Frank Uekötter: Deutschland in Grün. Eine zwiespältige Erfolgsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 294 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-30057-2, EUR 30,00
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Deutschland, der Musterschüler des Umweltschutzes? Diese Einschätzung begegnet einem seit einigen Jahren immer häufiger, vor allem im angloamerikanischen Raum, in dem sich weder Recycling noch Jutebeutel flächendeckend durchgesetzt haben. Atomausstieg, Energiewende, Mülltrennung und ökologische Landwirtschaft - in diesen Bereichen hat Deutschland dank eines überparteilichen und breiten gesellschaftlichen Konsenses eine Vorreiterrolle inne. Dass dieser Zustand keinesfalls selbsterklärend, geschweige denn vorhersehbar war, zeigt der Historiker Frank Uekötter in "Deutschland in Grün", seiner "zwiespältigen Erfolgsgeschichte" des Ökologischen - wobei der Begriff "des Ökologischen" als deutsche Übersetzung des englischen Ausdrucks "environmentalism" dient.
Uekötter durchschreitet in zwölf Kapiteln zügig und durchweg kurzweilig die umweltpolitischen Veränderungen in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Im Vergleich mit den Entwicklungen in anderen westlichen Nationen, vor allem den USA und Großbritannien, gelingt es Uekötter, deutsche Spezifika und industriegesellschaftliche Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und plausibel zu erklären. Dabei beschreibt er auch die besonderen Herausforderungen des Umweltschutzes in den politischen Strukturen der DDR und betont die Bedeutung der 1980er Jahre für den Ausbau des Umweltschutzes in der Bundesrepublik - hier wurde ein "bundesdeutscher Sonderweg" beschritten. Darüber hinaus geht er auf wesentliche Ereignisse und Dynamiken in der internationalen Umweltpolitik ein und markiert zwei Globalisierungsschübe (1945-1973 und 1987-1992).
Unterbrochen wird dieser chronologische Aufbau durch drei Kapitel, in denen Uekötter sich grundsätzlichen Fragen der Geschichte des Ökologischen im 20. Jahrhundert widmet. Wie erklärt man überhaupt den Aufstieg der Umweltbewegung? "Was sagt die deutsche Umweltgeschichte eigentlich über die deutsche Geschichte aus?" (26), und welchen Gesetzmäßigkeiten, Zufällen und Dynamiken unterlagen die Konjunkturen des Ökologischen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene? Es sind diese Fragen, die das Buch so lesenswert machen.
Den Ursachen des Aufstiegs der Umweltbewegungen widmet Uekötter das Kapitel "Zwischenbetrachtungen". Dort trägt er neun unterschiedliche Ansätze zusammen, welche die "ökologische Revolution" in den westlichen Industrienationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert erklären sollen. Darunter befinden sich langfristige gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa der ökonomische Strukturwandel, der einen Bedeutungsverlust des industriellen Sektors einleitete, wodurch dieser - so die These - ohne großen Schaden und ohne Risiken kritisiert werden konnte. Uekötter betont aber auch strukturelle Elemente, die den Bedeutungszuwachs des Ökologischen begünstigt hätten: etwa die Möglichkeit, über den Ausbau der Umweltpolitik zusätzliche administrative Mittel zu generieren und politische Einflussmöglichkeiten neu zu sortieren; oder die neuen Beschäftigungsfelder, die sich aus der Entwicklung von Umwelttechnologien ergaben. Und auch aus der Deutung der siebziger Jahre als Krisenjahrzehnt ergebe sich ein spezifischer Erklärungsansatz: Angesichts von Ratlosigkeit und Zukunftsangst sei Umweltpolitik von den politischen Akteuren als ein Feld mit "konkreten Lösungen und vertretbaren Kosten" (145) entdeckt worden.
Uekötter distanziert sich dabei bewusst von einem verbreiteten Erklärungsansatz für den Aufstieg der Umweltbewegung. Immer wieder kritisiert er die teilweise explizite, noch viel häufiger aber implizite Annahme, Umweltschutz hätte sich als Konzept und politisches Feld durchgesetzt, weil der Problemdruck besonders hoch und die Zeit somit "reif" gewesen sei. Die Vorstellung, dass nichts so mächtig sei wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, funktioniert zwar als politische Mobilisierungsstrategie - ersetzt aber nicht die spezifische Historisierung. Mit seiner Absage an ein solches Deutungsmuster verbindet Uekötter programmatische Überlegungen, die seine Darstellung rahmen. Zu oft werde die Geschichte des Ökologischen von ihrer aktuellen Hegemonialität aus gedacht. Auf diese Weise hätte sich in der Umweltgeschichte ein "eingleisiges Fortschrittsnarrativ" (12) etabliert, das diese Erzählung zu einer säkularen Aufstiegsgeschichte verforme. Damit sei der Blick verstellt auf den eigentlich relevanten Untersuchungsgegenstand: den "historisch kontingenten" (24) gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, dessen Ergebnis die heutige Vormachtstellung der Umweltpolitik ist.
Zwei Einwände scheinen angebracht. Zum einen trifft auch Uekötter das Schicksal all jener Historiker, die sich in die jüngste Zeitgeschichte vorwagen: Die Haltbarkeit mancher Interpretationen ist begrenzt. Er beendet seine Darstellung auf einer recht pessimistischen Note und beklagt, dass die zahlreichen Umweltgipfel der letzten beiden Jahrzehnte zunehmend wie eine "Beschäftigungstherapie für Diplomaten" (176) wirkten, so dass "bei den großen Fragen die globale Politik vor allem endlose Verhandlungen und schwache Kompromisse" biete (224). Angesichts der überschaubaren, aber doch signifikanten Fortschritte, die im Dezember 2015 auf der UN-Klimakonferenz gemacht wurden, wird dieses Urteil zumindest durch die jüngste Entwicklungen in Frage gestellt - nicht etwa, weil eine erfolgreiche Konferenz alle vorherigen gescheiterten Versuche vergessen ließe, sondern weil diese Deutung die vorher stattgefundenen Lernprozesse übersieht und ihren Wert unterschätzt.
Zum anderen erklärt Uekötter sowohl den "Boom grüner Themen" in der BRD in den 1980er Jahren als auch den Durchbruch der internationalen Umweltpolitik 1992 auf der UN-Konferenz in Rio mit dem Hinweis auf ein "Vakuum" in der politischen Gesamtlage. In der Bundesrepublik der 1980er Jahre sei es die vorherige "Agonie der sozialliberalen Koalition" (152) gewesen, die eine solche politische Leerstelle produziert habe. Im zweiten Fall sei ein Vakuum entstanden, in dem die internationale Politik nicht mehr vom Kalten Krieg und noch nicht von der Neoliberalisierung der Weltwirtschaft geprägt worden sei. In beiden Fällen seien grüne Themen nach oben gespült worden und hätten so eine Hochkonjunktur des Ökologischen eingeleitet. Für diesen Erklärungsansatz spricht, dass er die Konjunkturen umweltpolitischer Themen nicht mehr aus der ihnen inhärenten Bedeutung heraus erklärt - ganz im Sinne der eingangs formulierten methodischen Programmatik. Dagegen sprechen jedoch zwei Aspekte. Zum einen kommen auch hier Machtkalküle und die Instrumentalisierung von umweltpolitischen Themen zu kurz, für deren Berücksichtigung Uekötter eingangs plädiert hatte. Zum anderen steht diese Deutung in einer auffälligen, nicht weiter reflektierten Spannung zu einem anderen wichtigen Erklärungsmuster des Buches: der Überlegung nämlich, dass Umweltpolitik gerade dann Konjunktur habe, wenn die politische Großwetterlage besonders angespannt sei - eigne sich Umweltschutz doch besonders gut als Ausweichthema, wie das etwa in den krisengeschüttelten siebziger Jahren der Fall gewesen sei.
Am Gesamteindruck aber können diese Einwände nichts ändern. Denn ausgehend von seinen methodischen Grundüberlegungen gelingt es Uekötter, die deutsche Umweltgeschichte sowohl für die interessierte Öffentlichkeit als auch für ein Fachpublikum neu zu betrachten und anregend darzustellen. "Deutschland in Grün" ist in seinem intellektuell offenen Streben nach Erkenntnisgewinn, der Lust an der sprachlichen Darstellung und aufgrund der konzentrierten methodischen Überlegungen durchweg inspirierend und lesenswert.
Ella Müller