Rezension über:

Vassa Kontouma: John of Damascus. New Studies on his Life and Works (= Variorum Collected Studies Series; 1053), Aldershot: Ashgate 2015, XXV + 286 S., ISBN 978-1-4094-4637-8, GBP 85,00
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Rezension von:
Robert Volk
Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für gräzistische und byzantinistische Studien, München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Robert Volk: Rezension von: Vassa Kontouma: John of Damascus. New Studies on his Life and Works, Aldershot: Ashgate 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/27766.html


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Vassa Kontouma: John of Damascus

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In diesem Sammelband werden zehn verstreute Veröffentlichungen der Autorin (Jahrgang 1967) aus den Jahren 1995 bis 2011, die teilweise auch unter den Namen V. Contoumas-Conticello, V. Conticello und V. Kontouma-Conticello erschienen sind (vgl. XVI), in meist überarbeiteten, teilweise ins Englische übersetzten Nachdrucken zugänglich gemacht. Angeordnet sind sie nach vier Gesichtspunkten: 1) The life of John of Damascus and its sources (Teil I-II); 2) Neochalcedonian philosophy (Teil III); 3) Systematic theology (Teil IV-VI); 4) Christian practices under the Umayyads (Teil VII-X). Vorausgeschickt werden eine Danksagung und eine Einführung, jeweils in englischer und französischer Sprache (IX-XXII), ein Abkürzungsverzeichnis (XXIII-XXIV) und eine kurze Bibliographie (XXIV-XXV).

1989, bei der ersten Annäherung an das Werk des Johannes Damascenus, erschien selbiges der Autorin wie ein weiter Kontinent, der allerdings - wie 700 damals schon existierende Publikationen darüber (Editionen und Sekundärliteratur) vermuten ließen - bereits erschlossen war (vgl. XI). Doch schon bald störte sie sich an der Behauptung moderner Philologen, dass die Pege Gnoseos des Johannes nur eine Kompilation sei: "I found that philological criticism had unintentionally ruined a monument whose authority had not been challenged for many centuries, by insisting that the Fount of knowledge was basically a miscellany" (XI). In diesem Zusammenhang gelang ihr mit absoluter Sicherheit der Nachweis, dass die noch in der kritischen Ausgabe Kotters (1973) als vermeintliche und sogar umfangreichste Quelle der Expositio fidei (ein Bestandteil der Pege Gnoseos) genannte Schrift De Trinitate des sog. Pseudo-Kyrill von Alexandrien in Wirklichkeit keineswegs vor Johannes Damascenus entstanden ist. Im Quellenapparat der Expositio fidei erscheint vielmehr ein Teil der Enzyklopädie des Joseph Philosophus oder Rhakendytes (gestorben ca. 1330), der aufgrund einer titellosen unvollständigen Handschrift 1604 vom Herausgeber J. Wegelin zu einem zweifelhaften Kyrill-Text erklärt wurde; er basiert jedoch auf Johannes Damascenus' Expositio und Nikephoros Blemmydes (13. Jahrhundert), Sermo ad monachos suos. Diese Schlussfolgerungen wurden 1995 in dem Aufsatz publiziert, der hier unverändert als Teil IV nachgedruckt ist. Die Entdeckung dieses Kuriosums "revealed not merely that great scholars had reproduced an error for nearly a century: such is life, even in research" (XII), sondern gibt auch Anlass, Johannes Damascenus zumindest in trinitarischen Fragen als eigenständigen theologischen Denker anzuerkennen (vgl. XII), statt ihm mangelnde Originalität vorzuwerfen.

Mit dem 1. Buch der Pege Gnoseos - Dialektik oder auch nur Philosophische Kapitel genannt - befasst sich Teil III; es ist ein aktualisierter und erweiterter, in französischer Sprache belassener Abschnitt aus der 1996 verteidigten Dissertation der Autorin. Auch hier sieht sie Johannes von Damaskus aufgewertet: Die Dialektik sei nicht das zufällige Ergebnis von unbekümmert verfassten Kompilationen, sondern stelle den Höhepunkt einer ganzen Schule des Denkens dar, die als Neochalkedonismus bezeichnet werden könne (vgl. XIII).

1998-2006 hielt die Autorin verschiedene Seminare über die Expositio fidei und speziell ihren Aufbau. Daraus gingen die beiden Aufsätze hervor, die 2006 und 2009 publiziert wurden - der erste auf Italienisch, der zweite auf Französisch; sie erscheinen hier als Teile V und VI in englischer Übersetzung und sind grundlegend für jeden, der sich mit der Expositio und überhaupt mit der Pege Gnoseos befasst.

Die Schrift De sacris ieiuniis (CPG 8050) gilt allgemein als authentisches Werk des Johannes von Damaskus, das trotz seiner überschaubaren handschriftlichen Tradierung noch nicht kritisch ediert ist - das Editionsprojekt ist ja, gerade was die kleineren Werke angeht, auch noch nicht abgeschlossen. Die Autorin untersuchte diesen Text gründlich, was sich in den untereinander zusammenhängenden, ursprünglich 2004-2005 publizierten Teilen VII-IX der vorliegenden Sammlung niedergeschlagen hat. CPG 8050 besteht aus zwei Teilen, von denen nur der in der bisherigen Ausgabe erste - der Brief an den Mönch Kometas (PG 95, 64-72) - tatsächlich ein Werk des Johannes Damascenus ist, das sogar autobiographische Einsprengsel enthält. Das sich in der bisherigen Ausgabe anschließende Florilegium (PG 95, 73-77) über die Länge der Fastenzeit weicht von den Standpunkten des Johannes stark ab, es scheint als Anfrage an ihn geschickt worden zu sein, und der Brief an Kometas ist die Antwort darauf. Keineswegs ist dabei das Florilegium uninteressant; es enthält z. B. Fragmente des Severus von Antiocheia, die anderweitig verloren sind. Teil IX bietet eine französische Übersetzung dieses Florilegiums wie auch des Briefes an Kometas.

Im 19. und 20. Jahrhundert befassten sich katholische Gelehrte mit der Mariologie der Ostkirche; dies ist Thema des 2011 publizierten Artikels, der hier in englischer Übersetzung als Teil X nachgedruckt ist. Das Thema der Marienverehrung im Jerusalem des 7.-8. Jahrhunderts ist auch darin diskutiert, aber es ist - mit den Worten der Autorin in ihrer Einleitung (XVI) gesprochen - eher die Vorlage von Arbeitsmaterial und kein ausgearbeitetes Ergebnis.

Den gerade gestreiften theologisch-philosophischen Abhandlungen in diesem Band gehen zwei Beiträge (Teil I und II) voraus, die sich mit dem Leben des Johannes von Damaskus und seinen Quellen befassen. Der erste ist die aktualisierte und erweiterte englische Übersetzung des biographischen, viel Literatur beisteuernden und verarbeitenden Artikels im 3. Band des Dictionnaire des philosophes amtiques aus dem Jahr 2000. Vorgestellt werden darin die Werke des Damascenus sowie alle biographischen Quellen, die byzantinischen wie auch die orientalischen. Im Detail gibt es aber einiges anzumerken: Es existiert nur eine einzige georgische Johannes-Vita; sie ist von Ephrem Mtsire (gestorben vor 1103) aus einer verlorenen griechischen Übersetzung der arabischen Vita von 1085 gefertigt - eine auf S. 5 m. Anm. 20 genannte, direkt aus dem Arabischen übersetzte zweite georgische Vita gibt es nicht. Bezüglich der gemeinsamen Vita der beiden Kirchendichter Kosmas von Maiuma und Johannes von Damaskus (BHG 394) gibt Kontouma (11 m. Anm. 52) an, dass ihre öffentliche Verlesung später von der Kirche verboten wurde und zitiert eine dies angeblich belegende Randnotiz aus dem Cod. Chalc. Panag. 1 (a. 1360) fol. 108v - es ist aber wohl eher die Privatmeinung eines Lesers im 16. Jahrhundert, der vor diesem angeblich nichts Wahres enthaltenden Text warnt; er sei wie ein honigbestrichener Kelch, enthalte in seinem Inneren jedoch tödliches Gift. In der Tat wurde diese Doppelvita, die Kontouma in das Jahr 842-43 datiert, wegen ihrer zahlreichen Wunderberichte und der krassen chronologischen Unstimmigkeiten von der Forschung stets geringgeschätzt. Mindestens zwei als unediert bezeichnete Texte liegen schon seit längerem gedruckt vor: BHG 884a (20) ed. F. Kolovou 2002/03; BHG 394b (21) ed. Th. Detorakes 1981.

Wie die Frage nach dem Autor der verbreitetsten Vita des Johannes von Damaskus (BHG 884) gelöst werden soll, zeichnet sich schon in Teil I ab (18-19); Teil II - erstmals 2010 auf Französisch erschienen - ist dann ausschließlich diesem Problem gewidmet. Diesen Beitrag würde ich allerdings als ein risikofreudiges, hochspekulatives Papier bezeichnen. Als Autor wird Patriarch Johannes III. von Antiocheia (996-1021) - ein gelehrter, aus Konstantinopel stammender Kleriker - ins Gespräch gebracht und am Ende apodiktisch postuliert. Das Hauptproblem ist jedoch ein chronologisches. Wie der Barlaam-Roman ohne seine georgische Vorlage schlicht nicht denkbar ist, so ist BHG 884 zweifellos von der arabischen Vita des Johannes von Damaskus abhängig, die 1085 von einem Mönch Michael im antiochenischen Symeonskloster verfasst wurde. Es gibt heute keinen Grund mehr zur Annahme, Michael habe eine pia fraus begangen und eine längst existierende arabische Vita, die auch schon Jahrzehnte vor 1085 als Basis der griechischen Vita BHG 884 diente, lediglich mit einer eigenen Vorrede versehen. Auch Kontouma (23) unterstellt ihm das nicht, sondern spricht von der in Antiocheia 1084 durch den Seldschukensturm verlorengegangenen arabischen und griechischen Vita, die dann beide in dieser Stadt wieder aus dem Gedächtnis und aufgrund von diversen Notizen rekonstruiert worden seien. Gewiss ist es verlockend, die Entstehung von BHG 884 in Antiocheia anzunehmen; allein das Studium der Handschriften lässt dies unwahrscheinlich erscheinen: Ein Patriarch Johannes von Antiocheia erscheint im Titel von nur 22 der heute bekannten 73 Zeugen; und der Text dieser Zeugen ist stemmatisch erstaunlich einheitlich, enthält eine Fülle von anderweitig nicht vorhandenen Fehlern und in beachtlich vielen Vertretern - darunter dem ältesten aus dem 12. Jahrhundert sowie dem im 14. Jahrhundert in ein metaphrastisches Menologium eingefügten - immer dieselbe große innere Lücke. Dagegen weisen die Zeugen mit einem Patriarchen Johannes von Jerusalem im Titel (43 von 73 Handschriften) eine variantenreiche Entwicklung ohne Auslassungen in Titel und Text auf, beginnend mit der heute auf etwa 1100 datierten unteren Schrift des in der Vergangenheit vieldiskutierten Wiener Palimpsestes. Diese während der im Moment laufenden Editionsarbeit an dieser und den anderen Viten des Johannes Damascenus gewonnenen Erkenntnisse sprechen eigentlich alle für den Patriarchen Johannes VIII. von Jerusalem (1098-1106/7) als Autor von BHG 884.

Alles in allem ist der vorliegende Sammelband eine hochwillkommene Handreichung für die Beschäftigung mit Johannes Damascenus, wobei einige Beiträge wichtige Fragen lösen, andere wieder Denkanstöße für die Lösung noch existierender Probleme beisteuern.

Robert Volk