Philippe Malgouyres: Le bouclier avec Milon de Crotone d'Antonio del Pollaiuolo (= Collection SOLO), Paris: Somogy éditions d'art 2015, 55 S., 22 Farbabb., ISBN 978-2-7572-1026-0, EUR 9,70
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Seit 1996 widmet der Louvre einzelnen Werken seines reichen Bestands handliche und überaus erschwingliche Monografien. Collection Solo heißt die Reihe, die dazu beitragen soll, einzelne Objekte aus den verschiedenen Abteilungen - von den antiquités égyptiennes bis zu den sculptures - in ihren politischen, sozialen wie kulturellen Kontexten, ihren ikonografischen Eigenheiten und nicht zuletzt mit Blick auf ihre Schöpfer vorzustellen. Einer der jüngst erschienenen Bände behandelt einen Schild mit einer Darstellung des Milon von Kroton, jenes erfolgreichen griechischen Ringkämpfers, der im Versuch, einen Baum zu spalten, von diesem gefangen genommen und, seiner legendären Kraft beraubt, von Wölfen getötet worden sei (34-37). Zwar wird dieser Schild längst mit Antonio del Pollaiuolo (1433-1498) in Verbindung gebracht, doch findet er in Abhandlungen über den Florentiner Künstler nur selten Erwähnung (7).
Die ungewöhnliche Schutzwaffe ist heute Teil des Département des Objets d'Art. Was genau ein Objekt zu einem objet d'art und damit zu einem potentiellen Vertreter dieser Abteilung macht, so gibt Philippe Malgouyres einleitend zu bedenken, sei nicht immer leicht zu sagen. Vielmehr müsse dazu die "conjonction particulière entre forme fonctionnelle, réalisation matérielle, usage réel et symbolique, valeur et décor, commande unique ou production sérielle" stets neu hinterfragt werden (7). Mit dieser programmatischen Annäherung an die objets d'art sind bereits jene Fragen angesprochen, die auch durch den Schild Pollaiuolos aufgeworfen werden und denen der Autor im Folgenden weiter nachgeht.
Der gegenwärtig gute Zustand des Schildes verdankt sich einer Restaurierung, die zwischen 2011 und 2014 wissenschaftlich vorbereitet und durchgeführt wurde (8). Im ebenfalls von Malgouyres verfassten Katalog der Waffensammlung, der 2014 in den Louvre éditions erschienen ist, konnten die Ergebnisse dieser umfassenden Untersuchung des Objekts nur partiell berücksichtigt werden; hier ist lediglich eine Abbildung integriert, die den Schild während der Restaurierung zeigt. [1] Umso mehr ist die monografische Behandlung des Objekts innerhalb der Collection Solo zu begrüßen. Die eingehende Besprechung des Schildes durch Aldo Rossi im Ausstellungskatalog Antonio e Piero del Pollaiolo: 'Nell'argento e nell'oro, in pittura e nel bronzo...' (ebenfalls 2014), in der neben Provenienz, Zuschreibung und Ikonografie auch die Identifikation des Wappens im Hintergrund der Hauptfigur zur Diskussion steht, bot hierfür eine wichtige Vorarbeit. [2] Auf insgesamt 55 Seiten vermag es Malgouyres jedoch, die Verortung des Objekts in seinen historischen wie künstlerischen Kontexten zu vertiefen und seine Sonderrolle als objet d'art stärker zu beleuchten.
Zunächst werden die unterschiedlichen Stationen des Schildes von Florenz über London nach Paris nachgezeichnet und die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durchgängig belegten Besitzverhältnisse aufgedeckt. Deutlich zeigt sich so, dass die Schutzwaffe nicht als Teil einer Rüstkammer oder als Exponent einer wichtigen Etappe der Militärgeschichte in den Louvre gelangt ist, sondern aufgrund ihrer ästhetischen Qualitäten. [3] Schon bei der Ausstellung des Schildes in der Badger Hall in Shifnal/England Ende des 19. Jahrhunderts, die anhand von historischen Fotografien belegt wird, standen diese Eigenschaften im Vordergrund: Das Objekt erschien hier inmitten von Tafelbildern und plastischen Bildwerken der Frühen Neuzeit (12-13).
Im Jahr 1922, als der Schild durch eine Schenkung des Pariser Antiquars Godefroy Brauer in den Besitz des Louvre gelangte, galt das Objekt bereits als ein Werk Antonio del Pollaiuolos (14). Diese Zuschreibung kann Malgouyres durch den Vergleich mit dem Stuckrelief Herkules und Cacus in der Villa Guicciardini von Florenz zwar bekräftigen (16, 19), doch merkt er zugleich an, dass der "caractère composite" des Schildes - "à la fois objet, peinture et sculpture" - zugleich eine Beteiligung verschiedener Künstler nahelege und somit offen bleiben müsse, ob Antonio del Pollaiuolo tatsächlich selbst die Figur Milons modelliert und die Landschaft im Hintergrund gemalt oder lediglich die Entwurfszeichnungen für beides geliefert habe (16-18). Bei dem Holzschild handele es sich jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit um ein seriell gefertigtes Massenprodukt, das durch die aufwendige und äußerst anfällige Gestaltung seinem ursprünglichen Gebrauchskontext - im Krieg oder bei Turnieren - enthoben wurde (21, 34). Bereits an diesem Punkt zeigt sich deutlich, wie sehr der Schild einem objet d'art nach der musealen Definition entspricht.
Der Schild mit Milon diente wohl nie der Abwehr von Lanzenstichen und Schwertschlägen, sondern von Anfang an als ein repräsentativer Bildträger. Die aus Holzleisten gebildete, konvexe Grundform wurde zunächst auf beiden Seiten mit Pergament überzogen. Eine Vielzahl von Nägeln, die von hinten durch den Holzträger getrieben wurden, bildeten dann die Grundlage für die Figur Milons und des ihn fesselnden Baumstammes, die auf der Vorderseite in einem Gemisch aus Stuck und Hanf oder Flachs modelliert sind. In einem letzten Schritt wurden beide vollständig mit Gold überzogen, sodass der antike Athlet wie eine Bronzefigur erscheint (28). Bis zur Restaurierung waren die flachen Partien der Schildvorderseite durch eine einheitliche, schwarze Bemalung bestimmt. Erst die Entfernung dieser zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgetragenen Farbschicht hat die polychrome Gestaltung in diesem Bereich wieder aufgedeckt, die dem Schild zusätzlich zu seinem plastisch hervortretenden Relief eine malerisch erzeugte Tiefendimension verleiht: Hinter Milons aufrechter Gestalt erstreckt sich eine Wiese, die von blauem Himmel überfangen wird, rechts neben ihm ist ein weiterer Baumstumpf auszumachen, an dem ein Wappenschild hängt.
Wer aber ließ ein solch kostbares Objekt anfertigen und aus welchem Grund? Schon im Mailänder Ausstellungskatalog von 2014 konnte der Wappenschild, welcher im Zuge der Restaurierung zum Vorschein gekommen ist, mit dem sienesischen Zweig der Landucci-Familie und konkreter noch mit Bartolomeo di Landucci di Marco (*1431) in Verbindung gebracht werden. [4] Dieser Spur geht Malgouyres weiter nach. Bartolomeo di Landuccis politisches Engangement fällt in jene Zeit, da Siena in einem spannungsreichen Verhältnis zu Florenz stand: 1479 konnten die Sienesen mit Unterstützung Alfons II. von Neapel die Florentiner in Poggio Imperiale besiegen, was im Juni 1480 durch einen festlichen Empfang des neapolitanischen Thronfolgers gefeiert wurde. In diesem Zusammenhang wurden auch vier Sienesen, darunter Bartolomeo di Landucci, in der Kathedrale zum Ritter geschlagen. Es ist gut möglich, dass sich aus diesen Ereignissen auch der Anlass für den Auftrag zur Anfertigung oder den Ankauf des Schildes ergab (42-43). Das gewählte Bildprogramm mit der umlaufenden, Gold hinterlegten Inschrift, die dazu anhält, die eigene Kraft nicht zu überschätzen, ist laut Malgouyres dabei als eine an den Gegner gerichtete Botschaft zu verstehen (38) - oder, dies wäre ebenfalls denkbar, als ein selbst auferlegtes Gebot des Schildträgers.
Die genauere Einordnung im Sieneser Umfeld der 1480er-Jahre macht die bisher angenommene Datierung des Schildes auf die Jahre zwischen 1460 und 1475 hinfällig (18). Doch dies stellt nur eines der Ergebnisse der schmalen Monografie dar. Durch die genaue Herleitung der Schildform von antiken Prototypen und den Vergleich mit weiteren Exemplaren des 15. Jahrhunderts (30-34), darunter der berühmte Schild Andrea del Castagnos aus der National Gallery in Washington und der kaum berücksichtigte Schild Francesco Francias mit einer Darstellung des Hl. Georg im Museo Civico Medievale von Bologna (39-41), trägt Malgouyres maßgeblich zur Rekonstruktion dieser für das 15. Jahrhundert so bedeutenden Art von Schilden bei. Zugleich werden Aspekte angesprochen, wie etwa die Semantik des Bildträgers, das Verhältnis der figürlichen Darstellung zu seiner Form und Wölbung oder auch die Schwierigkeit einer eindeutigen Zuordnung zu einem bestimmten musealen Bereich, die generell für eine Beschäftigung mit den kostbar gestalteten Schilden der Frühen Neuzeit zentral sind.
Anmerkungen:
[1] Philippe Malgouyres: Armes européennes. Histoire d'une collection au musée du Louvre, Paris 2014, 41.
[2] Aldo Galli, Kat. 7, in: Andrea Di Lorenzo / Aldo Galli (Hgg.): Antonio e Piero del Pollaiolo: 'Nel argento e nell'oro, in pittura e nel bronzo...', Ausst.-Kat., Mailand 2014, 168-173.
[3] Dies trifft auch auf viele andere Militaria aus dem Département des Objets d'Art zu. Vgl. Malgouyres 2014, 9.
[4] Galli 2014, 170.
Julia Saviello