wurde, führen schon in die Problematik der beginnenden Balkanfrage, des langen 19. Jahrhunderts, in dem sich das Feindbild der Habsburgermonarchie vom "Erbfeind der Christenheit" auf Russland verlagerte.

Damit kommt Bérenger mit dem russisch-türkischen Krieg 1768-1774 und dem Krieg von 1787-1792 zur Orientfrage, die in der bisherigen Literatur nicht so klar dargestellt wurde, wie die vormodernen Konflikte. Der Krimkrieg, die Reformperiode des Tanzimat, die Orientkrise 1876-1878, die Okkupation Bosnien-Herzegowinas, die diplomatischen Beziehungen von 1881 bis 1908 (vor allem zwischen Österreich-Ungarn und Serbien), die Annexion Bosniens-Herzegowinas 1908, die Balkankriege und schließlich der Erste Weltkrieg werden auf knapp 50 Seiten behandelt.

Der Überblick zu den Beziehungen der beiden mächtigen Staaten, der in der conclusio nochmals kurz wiederholt wird, ist vorwiegend auf Ereignisgeschichte und Kriege - allerdings unter Einbeziehung struktureller Probleme - konzentriert, andere Themen, die in der Forschung zumindest seit den 1980er-Jahren eine Rolle spielten, kommen dagegen zu kurz: Die Mentalitätsgeschichte des Konflikts, die "Türkenfurcht" und die Propaganda, ebenso wie die Rolle Frankreichs als Verbündeter des Osmanischen Reiches, die kulturellen Beziehungen oder das die beiden Staaten verbindende Nationalitätenproblem im langen 19. Jahrhundert sind bestenfalls in einem Halbsatz erwähnt. Auch die Diplomatie mit ihren vielen, nicht nur politisch, sondern auch kulturell wichtigen Gesandtschaften und deren Reiseberichte sind kaum präsent. Um nur ein Beispiel zu nennen: Augier Ghislain de Busbecq, der viele neue Pflanzen, wie Tulpen und Levkojen, nach Wien brachte und unter anderem das Monumentum Ancyranum, die res gestae Divi Augusti in Ankara entdeckte, wird in diesem Buch nicht einmal erwähnt.

Alles in allem bietet das Buch einen guten Überblick über die äußere Geschichte der Beziehungen der beiden Staaten, der allerdings durch die Konzentration auf die politischen Fragen manche Ansätze der neueren Forschung, die der Kulturgeschichte der beiden Staaten eine neue Dimension geben, vernachlässigt.

Karl Vocelka