Rezension über:

Werner Vogel (Bearb.): Die "Blutbibel" des Friedrich Freiherr von der Trenck (1727-1794). Bearbeitet und eingeleitet von Werner Vogel (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 69), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 325 S., ISBN 978-3-412-22213-0, EUR 44,90
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Rezension von:
Arndt Schreiber
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Arndt Schreiber: Rezension von: Werner Vogel (Bearb.): Die "Blutbibel" des Friedrich Freiherr von der Trenck (1727-1794). Bearbeitet und eingeleitet von Werner Vogel, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4 [15.04.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/04/26567.html


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Werner Vogel (Bearb.): Die "Blutbibel" des Friedrich Freiherr von der Trenck (1727-1794)

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Friedrich Freiherr von der Trenck - laut dem Einband der vorliegenden Edition "eine der schillerndsten Gestalten des 18. Jahrhunderts" - wurde am 16. Februar 1727 als Sohn des preußischen Obristleutnants Christian Ehrenreich (1677-1740) in Neuhaldensleben geboren. Seine militärische Laufbahn begann im Sommer 1744 als Kornett beim Garde du Corps in Berlin, bereits im Jahr darauf nahm er an den Kämpfen des Zweiten Schlesischen Krieges teil. Wegen der gleichzeitigen Korrespondenz mit seinem Vetter, dem auf österreichischer Seite dienenden Pandurenobristen Franz von der Trenck (1711-1749), wurde der junge Baron des Landesverrats verdächtigt und deshalb ab Ende Juni 1745 auf der Festung Glatz inhaftiert. Schon drei Monate später gelang ihm zusammen mit dem wachhabenden Leutnant jedoch die Flucht. Ein Kriegsgericht verurteilte den Deserteur daraufhin am 12. April 1747 nicht nur zum Verlust "aller Ehren und Würden", sondern zog auch sein Vermögen ein. Friedrich wandte sich zunächst nach Russland, bis er nach dem Tod seines Vetters Franz dessen Güter in Österreich erbte. Im Jahr 1750 begnadigte ihn König Friedrich II. von Preußen schließlich unter der ausdrücklichen Bedingung, dass sich Trenck in der Heimat ruhig verhalte und der Armee für alle Zeit fernbleibe. Entgegen seiner Zusage begab er sich aber als Rittmeister eines ungarischen Kürassierregiments in habsburgische Kriegsdienste, was am 9. Juli 1754 erneut zu seiner Verhaftung führte, weil sich Trenck mit seinen Verwandten in Danzig getroffen hatte, um den Nachlass der 1753 verstorbenen Mutter zu regeln. Man sperrte ihn zuerst in Spandau, dann in der Festung Magdeburg ein. Nach mehreren missglückten Fluchtversuchen des Abenteurers verwandelten die Richter das frühere Urteil Anfang August 1756 in eine lebenslange Gefängnisstrafe. Erst im Dezember 1763 kam er aufgrund einer erfolgreichen Interzession der Kaiserin Maria Theresia wieder frei. Friedrich von der Trenck heiratete 1765 die Tochter eines ehemaligen Aachener Bürgermeisters, verreiste oft und lebte in den Jahren 1780 bis 1792 als Landwirt und Schriftsteller auf seinen österreichischen Besitzungen. Sein ostpreußisches Stammgut Groß Scharlack wurde ihm dagegen auch nach dem Ableben Friedrichs II. nicht restituiert. Als er zuletzt das revolutionäre Frankreich besuchte, geriet der Adlige dort unter den Verdacht der Spionage. Am 25. Juli 1794 endete sein turbulentes Leben deswegen unter dem Fallbeil einer Pariser Guillotine.

Über die Anzahl und Entstehungszeit der "Blutbibeln" Friedrichs von der Trenck liegen immer noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Ihr Autor erwähnt in seiner 1787 veröffentlichen "Lebensgeschichte" [1] acht Bände, von denen bislang allerdings nicht mehr als drei nachgewiesen werden konnten. Das im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrte und nunmehr edierte Exemplar gehörte einst der Familie. Es besteht aus zwei zusammengebundenen zeitgenössischen Drucken des durch Martin Luther übersetzten Alten und Neuen Testaments, die beide von zahlreichen Leerblättern durchschossen sind. Diese Seiten versah der Freiherr vermutlich während seiner Magdeburger Festungshaft mit handschriftlichen Notizen und Zeichnungen. Hierfür verwendete er tatsächlich größtenteils menschliches Blut, ob es sich dabei - wie von Trenck behauptet - wirklich um sein eigenes handelte, wird erst eine gründliche DNA-Analyse klären können.

Die durch den langjährigen Direktor des Geheimen Staatsarchivs besorgte Edition musste das in der Berliner "Blutbibel" überlieferte "Bildmaterial mit den zugehörigen Texten [...] aufgrund des Umfangs" (17) leider unberücksichtigt lassen. Eine Auswahl der Zeichnungen soll aber im Rahmen einer Studie der Literaturwissenschaftlerin Sibylle Penkert im Peter Lang Verlag erscheinen. Auch die durch den Herausgeber festgelegte Reihenfolge der Transkriptionen entspricht nicht dem Original. Die in ihrem Charakter sehr unterschiedlichen Trenck-Texte wurden stattdessen jeweils einem von drei Teilen zugeordnet, die Vogel vorrangig nach gattungsspezifischen Kriterien gebildet hat.

Der erste Teil (23-113) enthält allein Friedrich von der Trencks "Warhafte auf Ehre, Gewißen und allen erforderlichen Beweiß gegründete Nachricht von dem eigentlichen Ursprunge und Zusammenhange meines grausamen Unglücks", die als Selbstzeugnis weitgehend der verbreiteten Praxis autobiografischen Schreibens folgt, obwohl der Autor in seiner Vorrede insistiert, hiermit keinen klassischen Lebenslauf, "sondern nur eine Art von Schutzschrift zu Papier" gebracht zu haben, um deren Lesern zu zeigen, "wie ohnverschuldet" er "in dieses fürchterliche Labyrinth" (23) gestürzt worden sei. Seine wahrscheinlich nicht immer ganz der Wahrheit verpflichtete Darstellung der Dinge, die konsequent mit 26 "Defensions Argumenta" (93) schließt, gewährt dennoch viele interessante Einblicke in das Adelsleben, den Hofalltag, das Militärwesen, die Rechtsprechung, den Strafvollzug und die Verwaltungstätigkeit im Königreich Preußen bzw. in der Habsburgermonarchie um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Die Gruppe "Erzählungen und Gedichte" des zweiten Teils (117-292) versammelt vor allem jene Einträge aus der "Blutbibel", mit denen sich Trenck als Gelegenheitslyriker präsentiert. Das Spektrum reicht dabei von einigen kürzeren Braten-, Dedikations-, Tauf-, Trauer- und Scherzgedichten bis zu einer "Aria Des Herrn Major von Mops bey Betrachtung seines Stockes, da er just in seinem Wolstande mit entzückender Wollust einige Musquetier blau geschlagen hatte" (288-290). Die "Aufrichtig wolgemeynte Lebens und Verhaltungs Vorschrift" des Freiherrn für seinen nicht näher genannten Neffen von Waldau (157-275) passt dagegen überhaupt nicht in diesen Abschnitt. Vielmehr handelt es sich bei diesem mit Abstand umfangreichsten Text der Edition um einen adelstypischen Erziehungsleitfaden, der dem jugendlichen Adressaten gängige Normen und praktische Ratschläge zu vermitteln sucht.

Einen Höhepunkt des Buches stellen zweifellos die "Trenck-Bibelkommentare" im dritten Teil (293-316) dar. Sie stehen im Original entweder zwischen den gedruckten Zeilen oder auf den Seitenrändern. In ihnen setzt sich der Baron recht kritisch mit der Heiligen Schrift, den Theologen, der Kirche und dem Klerus auseinander. Wiederholt treten darum Bemerkungen wie etwa "falscher tittel" (293), "fantasey" (293), "lächerlich" (294), "Du lügst" (295), "ist falsch ausgelegt und nicht eingetroffen" (298) oder "also total unmöglich" (307) auf. Einige Notizen fallen etwas länger aus und verweisen oft auf andere Bibelstellen. Alle diese Kommentare reflektieren indes auf ihre eigene Art, auf welche Weise das Gedankengut der Aufklärung die Bibelrezeption durch Laien schon um 1760 zu beeinflussen vermochte, auch wenn eine Figur wie Friedrich von der Trenck für jene Zeit sicherlich nicht als repräsentativ anzusehen ist.

Die zwölfseitige Einleitung Werner Vogels beschränkt sich leider auf das editorisch unbedingt Notwendige. Hier wären doch einige Hinweise auf Felder der historischen Forschung (zum Beispiel die Adels-, Militär- und Kriminalitätsgeschichte) sowie der Literaturwissenschaft angebracht gewesen, die von der Auswertung dieser bedeutenden Quelle profitieren können. Dem Verdienst, wenigstens eine der "Blutbibeln" Trencks samt einem übersichtlichen Orts- und Personenregister nicht nur dem Fachpublikum zugänglich gemacht zu haben, tut dies zum Glück keinen ernsthaften Abbruch.


Anmerkung:

[1] Friedrich Freyherrn von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte, 3 Bände, Berlin 1787.

Arndt Schreiber