Hans Hettler: Preußen als Kreuzzugsregion. Untersuchungen zu Peter von Dusburgs Chronica terre Prussie in Zeit und Umfeld, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2014, 738 S., ISBN 978-3-631-65098-1, EUR 112,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die umfangreiche Studie von Hans Hettler zur Chronik des Preußenlandes von Peter von Dusburg ist mehr als berechtigt, zumal die Chronik, ein Auftragswerk der Ordensleitung in einer Zeit der Bedrohung, nicht nur die wichtigste Quelle zur Eroberung des Preußenlandes durch den Deutschen Orden bis in das 14. Jahrhundert darstellt, sondern auch maßgeblich zur Formierung des Selbstverständnisses des Ritterordens beigetragen hat. [1] Daher wäre eine detaillierte Untersuchung dieser Chronik ein Desiderat der Forschung, die diese auch hinsichtlich literarischer Traditionen und Abhängigkeiten untersuchen sollte.
Auf über 700 Seiten und mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat spürt der promovierte Naturwissenschaftler Hettler in 46 Kapiteln der Ordengeschichte im 13. Jahrhundert bis 1326 und dem Chronisten Peter von Dusburg nach und will "möglichst genau auf diese Stimme hören" (698). In der Fokussierung auf den Text gelingen Hettler immer wieder gute und treffende Einsichten in die immanente Struktur und Aussageabsicht der lateinischen Chronik. Gerade in seiner Zusammenfassung arbeitet Hettler wichtige Strukturelemente der Chronik, wie die theologisierte Herrschaftbegründung des Ordens oder die Memorialfunktion der Chronik, prägnant heraus. Diese Erkenntnisse sind aber nicht sämtlich neu, wie eine Durchsicht der älteren Standardliteratur deutlich zeigt.
Besonders unglücklich scheint es, dass Hettler im Publikationsjahr 2014 den Literaturstand von 2009 und diesen auch nur unzureichend abbildet. [2] Das kurze und durchaus nicht fehlerfreie Literaturverzeichnis wie auch der Gesamttext der Studie verzeichnen keinerlei polnische Titel, die aber relevant und verfügbar gewesen wären. Auch deutschsprachige Beiträge polnischer Autoren wie von Stefan Kwiatkowski (nur ein Titel), Janusz Trupinda und Jarosław Wenta (beide offenbar unbekannt) werden ausgeblendet. Auch die nicht unumstrittene Neuedition der Chronik Peters von Dusburg durch Wenta kennt Hettler nicht. [3]
Die Literaturauswahl zeugt nicht von einer systematischen Erfassung des Forschungsstandes, sondern weist eine gewisse Beliebigkeit auf. Wichtige Studien stehen kommentarlos neben populärwissenschaftlichen Darstellungen. Eine systematische und kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung findet in Hettlers Studie nicht statt. So erscheinen auch manche Urteile schon in der Einleitung schief (15f.), gerade dann, wenn Hettler "die große Linie zeichnen will" (35f.). Spekulatives und Allgemeingut stehen neben tieferen Einsichten. Wichtige Fragen der bisherigen Forschung, wie die nach dem Publikum einer lateinischen Chronik in einem von illiteraten Ritterbrüdern dominierten Orden, der Herkunft Peters von Dusburg, der geringen zeitgenössischen Rezeption oder der Beziehung zur ostmittelhochdeutschen Übertragung durch Nikolaus von Jeroschin, bleiben weitgehend ausgeblendet oder werden nur angerissen, ohne eine befriedigende Antwort zu finden.
Auch Parallelen zur "Kreuzzugsliteratur" oder zu Schriften Bernhards von Clairvaux (32f.) werden oftmals behauptet, die Rezeption aber nicht nachgewiesen. Dabei sind die Ansätze in der Studie teilweise vielversprechend: so die zeitbedingte Begründung der Abfassung, die Suche nach literarischen Vorgängern in der Ordensgeschichte, der soziologisch inspirierte Zugang zu den Ordensbrüdern (leider aber ohne tragfähiges sozialwissenschaftliches Modell), der Blick auf langfristige Entwicklungen wie zum Beispiel die Genese der Idee vom gerechten Krieg (aber erneut ohne die Rezeption Bernhards nachzuweisen), der Vergleich mit dem Templerorden, die paraphrasierende Untersuchung der Waffenallegorese, die Frage nach dem Vorbild der Makkabäer, die Idee der marianischen Ritterschaft oder die Frage nach der rechtlichen Situation des Ordens in Preußen und ihrer Bedeutung für die Chronik.
Die Erwartungen des Vorworts erfüllt Hettler nicht. Er schreibt keine neue Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen bis 1326; er schreibt auch nicht "ohne die Scheuklappen der Fachmediävistik" (5), was das auch immer sein mag. Das Wechselspiel aus ironischer Distanz und würdigender Nähe zum Orden und seiner "Ideologie" lässt eine gewisse Persistenz in der Anlage der Studie vermissen. Es sind die fehlende Entschlossenheit der vorliegenden Studie, die Ansätze und Fragestellungen, die das Werk und die Forschung bieten, konsequent zu bearbeiten, sowie die handwerklichen Mängel, die eine gewinnbringende Lektüre verhindern.
Anmerkungen:
[1] Marcus Wüst: Studien zum Selbstverständnis des Deutschen Ordens im Mittelalter, Weimar 2013, besonders 67-87.
[2] Zum Forschungsstand zur Chronik vgl. ders.: Zur Entstehung und Rezeption der "Chronik des Preußenlandes" Peters von Dusburg, in: Bernhart Jähnig / Arno Mentzel-Reuters (Hgg.): Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden, Stuttgart 2014, 197-209.
[3] Jarosław Wenta / Sławomir Wyszomirski (Hgg.): Petrus de Dusburgk. Chronica terrae Prussiae / Piotr z Dusburga. Kronika ziemi pruskiej, Kraków 2007 (Monumenta Poloniae Historica. Seria II; 13).
Marcus Wüst